Ein trauriges Schloss. Catherine St.John
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Читать онлайн книгу Ein trauriges Schloss - Catherine St.John страница 6
„Na, viel hat er nicht übriggelassen“, kommentierte Agnes, den Hals reckend.
„Ist doch gut“, antwortete Mrs. Kingsley, „dann muss Seine Lordschaft heute recht ordentlichen Appetit gehabt haben. Na, vielleicht hatte er einen langen Ausritt hinter sich.“
Eleanor fand, dass die Reste aus allen drei Gängen immer noch ausreichten, um sie alle satt zu machen, auf jeden Fall mit dem zusätzlichen Brot.
Die Stallburschen und der Stallmeister kamen herein und setzten sich, nachdem sie sich der neuen Haushälterin vorgestellt hatten. Martin und Cyrus gesellten sich auch zum übrigen Personal. „Seine Lordschaft hat das Essen gelobt“, verkündete Cyrus. „Und mit seinem Portwein hat er sich in sein Arbeitszimmer verzogen.“
Nach den Hausmädchen tauchte Jessop als letzter am Esstisch auf und man setzte sich, während Mrs. Kingsley bereits die Suppe austeilte.
„Was ist denn mit Mr. Grant?“, erkundigte Eleanor sich, nachdem sie rekapituliert hatte, wer ihrer Kenntnis nach alles zum Haushalt gehörte.
„Mr. Grant speist auf seinem Zimmer, wenn er nicht mit Seiner Lordschaft isst. Er gesellt sich nicht so gerne zum Personal. Zum übrigen Personal. Er hält sich ja für etwas Besseres“, erläuterte Jessop. „Die Suppe schmeckt heute wirklich besonders gut, Mrs. Kingsley!“
Mrs. Kingsley lächelte geschmeichelt und Eleanor schloss sich dem Lob an, ohne zu erwähnen, dass sie ihr den Tipp gegeben hatte, doch etwas kräftiger zu würzen.
Auch den übrigen Gängen wurde so herzhaft zugesprochen, dass nichts mehr übrig blieb und tatsächlich noch weiteres Brot und Käse aus der Speisekammer geholt werden mussten, um alle zu sättigen.
„Merkwürdig“, sinnierte Jessop hinterher und hob seinen Krug, „heute haben wir alle einen ganz besonders guten Appetit… woran das wohl liegen mag?“
Er trank einen herzhaften Schluck Bier.
„Vielleicht liegt es an der neuen Hausgenossin“, schlug Mrs. Kingsley vor und prostete Eleanor zu. „Auf Mrs. Warren!“
Darauf tranken alle.
Kapitel 3
Zwei Wochen waren seitdem vergangen und Eleanor hatte das Gefühl, schon viel länger auf Kesham zu leben. Sie kannte mittlerweile das ganze Anwesen wie ihre Westentasche und hatte auch dafür gesorgt, dass speziell die Räume, die der unsichtbare Hausherr zu benutzen pflegte, nicht nur tadellos sauber, sondern auch warm, gemütlich und freundlich waren.
Für das Personal musste zunehmend extra gekocht werden, denn die Reste, die von Lunch und Abendtafel in die Küche zurückfanden, wurden immer kärglicher, so dass Eleanor zu überlegen begann, wann wohl ein Schneider aufs Schloss bestellt werden würde, um die Kleidung des Earls weiter zu machen.
Andererseits zehrte dieses mysteriöse Leiden vielleicht so an ihm, dass auch reichlicheres Essen ihn nicht zunehmen ließ? In der letzten Woche schien er einen derartigen Anfall gehabt zu haben, jedenfalls hatte sein Kammerdiener Beatty drei Tage lang einen gehetzten Eindruck erweckt und es war plötzlich wieder mehr Essen in die Küche zurückgebracht worden.
Außerdem hatte Eleanor den Eindruck gewonnen, des Nachts ein immer wiederkehrendes Stöhnen gehört zu haben.
Als sie dies in der Küche erwähnte, ließ Nancy vor Schreck einen Teller fallen.
„Oh, Entschuldigung – ich werde sogleich -“ Weiter stammelnd enteilte sie, um einen Besen zu holen.
Eleanor drehte sich ratlos zu Mrs. Kingsley um, die gerade Gemüse putzte. „Können Sie sich vorstellen, warum Nancy so erschrocken ist? Habe ich etwas Falsches gesagt? Das täte mir leid.“
„Ach nein, Mrs. Warren, nichts Falsches. Es ist nur – dieses Stöhnen, das hat uns schon so manches Mädchen vertrieben. Diese dummen Dinger sind sich nämlich nicht so recht sicher, ob es hier nicht vielleicht doch spukt.“
Eleanor lächelte. „Aber ich dachte, es gibt hier gar kein Schlossgespenst?“
„Natürlich nicht! Unsere Mädchen – nun, sie haben nicht gerade viel Bildung, nicht wahr? Und so sind sie für Aberglauben recht anfällig.“
„Und Vernunftgründen nur begrenzt zugänglich, vermute ich.“
„Sie treffen da den Nagel auf den Kopf, Mrs. Warren. So ist es, leider.“
Sie verstummten, denn Nancy kam mit dem Besen zurück und fegte die Scherben zusammen, dabei ab und zu schniefend und sich furchtsam umsehend.
„Dummes Ding“, fuhr Mrs. Kingsley sie schließlich an, „hier gibt es gar nichts, wovor man sich fürchten müsste. Du weißt doch, dass Seine Lordschaft krank ist!“
„Manche haben schon gesagt, er ist besessen“, wisperte Nancy und senkte die Augen scheu auf die letzten Scherben.
„Besessen – von wem denn? Oder wovon?“ Eleanor war völlig ratlos.
„Vom – vom Teufel?“
Mrs. Kingsley riss ihr den Besen aus der Hand. „Du dummes, dummes Ding, was soll das papistische Geschwätz? Geh in deine Kammer und denk darüber nach, welchen Unsinn du gerade geredet hast!“
Nancy floh, und Mrs. Kingsley sah ihr kopfschüttelnd nach. „Woher mag sie diesen Unsinn nur haben? Vom Teufel besessen, so etwas Dummes! Aber wie ich eben schon sagte – keinerlei Bildung, dafür finsterer Aberglauben. Wie im Mittelalter!“
Eleanor stellte fest, dass die Köchin offenbar recht belesen war, und stimmte ihr zu. „Ist meine Vorgängerin etwa auch aus einem so – äh – albernen Grund gegangen?“
Mrs. Kingsley schnaubte. „Gegangen? Geflohen, sollte man wohl eher sagen! Seine Lordschaft hatte offenbar in seinem Fieber einen grässlichen Alptraum und hat geschrien – und am nächsten Morgen hat Mrs. Lorrimer ihre Sachen gepackt. Dabei hat sie den armen gnädigen Herrn nie zu Gesicht bekommen…“
„Warum? Ich meine – lässt er sich nie blicken? Ich würde mich ihm bei günstiger Gelegenheit schon gerne vorstellen.“
„Lieber nicht, meine Gute – äh – Mrs. Warren, wollte ich sagen. Er ist kein schöner Anblick, der Arme. Krieg ist schon etwas Schreckliches, das muss man sagen. Auch wenn er natürlich nötig war, um diesen Bonaparte in seine Schranken zu weisen…“ Murmelnd kehrte sie zu ihrem Gemüse zurück. Eleanor beseitigte rasch die letzten Scherben und starrte dann, auf den Besen gestützt, vor sich hin. Fieber und eine offenbar entstellende Kriegsverletzung – kein Wunder, dass er sich in diese Einsamkeit verkrochen hatte und sich auch vor dem Personal nicht sehen ließ – obwohl, beim Essen wurde doch serviert? Hielt man Cyrus und Martin für weniger empfindlich? Und Beatty, der doch täglich mit ihm engsten Umgang hatte?
Und es kam doch wenigstens ab und zu ein Arzt, um das Fieber zu behandeln. Sie fragte Mrs. Kingsley nach Einzelheiten, aber diese hatte offenbar das Gefühl, schon zu viel erzählt zu haben, jedenfalls gab sie sich plötzlich eher wortkarg.
Eleanor