Der Diktator oder Mr. Parham wird allmächtig (Roman). H. G. Wells
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Читать онлайн книгу Der Diktator oder Mr. Parham wird allmächtig (Roman) - H. G. Wells страница 12
»Ich wollte Ihnen zur Seite stehen«, würde Mr. Parham dann sagen. »Ich wollte Ihnen zur Seite stehen.«
Eine Zeitlang erblickte Mr. Parhams geistiges Auge nichts als marschierende Truppen, Scharen über Scharen, Regimenter und Kompagnien. Sie marschierten zu den Klängen der Negermusik, marschierten und verschwanden in der Ferne. Und die Musik wurde immer leiser.
Mr. Parhams Antlitz wurde in der Dunkelheit fest, ruhig und gelassen. Ernste Entschlossenheit erhob sich über dem kummervollen Getriebe seiner Gedanken und zwang sie nieder. Der Champagner machte einen letzten schwachen Versuch der Auflehnung.
Gleich darauf gaben seine Lippen nach: Der Mund öffnete sich ein wenig …
Tiefe regelmäßige Atemzüge, die alsbald ein sägendes Geräusch verursachten, belehrten die Maus hinter der Wandleiste, daß Mr. Parham eingeschlafen war.
5
Auf gewundenen Pfaden
Auf solche Art hob die Freundschaft zwischen Mr. Parham und Sir Bussy Woodcock an. Sie sollte nahezu sechs Jahre dauern. Die beiden Männer hatten ebenso viel Anziehendes wie Abstoßendes für einander, und vielleicht hielt gerade diese Tatsache ihre Verbindung aufrecht. Im allgemeinen empfand Mr. Parham die Beziehung als ein Bemühen seinerseits, den so merkwürdig begabten und erfolgreichen Abenteurer zu der Parhamschen Weltanschauung zu bekehren, ihn in die Politik zu verwickeln und ihm ratend und leitend zur Seite zu stehen, sowie diese politische Betätigung Schwierigkeiten bieten würde, ihn zu einer bedeutenden Gestalt in der Geschichte des britischen Imperiums und der Welt zu machen – zu einer bedeutenden Gestalt mit einem Zwillingsstern. Im besonderen aber sollte die Beziehung Mr. Parham finanzielle Unterstützung bringen, sollte ihn und eine Gruppe von Schriftstellern und Universitätsprofessoren, die er um sich zu sammeln gedachte, instand setzen, die Welt so weiter zu steuern, wie sie immer gesteuert worden war. Wenn einst die Geschichte der nächsten fünfzig Jahre geschrieben werden würde, sollten die Leute sagen: »Hier hat Parham die Hand im Spiele gehabt« oder: »Das war einer von Parhams Anhängern«. Doch wie schwer war es, dieses Finanz-Rhinozeros, wie Parham seinen Freund mitunter insgeheim nannte, zur klaren Erkenntnis irgend einer Aufgabe zu bringen und es eine Politik verstehen zu lehren, die über das nunmehr fast schon automatisch gewordene Verfahren des Aufkaufens und mit Profit Wiederverkaufens hinausging.
Zu Zeiten schien der Kerl völlig rückgratlos, ein leichtsinniger Verschwender, der mehr Geld zu machen imstande war, als er hinauswarf. Er sagte: »Nu! Jetzt will ich einmal einen Spaß haben«, und dann mußte man entweder auf seine Gesellschaft verzichten oder ihm nach den seltsamsten und absonderlichsten Winkeln der Welt folgen.
Mr. Parham erlebte Zeiten, da er schwer verärgert war, aber auch solche, die ihn zu den besten Hoffnungen berechtigten. Ganz plötzlich begann Sir Bussy mitunter über politische Parteien zu sprechen, und das mit einem Wissen und einem Scharfsinn, die seinen Freund in Erstaunen versetzten. »Es wäre ein Spaß, ihnen allen den Garaus zu machen«, pflegte er dann zu sagen. Auch legte er in einem Gespräch über Rothermere, Beaverbrook, Burnham und Riddell ein Interesse an den Tag, in das sich etwas wie Neid zu mischen schien. Doch alle diese Gespräche fanden zu später Nachtstunde statt, andere Leute – verdächtige Leute – waren anwesend, und Mr. Parham fand keine Möglichkeit, einen bestimmten Vorschlag zu machen.
Mit einem Schlage wirbelte dann die ganze Gesellschaft wieder davon, wie dürre Blätter im Sturmwind. Auf einer großen gemieteten Jacht ging’s nach der Ostsee, nach Maine, Neufundland und dem St. Lorenzostrom. Die sonderbarsten Leute befanden sich an Bord. Oder Mr. Parham sah sich eines schönen Tages in die Betrachtung des Mittelmeers versunken, und das von einem Nizzaer Hotel aus, in dem Sir Bussy für die Weihnachtsferien ein ganzes Stockwerk gemietet hatte. Und mitunter kam Sir Bussy ganz unerwartet zu seinem Mentor, und es leuchtete so viel tatenlustige Wißbegier aus seinem Blick, daß Mr. Parham meinte, nun sei der Augenblick gekommen. Einmal lud er ihn ganz unvermittelt zu einem Theaterbesuche zu zweien in Monte Carlo ein; ein andermal kam er in London ebenso bescheiden zu Mr. Parham und forderte ihn auf, sich mit ihm das Lener-Quartett anzuhören.
»Hübsch«, sagte Sir Bussy, als sie den Konzertsaal verließen. »Eine hübsche Musik. Sie beruhigt einen und heitert einen auf. Ja, noch mehr. Es ist …« sein armer, ungebildeter Geist, dem keinerlei klassische Vergleiche zur Verfügung standen, suchte nach einem Bilde, »es ist, als ob man den Kopf in ein Kaninchenloch steckte und Klänge aus einer unterirdischen Märchenwelt hörte. Aus einer Welt, die es nicht gibt. Und Sie – bedeutet Ihnen die Musik noch mehr?«
»Oh!« stöhnte Mr. Parham. »Sie läßt uns den Himmel ahnen!«
»Nu!«
»Der heutige Abend hat uns erhoben und edler gemacht.«
»Ja? Ich weiß nicht. Es ist, als ob die Musik einem etwas sagen wollte, aber sagt sie einem wirklich etwas? Sie wird lebendig und fröhlich ohne Grund, so wie man in Träumen lebendig und fröhlich wird; und dann ist sie plötzlich wieder traurig und zart, man weiß ebenso wenig, warum. Im Märchenland wird ein toter Käfer begraben. Sie weckt allerlei Erinnerungen in einem – Gedanken, die zu Melodie und Rhythmus passen. Aber das Ganze hat keinen Zweck. Sie gibt einem nichts Wirkliches. Führt einen nirgends hin. Sie ist ein Genuß wie das Rauchen, etwas feiner vielleicht«, meinte Sir Bussy.
Mr. Parham zuckte die Achseln. Dem Barbaren war nicht zu helfen.
Ein Satz jedoch blieb in Mr. Parhams Gedächtnis haften. »Sie führt einen nirgends hin«, hatte Sir Bussy gesagt.
Wohin wollte er? Aus unserer schönen, prächtigen Welt hinaus, die so fest auf den Pfeilern der Geschichte ruht, aus unserer Welt mit ihren Ehren, ihren Rangunterschieden, ihren machtvollen Traditionen? Meinte er das?
Es kam Mr. Parham ein anderer Augenblick in den Sinn, da Sir Bussy einen ganz ähnlichen Gedanken hatte laut werden lassen. Sie hatten Neufundland besucht und fuhren eben über den Atlantischen Ozean nach den Azoren zurück. Die Nacht war wunderbar ruhig und mild. Mr. Parham hatte ziemlich heftig mit einer der hübschen jungen Damen geflirtet, die Sir Bussys Gesellschaften stets in sehr ansehnlicher Zahl verschönten, und ging nun vor dem Zubettgehen auf das Promenadedeck hinaus, um sich ein wenig Kühlung zu schaffen; auch wollte er sich gern auf die richtige Form einiger Horazischer Verszeilen besinnen, die ihm zu seinem Ärger seltsam verschoben und verstümmelt eingefallen waren. Er war außergewöhnlich kühn gewesen, und das junge Geschöpf hatte Furcht vorgeschützt und sich in seine Kabine zurückgezogen. Das Ganze war ein Scherz und völlig harmlos.
An der Reling entdeckte Mr. Parham seinen Gastgeber, der sich schwarz und außerordentlich klein von dem weiten tiefblauen Himmel abhob.
»Beobachten Sie das Meerleuchten?« fragte Mr. Parham in freundlich munterem Ton.
Sir Bussy schien nicht zu hören. Er hatte die Hände tief in die Hosentaschen versenkt. »Nu«, sagte er. »Gucken Sie sich einmal diese Unmenge Wasser an – unter dem geisterhaften Mond!«
Die Reden Sir Bussys verschlugen Mr. Parham mitunter den Atem. Man hätte meinen können, der Mond sei eben zum ersten Male aufgegangen, kreise nicht seit aller Ewigkeit am Firmament, sei nicht Diana, Astarte und Isis.
»Seltsam«, fuhr der sonderbare Mensch fort. »Wir sind hier fast im Weltenraume draußen. Jawohl. Wir befinden uns sozusagen oben auf einer Ausbauchung der Erdkugel, Parham. Dahin geht die Kurve hinunter nach Amerika und und dort nach dem alten Europa – mit all seiner muffigen alten Kunst und Geschichte, die Sie so lieben.«
»Das ›muffige alte Europa‹, wie Sie es zu nennen belieben, hat immerhin diese Jacht