I Ging. Andrea Seidl
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An der Basis dieses Programms steht ein verselbständigter Verstand, der sich vom authentischen Fühlen abgetrennt hat und dafür selbst künstliche (Ego-)Emotionen erzeugt. Wir denken den lieben langen Tag und können nicht mehr aufhören damit. Sobald wir glauben, dass das Denken unsere Identität ausmacht, wird dieses vormals nützliche geistige Instrument zu einer Krankheit. Dann erhebt ein kleiner Teil von uns den Anspruch, das Ganze zu vertreten: Der Diener schwingt sich zum Herren auf und erzeugt auf diese Weise eine verdrehte Welt.
Ein zentrales Mittel zur Aufrechterhaltung dieser irrealen Parallelwirklichkeit ist die Sprache, die ja die Strukturen unseres Denkens bestimmt. Nirgendwo wurde der Missbrauch der Sprache deutlicher vorgeführt als in George Orwells Klassiker „Neunzehnhundertvierundachtzig“. Totalitäre Regimes von damals und heute zeigen uns in schauriger Weise, dass verhängnisvolle sprachliche Verdrehungen nicht nur in der Literatur zuhause sind. Weit davon entfernt, harmlos zu sein, erschaffen sie eine gemeinsame „Wirklichkeit“ (einen kollektiven Traum), in der das Ungeheuere normal und angemessen erscheint.
Sprache erschafft Realität. Weil wir nur in Gegensätzen denken können, glauben wir, das Universum müsse ebenfalls so strukturiert sein. Wenn alle Welt von Opfern und Tätern spricht, muss es sie wohl geben. Wer Gott und das Gute beschwört, muss doch wohl selbst gut sein, oder?... Und so wie wir auf die Propaganda äußerer Verführer hereinfallen, so fallen wir auch auf unsere innere Ego-Propaganda herein, die uns immer als Opfer der Umstände sieht, die unsere weniger angepassten Motive vor uns selbst verschleiert und im gleichen Zuge die Verantwortung für alles Negative nach draußen projiziert.
Ein weiteres problematisches Element unserer Programmierung ist ein Wir-Denken, das einer primitiven Stammes-Mentalität entspringt. Wir verbrämen es oft als verbindenden sozialen Geist, doch bei genauerem Hinsehen verführt es uns, unsere Einzigartigkeit zu missachten. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe scheint uns stark zu machen, doch sie ist auch eine Einladung zur (aggressiven) Abgrenzung von anderen Gruppen: „wir“ gegen „die“. Sobald wir uns mit einer Gemeinschaft identifizieren (Familie, Freundeskreis, Firma, Partei, Vaterland…), fordert sie unsere Loyalität: wir sollen uns den Gruppennormen unterwerfen. Das kann uns in schlimme Konflikte stürzen. Denn wir können uns selbst nur treu bleiben, wenn wir zuweilen bereit sind, unsere Gruppe zu „verraten“ – mit der Konsequenz quälender Schuldgefühle.
Haben wir uns erst einmal vollkommen mit dem unbewussten Programm identifiziert, können wir es nicht mehr von unserem wahren Selbst unterscheiden. Dann spricht das Programm in unserer Psyche als „ich“ und wir verteidigen es als unsere Identität, obwohl wir doch fremdbestimmt handeln. Solange wir Sklaven dieses Programms sind, ist unser oft beschworener „freier Wille“ nicht mehr als ein schönes Märchen. Solange wir unbewusst und reaktiv leben, bleiben wir im System, im Programm gefangen und verkennen unsere wahren Entscheidungsmöglichkeiten.
Es ist möglich, auszusteigen, doch einfach ist es nicht. Denn dieses Programm durchtränkt alle unsere Überzeugungen und Vorstellungen, so dass wir sie für unsere eigenen halten. Darüber hinaus gibt es eingebaute Sicherungskomponenten, die dafür sorgen, dass das Programm nicht überprüft wird. Hierzu zählt alles, was wir als tabu empfinden. Werden diese unausgesprochenen Verbote übertreten, wird das scharf geahndet und zu Schuld und Sünde erklärt. Sobald wir rebellieren, müssen wir also mit Sanktionen rechnen, von innen und von außen. Allerdings funktioniert dieser Mechanismus nur, wenn wir auch daran glauben. Versagen wir einer Ideologie, einem Glaubenssystem, einem Paradigma erst einmal unseren Glauben, erscheinen sie nach einer Weile nur noch wie krause Geschichten, von der wir uns erstaunlicherweise einmal haben einfangen lassen.
Das Programm zu löschen, heißt zuerst einmal, alle diese Fragen zu stellen, an denen uns offene und versteckte Tabus hindern wollen, also Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen, ohne die Angst, dann als „dumm“ zu gelten. Wir müssen immer wieder penetrant die Frage stellen, auf die Byron Katie sich in der von ihr entwickelten Methode3 zur Selbsterkenntnis fokussiert: „Ist das wahr? Ist das wirklich wahr? Kann ich hundertprozentig sicher sein, dass das stimmt?“ Und wir können noch weiterfragen: Woher glaube ich das zu wissen? Wer sagt das? Von wem stammen die Sätze, die ich in meinem eigenen Inneren höre? Normalerweise stellen wir diese Fragen nicht, sie scheinen überflüssig oder nicht zu beantworten. Und: sie verunsichern uns, sie zeigen überdeutlich wie dünn das Eis der Pseudorealität ist, auf dem wir uns bewegen. Wir glauben frei zu sein, doch es gibt in uns kaum einen Gedanken, kaum eine Geste, Meinung, Gefühlsregung, die nicht von anderen stammt. Dieses Etwas, das wir Ich nennen, scheint nichts als eine Anhäufung vergangener Ideen und Erfahrungen zu sein, ein unbewusstes Programm.
Das wahre Selbst
Niemand ist ohne das Ego und sein Programm, es gehört zu unseren Daseinsbedingungen als Mensch. Und dennoch: in Wahrheit ist dieses Ego nicht mehr als ein virtuelles Gebilde, eine Fantasie. Das Ich ist eine Erfindung unseres Geistes, die eine persönliche Willensfreiheit und Kontinuität vorgibt, die nie da waren.
Hinter dieser Mogelpackung steht, was wir wirklich sind. Unsere wahre Identität kann zwar überlagert, aber niemals zerstört werden. Sie ist die liebevolle, unschuldige, heilige Essenz unseres Wesens, die nach wie vor eins mit dem Göttlichen ist. Dieses unser wahres Selbst kennt weder Trennung, noch Tod, noch Schuld. Das wahre Selbst ist nicht unser Selbst, da es alles andere auch einbindet. Wenn wir uns erst einmal selbst erkannt haben, können wir uns in allem wieder finden. Unser wahres Wesen will nichts anderes, als in voller Bewusstheit seine Einzigartigkeit leben. Es hat keinen Charakter, keine Ideale und keine Moral, es will nichts erreichen. Es ist einfach in jedem Augenblick ganz präsent, ganz frei. An diesen unseren authentischen Wesenskern richtet sich das I Ging. Indem es ihn von den hässlichen Schlacken des Egos befreit, führt es uns nach Hause in die Einheit mit dem Großen Ganzen.
Wenn wir mit unserem wahren Selbst verbunden sind, sind wir „in unserer Mitte“ und können wir uns klar spüren. Diese innere Wahrheit drückt sich in Gefühlen und Körperempfindungen aus und hat nichts mit den Normen, Weisheiten und Richtigkeiten der Gesellschaft zu tun. Sie kann sogar im heftigen Widerspruch dazu stehen. Unsere innere Wahrheit ist weder absolut noch übertragbar: sie gilt nur für uns und für diesen besonderen Augenblick, diese einzigartige Situation. Auch wenn uns dieses intuitive Gespür zwangsläufig in Konflikt mit dem kollektiven Ego bringt, zeigt es uns den Weg, der für uns persönlich richtig ist.
Allerdings ist der Zugang zu dieser klaren Wahrnehmung bei den meisten Menschen verschüttet. Dem kollektiven Ego ist unser wahres Selbst nämlich äußerst verdächtig, es riecht ihm zu sehr nach Anarchie. Deshalb hat uns die Gesellschaft – zunächst über unsere Eltern und Lehrer – erfolgreich eingeredet, dass unsere innere Stimme, unsere Intuition, unsere Gefühle nicht zählen, ja dass wir ihnen misstrauen müssten. In gewisser Weise wurden wir zur Selbstverstümmelung angeleitet, um dafür umso erfolgreichere Marionetten am Gängelband des Kollektivs zu werden.
Handeln und Nichthandeln
Das Tao wirkt nicht durch Tun,
dennoch bleibt nichts ungetan.
(Laotse)
Eine Marionette handelt nicht selbständig, auch wenn es vordergründig so aussieht. Sie reagiert nur, völlig unbewusst und jenseits von Selbstverantwortung. Wir tun etwas, weil irgendwo in unserem Unbewussten ein anderer die Fäden zieht, weil jemand unsere „Knöpfe“ drückt. Wir verhalten uns wie ein programmierter Roboter und täuschen uns noch selbst, dass wir angeblich wollen, was wir tun. Diese Art zu reagieren kann unter Umständen sehr gefährlich werden. Mit freiem, bewusstem, selbstverantwortlichem