Jakob Ponte. Helmut H. Schulz
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Jakob Ponte - Helmut H. Schulz страница 14
Erleichtert, von ihren Vorstellungen befreit, nahm sie mich wieder auf. Die alte Frau stieß einen Seufzer aus und sagte, sie glaube gar nicht, dass ich gelogen hätte, sonst würde sich die Plätterin nicht so energisch verteidigen. »Also, merk es dir, und halte den Mund; du siehst ja, was herauskommt, wenn man schwindelt; die Menschen, alle Menschen, sind nun einmal schlecht«, sprach Großmutter. Mama weinte ausgiebig über sich, wie es hübschen, weichherzigen und leichtsinnigen Frauen mit schwachem Verstande gegeben ist.
Solche Feuchtigkeit lernte ich zu ertragen; meine späteren Erfolge bei Frauen verdanke ich meinem frühen Verständnis für die weibliche Psyche, das ich mir in früher Kindheit anerzogen habe ... »Jedenfalls habe ich Hochwürden Onkel Fabian gebeten, sich deiner anzunehmen«, schloss Mama erhaben.
Nicht ohne Erwartung sah ich seinem nächsten Besuch entgegen. Nach Mamas Entdeckung, dass ich die Lügenhaftigkeit meines Vaters geerbt hatte, war also beschlossen worden, meine Erziehung in die Hände eines stärkeren Mannes zu legen, als in die Uhrmacherhände Großvaters. Nach Meinung der Frauen würde er auf Dauer an meinen Listen scheitern und eher meinen Untugenden erliegen, als mich auf den Pfad der Tugend führen. Bislang hatte der Geistliche nur Anteil an meinen seelischen und körperlichen Leiden genommen; meine Verfassung fesselte ihn menschlich und von Amts wegen bald aber dermaßen, dass alle Voraussetzungen für ein Erziehungswerk an einem Knaben wie mir gegeben schienen. Er stand in einem entfernten Verwandtschaftsverhältnis zu uns, über sechs Ecken, wie Großmutter sich ausdrückte; er war ihr Großneffe, wiewohl es einen solchen Verwandtschaftsgrad offiziell nicht gibt. Mir sind die Verhältnisse in ihrer weitverzweigten Familie nie völlig klar geworden. Sie selbst blieb wie alle anderen Mitglieder des Hauses bei einem respektvollen distanzierenden Sie, wenn sie mit ihm sprach, wenigstens im Allgemeinen. Hatte sie sich über ihn geärgert, redete sie ihn mit dem verwandtschaftlichen Du an.
Dass ein Priester und Diakon in der Familie unser Ansehen in der Stadt mehrte, sei am Rande gesagt, wie auch festzustellen ist, dass Hochwürden das Amt eines Diakon nicht wirklich ausübte, sich also nicht mit dem aktiven Pflegedienst abgab, wohl aber andere zu solchen Diensten anleitete, das will ich wenigstens hoffen. Wie überhaupt hier schon bemerkt werden kann, dass er jede praktische Tätigkeit aus Bequemlichkeit vermied. Im Übrigen waren wir gerade um einen Hausgenossen ärmer geworden; unser Dienstmädchen, jenes vernünftige Wesen, das in Küche und Haus lautlos gewirkt hatte, und der ich Handreichungen bei meinem ersten Warmbad in dieser Welt verdankte, war gerade dienstverpflichtet worden, wie alle kinder- und ehelosen Frauen. Daraus ergaben sich Schwierigkeiten für uns; denn Großmutter und Mama wurden im Geschäft gebraucht; gebraucht ist hier vielleicht eine Übertreibung; ein neues Mädchen war jedenfalls nicht zu beschaffen. Wenn ich unseres Dienstmädchens ungerechterweise bisher nicht gedacht habe, so allein deshalb, weil ihr Wirken in eine Zeit meiner Kindheit fällt, wo nicht alle Eindrücke gleich stark sind. Andererseits musste ich sie als vernünftig bezeichnen, weil ihr in meiner Erinnerung alles leicht und ohne Lärm von der Hand ging. Gern will ich aber zugeben, dass weder Mama noch Großmutter überhaupt Anteil am Geschick eines solchen Wesens genommen haben; es ist nicht unmöglich, dass unser Küchentrampel, ein Wort Großmutters, ihre Dienstverpflichtung in unsere Eisengießerei als eine Verbesserung ihrer sozialen Stellung empfand; in diesem Betrieb wurden seit Kriegsbeginn natürlich Granaten hergestellt.
Vor nunmehr sechs Jahren hatte Hochwürden Fabian Mama und dem Argentinier das Sakrament der Ehe zu spenden gedacht, woraus nichts wurde, wie dem günstigen Leser bereits bekannt. Trotzdem interessierte sich Onkel Fabian weiter für meinen Vater, trug diesem nichts nach, bekundete sogar ein gewisses Verständnis für seinen Rückzieher. Mit Kriegsbeginn besuchte uns Hochwürden ziemlich häufig und kam zuletzt regelmäßig ins Haus, ließ sich zu Tisch bitten, und war durchaus kein störendes Element in unserem Speisezimmer, sondern ein unterhaltsamer, ausgeglichener Mensch und Lippenchrist. Besondere Strenge zeichnete ihn jedenfalls nicht aus; nachsichtig pflegte er über die Verfehlungen und Schwächen seiner Mitmenschen hinwegzusehen, und sie milde zu bestrafen, wohl wissend, dass es schlimmere Sünden gab als Lüge, Betrug und Ehebruch. Mir war er als ein freundlicher Helfer der Menschheit und im Besonderen uns Pontes wohlvertraut, im Übrigen aber fernstehend. Nun, da mir bedeutet wurde, er werde sich künftig mit meiner Erziehung befassen, ward ich entschlossen, ihn zu lieben, so weit das möglich, aber zuvor und damit zusammenhängend muss ich von einem meiner Anfälle berichten, auch deshalb, weil ich offenbar meine Hellsicht schon perfekter zu gestalten wusste ...
Zu Beginn des Mai, ich glaube, es war in der ersten Woche, traten die mir bereits vertrauten Erscheinungen auf, Übelkeit, Essunlust, in Intervallen auftretender Kopfschmerz und, als ein neues Symptom, gesteigerte Schlafsucht, will sagen, ich reagierte auf die allgemein spürbare Besorgnis in der Öffentlichkeit, es könne ein Krieg ausbrechen. Dieser Anfall muss besonders schlimm ausgefallen sein, denn Hochwürden blieb wie ein Vater über Nacht bei uns und sah stündlich nach mir. Aus den Gesprächen der Erwachsenen war zu lernen, dass sie eine neue Katastrophe herannahen sahen und hofften, mit einem weiteren Sieg glimpflich davonzukommen, wie schon zuvor. Dergestalt formte sich in meinem Kopf die Szenerie, der ich nur noch Stimme zu geben hatte. Fand mich mein Helfer wach, so stellte er seine Fragen; meine Antworten schrieb er in ein Notizbuch. Und diese Eintragungen korrespondieren mit denen Mamas; es waren tatsächlich die Tage des Mai 1940 und der Vorbereitung auf den Krieg im Westen. Infolge der Gewöhnung an Bilder fiel es mir nicht mehr schwer, die langen Kolonnen marschierender Soldaten zu beschreiben, die Schwärme von Flugzeugen, die Masse der rollenden Panzer; alle Illustrierten druckten genügend Fotos über den Krieg ab, wenn Fotoaufnahmen auch nichts Wahres enthalten und erst durch Kommentierung real werden. Immerhin ist auch heute das Vertrauen in Film und Foto ungebrochen. Ins Tagebuch schrieb Mama, dass meine Schilderungen von Mal zu Mal konkreter geworden seien; hingegen steht bei Hochwürden die Bemerkung, meine seelischen Schwingungen würden ihm mehr denn je Rätsel aufgeben. Wie auch immer; Doktor Wilhelmi wurde sicherheitshalber wieder hinzugezogen, obschon er neuerdings abfällig über meine Krankheit zu urteilen begann, was eine gewisse Entfremdung zwischen ihm und Mama nach sich zog; er bezeichnete mich einmal beiläufig als somnambulisches Gespenst, laut empörtem Eintrag in Mamas Tagebuch. Mein Arzt hatte einige Gründe sein Urteil über mich anderen und neueren Vorstellungen anzupassen; er trug jetzt eine Uniform mit dem Äskulapzeichen, und ich fühlte, dass er auf Distanz zu mir ging, soweit ein Kind solche kaum merklichen Schwankungen im Erscheinungsbild und in der aktuellen Seelenlage von Erwachsenen zu erkennen vermag.
Den Erwachsenen fiel eine Veränderung der Sprache auf, die Doktor Wilhelmi mit der militärischen Würde eines Stabsarztes, eines Rassebeauftragten und überdies konsultierenden Arztes in Puffenrode erworben hatte. Er diente an der Heimatfront, ihm unterstand das Gesundheitswesen der städtischen Verwaltung, und er hospitierte in der Nervenheilanstalt, neben seiner gewöhnlichen Hausarztpraxis; dies muss ich hier wieder aus späterer Kenntnis hersetzen, auch deshalb, weil es Folgen zeitigte.
»Was hat er denn, immer mal wieder, unser kleiner Hellseher?«, fragte er herablassend den Geistlichen, die Kompetenzen umdrehend. Der antwortete kurz angebunden. »Sie wissen ja Bescheid, es ist das Übliche.« Mama zeigte sich beeindruckt von der Uniform und dem Auftreten des Arztes; sie reichte ihm Likör und er nannte sie dafür gnädige Frau. Ruhig verschränkte Großmutter die Arme über der Brust und schwieg, wie immer, wenn sie den Lauf der Dinge abzuwarten gedachte. Endlich, etwa um die Mitte des Monats, kam, das geschaute Ereignis, und ich gesundete. Die Fliegermasse bestimmte den Verlauf der ersten Kriegsphase im Westen, der Aufmarsch durch die Ardennen, das große Luftlandemanöver, und die damit eingeleitete Umgehung der feindlichen Festungsanlagen, die Vorstöße tief in die französische Flanke und alle diese Dinge hatte mein Gehirn unklar produziert, ohne dass ich den Namen dieser Operation hätte angeben können; der Mannsteinplan also, wie es nun in den Kriegsaufzeichnungen heißt und unter dem Rubrum Sichelschnitt als Hirnleistung des Führers in die Annalen eingegangen ist. Schade, dass dies alles nicht in