Mallorca mit allen Sinnen. Otto W. Bringer
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Rose blättert mit spitzen Fingern durch das Angebot. Überlässt mir dann die Bestellung. Wir wollen Paella, nichts anderes. Vielleicht ein Postre hintennach. Und einen Café solo. Plötzlich steht Juan wieder am Tisch. Lächelt erwartungsvoll. Ich komme ihm zuvor: „Quisieramos una paella para dos personas e una botella pequeña de vino tinto de Ferrer, Binisalem por favor. Wir möchten eine Paella für zwei Personen und eine kleine Flasche Rotwein von Ferrer. Den Roten kenne ich noch von früher. Louis Ferrer soll immer noch einer der besten Winzer auf der Insel sein. Probieren wir eine halbe Flasche.
„En seguida,“ sofort. Mit Schwung nahm Juan die fettigen Speisekarten und warf sie den Leuten nebenan auf den Tisch. Warum so unfreundlich? Vielleicht, weil sie in Badehosen hier sitzen. Späte Strandläufer. Wir hatten uns auf Restaurantbesuch eingestellt. Wie zuhause. Wir wollen es so lassen. Uns selbst zuliebe. Wie man kommt gegangen, so wird man auch empfangen. Stimmt überall. Dreißig Minuten später.
Mit ausgebreiteten Armen nähert sich Juan unserem Tisch. Lacht jetzt über´s ganze Gesicht. Seine behaarten Hände halten die grosse, schwarze, buntgefüllte Pfanne wie eine Trophäe. Eine Pfanne, die wie alle Pfannen Mallorcas, viele, viele Feuer überlebt und immer noch kein Loch hat. Juan strahlt noch mehr. Knallt das schwere Eisen auf einen umgedrehten Teller in der Mitte des Tisches. Unsere platos haben gerade noch Platz. Auch ein dritter Teller für abgeschälte Krusten und ausgelutschte Muschelschalen.
„Original Paella Marisol. Bon profit, guten Appetit“. Geht, kommt wieder, um zwei dünne Papierservietten neben unsere Teller zu schieben und das Blechbesteck dazu. Geht und kommt zum dritten Mal. Stellt die Weinflasche auf ein freies Fleckchen. Nachdem er sie entkorkt und mir einen Schluck ins Glas gegossen hat. Ich rieche, schlucke und kann es nicht erwarten loszulegen.
Alles, was Meer und Land hergeben, farbenfroh in einer Pfanne versammelt. Unsere erste gemeinsame Paella. Ach ja, Rose. Sie betrachtet das Rundwerk interessiert. Sehe sie einen Moment die Augen schließen, den Duft einatmen. Augen auf und entschlossen die Gabel ergreifen, um vom safransatten Reisberg eine kleine Probe zu nehmen.
Anfangs stört uns die grosse Pfanne nicht, die für vier Personen reichte. Überfluss ist was Schönes. Im braungelben Reisbrei stecken sechs große choches, Miesmuscheln. Drunter und drüber kleine Stücke von Gebratenem. Huhn und Kaninchen noch an ihren Knöchlein. Die zusammen den Geschmack bringen, wie die unsichtbaren Zwiebeln, sichtbare Petersilienblätter und Papikastreifen.
Obenauf für jeden zwei prächtige Langustinen und fünf kleinere Gambas. Zwischen allem Gelb, Schwarz, Rot und grünen Erbsen, Bohnen, Calamares, Tintenfischbauchringe und tintentriefende Tentakeln. Duftet und dampft. Heiß vom Herd. Aber wer soll das alles essen? Ich schaufele zwei Löffel vom Reisgemisch auf Roses Teller. Lege zwei Muscheln auf den kleinen Hügel. Drapiere zwei Langustinos, zwei Gambas mit dem Kopf so, dass die schwarzen Knöpfe Rose anschauen. Kennenlernen sozusagen. Rose lacht laut: „Kenne ich vom Ansehen bei Fisch-Schälte.“
Sieht aber genau hin, greift zur Gabel. Wartet, bis ich meinen Teller gefüllt habe und beginnt vorsichtig. Zuerst mit weniger befremdlichem Reis, Huhn und Kanin. Ein, zwei Erbslein. Ein Böhnchen. Wartet, bis ich eine Rothaut in die Hand nehme. Beobachtet, wie ich den Kopf der Gamba abdrehe, den süßherben Geschmack aussauge und mitsamt den Tastfäden auf den dritten Teller lege.
Mit spitzen Fingern die Schale an ihrem Bauch löse und langsam nach außen biege. Zum Schluss der ungewohnten Prozedur den Schwanz festhalte und den ganzen Korpus aus dem nun gelockerten Panzer heraushole. Noch gekonnt. Halleluja. „Das kann ich auch“, kontert Rose. Und besieht ihre Finger mit den perlmuttlackierten Nägeln.
Sie beginnt langsam. Aber mit ihren spitzen Fingernägeln kommt sie schneller voran als ich mit meinen kurzgeschnittenen. Da sieht man, Frauen sind von Natur auch begünstigt für´s Pulen von Langustinen und ähnlichen Köstlichkeiten. Später schaffen wir es ohne die Nägel. Sehe beglückt, daß meiner Rose das Paellaessen zunehmend Spaß macht.
Ich lege mein Besteck auf den Tellerrand. Sehe ihr zu. Lächle sie an. Mit brennenden Augen. Bewundere das schmale feingeschnittene Gesicht. Als sähe ich es zum ersten Mal. Gekrönt vom rotgoldenen Haarschopf. Sie kommt mir vor wie die Siegesgöttin Athene. Die sich ein Vergnügen daraus macht, mit einem irdischen Fußsoldaten zu speisen. Da soll einem nicht das Herz aufgehen?
„Ich liebe Dich“, flüstert der Fußsoldat. „Te amo“, antwortet die Göttin. Ohne daß ich es bemerkte, hatte sie in meinem Diccionario diese Formel unter der Rubrik Verabredungen gefunden. „Yo te amo también! Mi mas querida Rosa.“ Ich liebe Dich auch, meine liebste Rose. Das wichtigste Bekenntnis können wir schon auf Spanisch beten. Und in den Superlativ hinaufjauchzen.
Wir sitzen schon eine Stunde vor der schwarzen Pfanne. Und immer noch ist sie halb voll. Die leere Hälfte glänzt öligschwarz. Wir sind satt bis zur Halskrause. Sagt man. Die letzten kostbaren Schalentiere zupfen wir noch aus dem Reisberg, genießen ihre süßliche Eigenart. Den beiden letzten Muscheln entreißen wir das gelbe Fleisch. Drehen es im Mund herum und schlucken es mit Wein hinunter. Dann reicht´s. Aber die Völlerei hat uns gut getan. Jetzt brauchen die ölfischigen Finger nur noch heißes Zitronenwasser. Wie heißt das auf Spanisch? Egal.
Drehen, wenden, reiben die dünne Papierserviette um unsere Finger, bis wir ein gewisses Gefühl von Sauberkeit haben. Ein weicher Wind fächelt unsere Wangen. Die gerötet sind von Wein und vielem Kauen, Schlucken. Und der Freude an allem. Es wird dunkel. Kerzen im Glas kommen auf die Tische. Juan fragt: „Sie wollen Postres?“ „Dos café solo, por favor. Y servilletas frescas“. Zwei Kaffee und frische Servietten.
Der Café solo kommt. Die Servietten bleiben unangetastet im Schrankfach. Was soll´s. Wir haben nicht viel gesprochen während der ungewohnten Tätigkeit beim Essen. Und der Konzentration auf unübliche Detailarbeit. Beim Zurechtlegen von Köpfen und Schwänzen. Auch Roses sonst lockeres Mundwerk war zu beschäftigt, um Kommentare abzugeben. Aber dann, zu einem Café solo die Zigarette, Lord Extra. Rede frei. Über´s Essen, na klar.
Die schwarze Pfanne steht noch lange auf unserem Tisch. Juan und Kollegen beschäftigt mit inzwischen voll besetzen Tischen. Es ist zehn Uhr. Man lässt uns. Und das ist gut so. Überlegen, ob wir unser nächstes Jubiläum mit einer Paella feiern sollen. Roses Zunge hat, wie sie sagt, Kräuter und Geschmack registriert. Die Frage ist nur, wo finden wir frische Gambas, frische Langustinen? Muscheln kein Problem. Ich will unseren Fischhändler fragen. Er macht vieles möglich.
„Die Nacht hier ist blau“, sagt Rose. „Schau nach oben. Nicht so schwarz wie bei uns. Schwarz selbst im industriefernen Westerwald. Sieh dieses Blau. Vermutlich, weil sich die Sterne im Meer spiegeln. Wenn Du lange genug hinsiehst, schimmern sie bläulich. Tannengrün finstert vor sich hin, reflektiert nicht. Im Zeichen der Venus ist alles denkbar.“
„Was bist Du für ein kluges Mädchen.“ Schön formuliert. Wir stehen auf, ich lege Geld unter die Tasse, lassen die schwarze Pfanne allein und schlendern hinunter zum Strand. Bis sich der Sand die Spur unserer Schuhe gemerkt hat. Beschließen, ein anderes Restaurant zu suchen, das Paella in kleineren Pfannen serviert. Darauf freuen wir uns schon jetzt. Es sollte keine Woche dauern, und wir finden die beste Paella unseres Lebens. In kleiner Pfanne für zwei Personen. Haben Lust auf Entremes und noch Platz für ein Postre.
Bei „Antonio“ im großen, schlichthellen Restaurante. Die Sicht auf´s Meer behindert ein massiver Felsbrocken. Dafür gart das Beste aus Neptuns Reich in Töpfen und Pfannen. Es lebe der Unterschied. Seine Paella, hören wir, lockt Spanier sogar aus Barcellona an. Sie nehmen