Mallorca mit allen Sinnen. Otto W. Bringer
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Rose auf dem Bauch, ich auf dem Rücken. Sie beginnt zu erzählen. Lässt mich in ihre Vergangenheit blicken. Erzählt, den Kopf zur Seite gedreht, so daß ich ihr Profil bewundern kann. Dieses scharf geschnittene, das so weich sein kann, wenn ich ihr ein neues Gedicht vortrage. Ihr schöner Busen beeindruckt den dickweichen Sandteppich so sehr, daß er seine Form bewahrte, als sie aufsteht, zum Schwimmen, später. Den Abdruck möchte ich in Gips abnehmen und dann in Bronze giessen lassen. Busen waren immer schon mein Thema.
Was treiben mich für Gedanken? Die doch bei ihr sein sollen, wenn sie aus ihrer Kindheit erzählt. Von den Großeltern in Au. Einem kleinen Dorf am Wendelstein in Bayern. Was bewegt sie nur, am flachen Meer vom vierzehnhundert Meter hohen Kalkgestein zu erzählen? Sie will nichts anderes, als sich zurückwünschen, denke ich mir. In eine Zeit, die sie als die schönste erinnert. Und Kind sein. Unschuldig, neugierig auf die Welt. Glücklich sieht es mich an. Das Kind. Entdecke im Sand eine schimmernde Muschel.
Plötzlich, wie aus heiterem Himmel springt sie auf, läuft aufs Wasser zu. „Juchuu“ und hinein. Das Meer bäumt sich auf gegen das fremde Wassertier und verspritzt aufgeregten Widerstand. Wirbelt um ihre Hüften. Legt sich wieder, als sie mit zügigen, kräftigen Stößen loslegt und mir rasch entschwimmt. Schneller als ich vermutete. Muss mich beeilen, um Roses Vorsprung aufzuholen. Es wird nicht leicht sein, mit den ungeübten Gliedern eines Schreibtischtäters die muskulösen einer trainierten Reiterin zu schlagen.
Ich weiß nicht, wie lange wir so hintereinander schwimmen. Meine Uhr blieb in der Finka. Einerseits ist sie nicht wasserdicht. Andererseits wollte ich zeitlos sein. Mein Abstand zu Rose verringert sich peu à peu. Das Ufer und unser Felsennest werden immer kleiner. Da höre ich Rufe. Sehe einen Arm winken. Sie ist nicht weiter geschwommen und wartet auf mich. Hole tief Luft, tauche ein und lege die letzten Meter sportlich zurück. Stolz wie Oskar.
Schon umschlingen meinen Nacken zwei weiche Arme. Gleiten den Rücken entlang abwärts. Nicht weiter. Ein Schubs vor meine Brust lässt mich taumeln, Wasser schlucken, das verflixt salzig schmeckt. Ich bin im Meer, wird mir blitzartig klar. Und vor mir die Frau, die ich liebe. Sie lacht, höre es kaum vor lauter Wellenlärm.
Sehe aber ihr sonnenhelles Gesicht. Augen, die Salzwasser aus den Lidern zwinkern. Und keine Atemnot. Sie schwimmt besser als ich. „Du bist die Siegerin“ schreie ich laut gegen das Rauschen. Wieder umfangen mich ihre weichen Arme. Ziehen mich heran. Halten meinen Nacken umschlungen, als müsste sie sich festhalten. Ich arbeite derweil fleißig mit den Beinen, um nicht abzusaufen. Sie scheint es leichter zu haben an meinem Hals.
Bis eine Woge die Umarmung löst. Ich spüre ihren Leib an meinem Leib ab und auf und abgleiten. Und wachsende Lust. Eine zweite Woge presst mich an sie, als wären wir eins. Das Spiel wiederholt sich. Wie oft, zähle ich nicht. Die Zeit steht still. Bis Rose mich wie aus weiter Ferne weckt: „Ich habe Hunger“. Ihre Zeit ist ihre Zeit. Lässt die Stunde schlagen, was sie schlägt. Diesmal meldet sich der Hunger bei ihr. Rose küsst mich noch schnell, bevor wir zurückschwimmen. Ihre Lippen schmecken salzig.
Die Sonne ist auf ihrem höchsten Stand angekommen. Heiße Luft beginnt, unsere Schweißporen zu öffnen. Die Abkühlung im Meer vorhin verliert ihre Wirkung. Wir flüchten in den Schatten der Pinien. Nehmen unser Reisegepäck mit. Harziger Duft umfängt uns. Hüllt uns in einen Schleier aus gestern, heute und morgen.
Zum Glück finden wir wieder einen Teppich aus trockenem Sand. Nicht so voluminös, aber weicher als der im eben verlassenen Felsennest. Breiten die beiden unigelben Badetücher aus. Legen Brot, Käse und Wasser zurecht, die Bücher. Die Kamera? Rasch nehme ich sie und fotografiere drauf los.
Rose in allen Positionen. „Lauf doch noch einmal ins Meer, bitte, bitte.“ Sie hatte ihren Bikini schon ausgezogen und in die Sonne gelegt. Läuft trotzdem, mir zuliebe. Ich fotografiere sie von hinten mit ihrem süßen, kleinen Po. Rose benimmt sich so selbstverständlich wie ein neugeborener Nackedei. Komischerweise reizt mich das nicht zu Überfällen. Im Gegenteil. Dann setzen wir uns nebeneinander zum comida principal, spanisch Mittagessen. Frugal wie auf Picassos Bild. Aber einmalig. Wie Picassos Bild.
Ein weicher Wind vom Meer her bewegt die Zweige. Es knistert, ein Zapfen fällt auf das Badetuch. Ein zweiter rollt weiter, aber Rose fängt ihn gerade noch ein. Für den Frühstückstisch in der Finka.
„Jedem seinen Pinienzapfen“, meint sie. „Erinnert an das Fruchtbarkeitssymbol auf den Säulen der Babylonier und Renaissancefürsten. Jetzt an unseren ersten Tag am Meer“. Donnerwetter, denke ich, sie kennt Symbole aus der Kunstgeschichte.
Schon ahne ich, was mir bevorsteht. Lauter kleine Details mit der außerordentlischen Eigenschaft, glücklich zu machen. Für einen Moment. Unser Alltag wird der Himmel sein. Wir streicheln uns. Kommen niemandem näher als er mag. Es berühren sich beim Küssen nur die Lippen. Die so wunderwirkende Worte aussprechen können wie „Te amo“. Früher schon lernten wir das verwandte italienische „ti amo“ kennen. Das französische „Je t´aime“. Wir bleiben immer dieselben bei allen Idiomen.
Das englische „I love you“ überliessen wir anderen. Zwei, drei gefühlte Stunden vergehen. Mit Träumen, Lesen, Träumen. Und wenigen Worten zwischendurch. Ein mildwarmer Nachmittag meldet sich an. „Wollen wir noch mal?“ Rose springt auf. Ich blicke sie an. In ihren Augen nichts als Meer. Mein Korpus bequemt sich nach der Liegepause in die Senkrechte. Langsamer als die gertenschlanke Frau.
„Wenn du willst, gern“. Entfährt es mir noch. Wir laufen zum Wasser. Als schäumende Wellen meine Knöchel kitzeln, bin ich dabei. Schreie laut gegen die Brandung: „Dann wollen wir mal.“ Und wieder hinein und hinaus. Kein Blick zurück, als interessiere nicht mehr, was hinter uns liegt.
Wir schwimmen weit. So weit, bis der Boden unsere Füße verliert. Dunkel wird von fünfzig Metern und mehr. Und für uns Laien unergründlichen Geheimnissen. Es wogt um uns. Wiegt uns wie eine Mutter. Lässt uns nicht fallen. Meerwasser trägt. Ein Gefühl von Sicherheit erfüllt mich.
Rose empfindet es genauso, wir sie mir später erzählt. In diesem Hochgefühl schwimmen wir weiter. Als gäbe es keine Rückkehrpflicht. Lassen das blaugrünweiche Wasser unsere Körper streicheln und wiegen. Das Gleichmass der wogenden Wellen alle anderen Gedanken wegschwemmen. Als wir wieder Boden unter den Füßen haben, wirft sich Rose an mich. Drängt und lässt mich drängen und das tun, was mich seit heute Morgen plagt. Wir spüren jeden Quadratzentimeter unserer Haut.
Das Glück scheint vollkommen. Es ergreift uns. Wir passen zusammen wie Schraube und Mutter. Ein Wunder, das nur die Liebe vollbringt. Oder die Massarbeit eines liebenden Gottes? Möchte diese Metapher festhalten. Sofort aufschreiben. Wende mich landwärts. Rose folgt, überholt mich und ist wieder die erste am Ziel. Der Tag endet anders als er begonnen hat.
Wir sind eingetaucht in einen Kosmos aus Wasser, Sand, Pinien, Himmel und tausend neuen Versen. Grünblauen, ockerhellen und weißblauen. Ich habe kein Ende gesehen. Alle Blätter meines Notizblocks voll geschrieben.
Zwei Jahre später bevölkern Massen den einsamen Es Trenc. Sie kommen in Bussen und Heerscharen von Kleinwagen. Im Nu ist der Parkplatz fertig und ein halb verfallener Bauernhof nahebei zum Schnellrestaurant umgemodelt. Irgendein Verantwortungsloser hatte die Werbetrommel gerührt. Und mit Nacktfotos in den Journalen Begierden geweckt. Unser Bild vom Sandstrand Es Trenc bleibt ungetrübt. Startplatz unserer wachsenden Liebe zu einer Insel im Mittelmeer.
Marias