Mallorca mit allen Sinnen. Otto W. Bringer
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Im „Marisol haben wir nicht mehr gegessen. Nur noch an die riesige schwarze Pfanne gedacht wie an eine Ouvertüre. Gelegentlich verlängern wir dort den Abend in die Nacht. Mit flackernden Kerzen, rotem Wein in grünen Gläsern und fröhlichem Gelächter ferienfeiernder Menschen. Träumen beim leisen Rauschen des Meeres am flachsandigen Strand. Von uns und unseren waghalsigen Plänen.
Zurück geschlendert. Vorbei an halbfertigen Häusern. Wohlstand hat die Einheimischen mutig gemacht. Steuergesetze geholfen. Alle mehrgeschossigen Neubauten bestehen nur aus einem Betonskelett. Das Erdgeschoss ist ausgebaut. Mit Wohnung, Laden und Garage. Darüber gähnende Leere. Steuern sind erst fällig, wenn das Haus bis unters flache Dach ausgebaut ist. Gespenstischer Heimweg im fahlen Licht der wenigen Lampen entlang eines seltsamen Wohlstandbeweises. Hätten wir nicht die Paella in Bauch und Gemüt, es wäre uns unwohl geworden.
Ein Tag am Meer.
Ob wir allein sind? Eine Frage, die mehr Wunsch ist als Frage. Frage auch nicht. Denke es nur. Mit heißem Herzen, aufgeheiztem Hirn, fieberndem Leib. Die letzte Nacht hat alles auf Höchsttemperatur gebracht. Die erste Nacht, in der wir uns erkannten, wie die Bibel sagt. Mir erscheint es danach, als kennten wir uns schon Ewigkeiten. Rose auch.
Nichts wünschen wir so sehr wie kühlen Morgenwind und kühlendes, wogendes Meer. Wo anders als am Strand Es Trenc. Drei Kilometer langer Sand, der sich langsam flach ins Meer schiebt. Nur wenige vulkanraue Gesteinsgruppen dazwischen und dichtes Piniengebüsch randseits. Willkommene Verstecke für Liebende, die sich noch schämen können. Ein Kilometer nordwärts unserer Finka.
Frühstücken langsam. Wie gestern schon. Und vorgestern. Der dritte Tag beginnt wie an den Vortagen mit panesillos und Honig. Den Cylontee hatten wir mitgenommen. Spanier sind keine Teetrinker. Irgendwie aber haben sich „Teekanne“- Beutel in Marias Comestibles verirrt. Der Tourismus gewinnt an Fahrt. Die Alemanas sind da.
Vorsichtshalber schließe ich die Tür der Finka. Stecke den Schlüssel in den Brustbeutel. So, los geht´s. Hüpfen durch den abschüssigen Garten vorbei an Stacheligem, Kakteen, Agaven und anderen fleischigen Stachelpflanzen, deren Name mir entfallen ist. Sie speichern das knappe Wasser gelegentlicher Schlauchspritzerei oder seltener Regenfälle im Jahr. Im ausgetrockneten Boden gedeiht nichts anderes. Blüht aber noch, wie jetzt, im Juni. Das Lattentor auf und wieder zu.
Wir sind auf dem Weg, der kein Weg ist. Eher ein Stolpersteinpfad. Hüpfen mehr als wir gehen von Stein zu Stein. Bleiben einen Moment stehen, wenn eine sandige Strecke uns dazu einlädt. Sehen immer wieder den unentwegt anrollenden Wogen zu. Suchen das ferne Ufer. Überspringen den niedrigen Zaun eines Nachbarn. Der meint damit sein Revier vor fremdem Zutritt zu schützen. Deutsche Zäune sind höher.
Hinter einem engmaschigen Gitter kläfft ein Köter, als wir vorübergehen. Einer der fahlgelben, die hier frei herumlaufen und nach mitleidigen Mädchen schnüffeln. Hin und wieder erwischen sie eines, das ihn mit zu sich nachhause nimmt und verwöhnt. Meine Dorothee hatte so einen Bilbo. Es gelang ihr, ihn zu einem gehorsamen Menschenfreund zu erziehen.
In meinem Kopf Es Trenc. Lockt mit bisher nur geträumten Möglichkeiten. Nackt ins wogende Meer laufen. Weiter, immer weiter, bis die Füsse den Sandboden nicht mehr spüren. Mit ausgestreckten Zehen abstoßen, und sich den wiegenden Wassern überlassen. Ob Rose genauso denkt? Genauso fühlt? Ihr Gesicht ist ungeschminkt. Die Augen blitzen unternehmungslustig. So noch nicht gesehen. In meinem Hirn breitet sich Hoffnung aus. Ungeahnte, widersinnige Hoffnung auf Paradies. Hier am Strand von Es Trenc und seinen Steinburgen und Pinienbüschen. Liebesakt im wogenden Meer? Verrückt!
Wir passieren soeben das achtgeschossige Hotel „Tres Playas“ mit Terrasse und eingegrenzten fünfzig Metern eigenem Strand und ebenso viel oder wenig Meer. Die ein und andere Badehaube blitzt gelb und rotweißgestreift aus dem Blau. Aufgeblasene Ringe und Disney-Enten in den Händen schreiender Kinder. Üblicher Lärm am Morgen.
Es ist etwa zehn Uhr dreißig. Der Sand noch feucht von kühler Nacht. Wir reißen die Sandalen von den Füßen, lassen sie am Mittelfinger der linken Hand baumeln. Während die rechte die Strandtasche schleppt. Abwechselnd einer von uns. Denn sie wiegt. Badetücher, Sonnenmilch, Brötchen, Käsestück, Orangen, Wasserflasche, eine halbe Wein, zwei Bücher und die Kamera.
Stapfen fröhlich durch den pappigen Sand, der unsere Fussohlen für den nächsten Schritt nur zögernd wieder frei gibt. Es ist schon ein wenig anstrengend, durch feuchten Sand zu stapfen. Aber immer noch angenehmer, als sich für jeden Schritt aus Fliesssandtälern wieder hochzuarbeiten. Nur noch ein halber Kilometer bis Es Trenc.
Entdecke, von jedem unserer Füße bleibt ein individueller Abdruck. Ob wir ihn am Abend wiederfinden? Sieht doch aus wie jeder andere. Ungeeignet für die Rasterfahndung. Wenn es denn einem Kriminalisten Anlass gäbe.
Meine Augen suchen bereits mit detektivischer Neugier den Ort, an dem wir uns niederlassen könnten. Noch sind es zweihundert Meter bis zum Es Trenc, geschätzt. Noch zu viele Menschen in der Brandung. Es ist eine sanfte Brandung. Auch wenn es sich draußen überschlägt und sich immer wieder überschlagend heranrauscht wie an jedem Strand. Der sich hier, sanft ansteigend, den stetig anrollenden Wellen widerstandslos unterwirft. Opposition liegt ihm nicht.
Dann nur noch wenige Leute, die unentschlossen herumlaufen, als suchten sie eine einen idealen Platz, den es überall gibt. Endlich lassen sie sich nieder. Auf rotgrünweißen, großzügig ausgebreiteten Tüchern. Beginnen, ein üppiges Mittagessen auszupacken, Flaschen zu öffnen. Es hat den Anschein, als blieben sie hier eine Weile.
Erleichtert schnappe ich mir Roses Hand. Ich hätte es schon längst tun sollen. Hand in Hand durch´s Paradies schlendern. Wie Adam und Eva vor dem Apfeldesaster. Noch einhundert Meter. Schief hängendes Schild an einem halb durchgerosteten Rohr. „Es Trenc“. Hier also Mallorcas berühmtester Strand.
Was sehen wir? Die gleiche Wassersandformation wie bisher. „Das soll die Illusion von Paradies sein?“ Rose fragt es und sagt: „Kein Mensch zu sehen. Vielleicht ist es das? Nur wir zwei. Nicht zu fassen. Hier ist es zu schön, zu abstrakt für andere. Ohne Buden, Sangria und lärmende Musik-Kulisse. Schau ChouChou, der riesige Meersandbogen unter dem Wolkenblau des Himmels. Dunkelgrün begrenzt vom Pinienwald. Und wirklich kein Mensch zu sehen. Bis jetzt“.
Das hätte ich so formulieren können. Meine Rose sieht und denkt wie ich, stelle ich beglückt fest. Antwortete mit einem gewissen Hintergedanken: „Da, die einsame, malerische Felsgruppe am Wasser. Bizarres Motiv, umgeben von friedlichem Gelb und Blau. Das muß ich fotografieren. Dort bleiben wir, bis uns die Mittagssonne zu heiß wird. Dann verkriechen wir uns in den Schatten der landeinwärts dicht beieinander stehenden Pinien.“ Die Kamera kichert in der Lederhülle. War ich es selbst? Sortiere schnell das, was ich kommen sehe. Und lächle so für mich hin.
Wir gehen bis an die Felsgruppe, die sich in der Nähe als ideales Liebesnest entpuppt. U-förmige Steinformation, deren drei Seiten, optimistisch betrachtet, Lehnen eines breiten Sessels sind. Der Rücken etwas höher als die beiden Armauflagen. Meerwind und Flut hatten uns den Gefallen getan, viel Sand anzuhäufen. Sodass es ein breites Polsterkissen wurde. Zwischen den Steinblöcken.
Der harte Stein in Jahrtausenden von Winter-Stürmen weicher gewaschen und hautfreundlich. Ringsum schon trockener Sand, vom Wind zu optisch wollweich wirkenden Teppichen modelliert. Es scheint alles schön gepolstert zu sein für Liebende. Wir ziehen die Hemden aus. Von jetzt auf gleich nackt. Bis auf die unteren Dreiecke.
„Kannst Du mir mal den Rücken eincremen?“ „Nichts, was ich lieber täte“. An die anderen Teile ihres Körpers lässt Rose mich nicht ran. Sie reicht mir ihre Flasche. Teure Shiseido aus Japan. „Nimm die, es gibt