Dünenvagabunden. Katrin Maren Schulz
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Und dann kam dieser eine, alles verändernde Sonntag. Ein Sonntag, an dem ich tatsächlich endlich mal wieder frei hatte.
Ich war nachts aus gewesen, erstaunlich lange, und war daher etwas verkatert erst gegen Mittag aufgewacht. In dieser lauen Sommernacht hatte ich eine eindrucksvolle Begegnung, die mich aufgewühlt hatte. Und nach dieser Nacht, es regnete inzwischen, stand ich seit Ewigkeiten einmal wieder einfach so in meiner Wohnung, und hatte tatsächlich nichts vor, nichts zu tun.
Da fielen mir Gegenstände auf in meiner Wohnung, die mir überhaupt nicht vertraut waren. Für eine Weile überlegte ich, ob vielleicht meine Reinigungskraft sie gekauft und dekoriert hatte. Je länger ich die Gegenstände aber betrachtete, umso klarer wurde mir: ich selbst hatte sie vor etwa einem Jahr gekauft, an einem meiner letzten wirklich freien Wochenenden, bevor die intensive Projektarbeit im Büro begann.
Ich bin schockiert auf meinem Sofa zusammengesunken, und eine Erkenntnis machte sich in mir breit. Ich verdiene sehr viel Geld - aber ich tue eben genau das: ich ver-diene es, in dem ich anderen diene, dabei aber überhaupt nicht mehr mir! Und dabei lebe ich so sehr an meinem eigenen, freien Leben mit ureigenen und persönlichen Interessen und Bedürfnissen vorbei, dass ich sogar meine eigene Wohnungseinrichtung nicht mehr erkenne!
Am nächsten Tag habe ich meine Kündigung eingereicht und beschlossen, es nie nie nie wieder so weit kommen zu lassen!“
An dieser Stelle lachte Viktoria kurz sarkastisch auf:
„Es so weit kommen zu lassen??? Was für eine irrwitzige Formulierung! Nie wieder so tief zu sinken, träfe es wohl besser. In all dem Saus und Braus, in dem ich lebte, in all dem Geld, in dem ich schwamm, war mir das Wichtigste abhandengekommen: mein Leben!“
Es war ganz still. Ein paar Vögel zwitscherten im Himmel über den Salzwiesen, ab und zu blökte eine Kuh. Kaum Wind, kein Meeresrauschen, weil Ebbe war. Es war diese besondere Stille nach Viktorias Vergangenheitsschilderung, die selten und einzigartig ist. Eine Stille, die ganz trocken ist und ehrlich und klar, weil gerade ganz viel Gefühlsintensität offenbart wurde.
Wir saßen in unserem Strandkorb, regungslos, schienen gar nicht mehr zu atmen vor Bewegungslosigkeit, und umklammerten unsere Rotweingläser, als ob sie wärmen könnten.
Es fiel mir schwer, in diese Stille hinein das Gespräch wieder aufzunehmen. Aber zu sehr wühlte mich Viktorias sarkastischer Unterton in der Art, in der sie über ihr vergangenes Arbeitsleben gesprochen hatte, auf:
„Du hast also keine andere Möglichkeit gesehen, dein Leben zu verändern, außer dieser, dein altes Leben komplett abzubrechen?“
Viktoria nickte versunken. Ich aber wollte mehr wissen:
„Aber diese Vielfältigkeit an Möglichkeiten, die es im Leben gibt, die gibt es nicht nur bezüglich des Wohnortes! Es gibt sie auch hinsichtlich vieler denkbarer Lebens- und Arbeitsformen! Gerade in Berlin habe ich den Eindruck, dass so viele Lebensbereiche dort von den Menschen neu überdacht und oft auch verändert werden. Das finde ich übrigens auch einen der inspirierenden Momente in Berlin, auf die ich ungern verzichten möchte.“
Viktoria erwachte aus ihrer Versunkenheit, und warf ein:
„Was ist es denn, was du da so inspirierend findest? Ich kann mich an keine Inspiration mehr erinnern aus meinem Stadtleben. Aber vielleicht konnte ich sie ja auch einfach nicht sehen, weil ich keine Zeit dafür hatte?“
„Ja, vielleicht hast du sie einfach nicht gesehen. Denn in Hamburg ist es doch ähnlich wie in Berlin. Es gibt so viele Freiberufler, Selbständige und Kreative, die frische Ideen haben, Werkstätten aufmachen oder Initiativen, Tauschbörsen und ähnliches. Sie haben Ideen, und probieren sie einfach aus. Verdienen meist nebenbei mit irgendetwas ihr Geld. Sie haben Mut, und setzen um, und verteilen dabei ihr Tätigsein auf viel mehr Bereiche, als nur einen einzigen Arbeitgeber oder einen einzigen Ort. Einige meiner Bekannten in Berlin arbeiten in Teilzeit, so wie ich, und machen in der restlichen Zeit noch etwas anderes. Es ist eine enorme Wandlungsfähigkeit, die sich da im Berufsleben zeigt. Dabei gibt es nicht mehr nur die harte Unterteilung in malochender Angestellter oder befreiter Selbständiger, nein. Viele Formen dazwischen entwickeln die Menschen, jeder für sich, entsprechend ihrer eigenen Bedürfnisse.“
Viktoria schien irgendetwas zwischen interessiert und resigniert zu sein. In die Ferne starrend, sagte sie mit tonloser Stimme:
„Mein Eindruck in meinem alten Leben war ganz einfach der, dass Angestellt-Sein bedeutet, mit dem Arbeitsplatz verheiratet zu sein. Dabei ist der Angestellte oft Werkzeug, nicht Partner. Werkzeug wird ersetzt oder beseitigt, wenn es nicht mehr funktioniert oder gebraucht wird. Vielen macht das Angst. Was dazu führt, dass sie sich noch mehr abmühen am Arbeitsplatz, noch besser, noch schneller, noch vermeintlich unverzichtbarer sein wollen, um bloß nicht gekündigt zu werden eines Tages. Warum? Weil sie keine Alternative haben. Auch mir hat das Angst gemacht, und die einzige Möglichkeit, diesem Strudel und dieser Festgefahrenheit zu entkommen, habe ich darin gesehen, diesem alten Leben vollständig zu entfliehen.“
Es war nicht nur Resignation, sondern auch eine abgrundtiefe Traurigkeit in Viktorias Stimme. Die machte mich stutzig. In meiner Nachfrage formulierte ich das aber noch nicht:
„Kann es sein, dass aus deinen Worten auch ein bisschen Verbitterung herauszuhören ist?“
Viktoria warf mir von der Seite einen stechend scharfen, aber auch neugierigen Blick zu. Letzteres bekräftigte mich darin, fortzufahren:
„Ich meine, dass Veränderung in einem jeden selbst anfängt. Wer also mit irgendeiner Situation in seinem Leben, auch der beruflichen, unglücklich sein sollte, der kann an sich arbeiten, um die Situation zu verändern - anstatt eine Art von Schuld dem Umfeld oder gar dem System, den Arbeitsstrukturen, in die Schuhe zu schieben. So vieles ist möglich, wenn man beginnt es zu denken, und irgendwann auch auszusprechen. Und indem ich genau das getan habe, hat sich für mich herausgestellt, dass beides geht! Angestellt sein, und nebenbei ein weiteres Leben, in meinem Fall an der Küste, zu leben.“
„Ich muss zugeben, es hat etwas Einleuchtendes, was Du sagst“, schmunzelte Viktoria. „Aber bestimmt gehört auch sehr viel Kraft und Mut dazu. Wahrscheinlich beginnt die Schwierigkeit für die Menschen schon damit, überhaupt herauszufinden, was sie wirklich gerne noch erfüllt hätten in ihrem Leben. Das ist ja der Schritt davor, überhaupt etwas in die Realität umzusetzen ...“
Viktoria zögerte kurz, als wüsste sie nicht, ob sie noch etwas hinzufügen sollte oder nicht. Dann sprach sie weiter:
„… und möglicherweise stecken viele so sehr fest in ihrem Berufsleben, dass sie darüber gar keine Zeit haben, zu entdecken, was sie noch aus sich selbst heraus ausleben möchten, und wo ihre persönlichen Bedürfnisse liegen.“
Mir war nicht mehr klar, ob Viktoria über andere sprach, oder über sich, und mir dabei etwas Entscheidendes verschwieg. Sie wirkte zwar wieder etwas lebhafter inzwischen, aber auch vom Thema entfernt. Ich wollte es mit einer letzten Äußerung abschließen:
„Was dann herauskommen kann, wenn jemand sich die Zeit nimmt, die eigenen Bedürfnisse freizulegen, das siehst du an mir.