KNIGGE: Über Eigennutz und Undank. Adolph Freiherr von Knigge
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dunkler und ungewisser hingegen, desto weniger
dringend. Drittens: je nützlicher eine Handlung in ihren
Folgen für das Ganze würklich ist, desto verdienstlicher
ist sie in sich selbst, desto edler ihr Zweck. Viertens: eine
Handlung, wobey gar keine Folge, gar kein Nutzen
vorauszusehn ist, hat gar keinen moralischen Werth, die
Vernunft kann kein denkendes Wesen dazu bestimmen,
und es wäre Unsinn, Pflichten von der Art anzunehmen.
16.
Bis hierher haben wir es nur mit den Bewegungsgründen
der Vernunft zu thun gehabt; indessen ist schon vorhin
gesagt worden, daß diese allein leicht zu einem, der
Gesellschaft schädlichen Egoismus verleiten könnte, und
daß der, welcher bey jedem Schritte nur allein ihre
Gründe zu Rathe ziehn und die sichern Folgen
calculieren wollte, vielleicht manche sehr edle, große und
nützliche Handlung unterlassen würde. Dafür nun aber,
daß das nicht geschehe, hat die schaffende Natur gesorgt,
indem sie dem Menschen die Anlage zu Gefühlen
gegeben hat, die ihn unwillkührlich zum Wohlwollen
gegen andre Wesen, zu rastloser Thätigkeit und zu
solchen Handlungen treiben, wovon er seiner Vernunft
keine Rechenschaft geben kann, die seinem eignen
Interesse ganz entgegen zu seyn scheinen, die ihm gar
keinen sinnlichen Genuß gewähren, und bey welchen er
doch eine Freude, ein Behagen empfindet, das er sich
nicht erklären kann. Allein weil doch auch selbst in
diesen Fällen die Hofnung eines höhern Genusses ihn
treibt, dem gröbern sinnlichen zu entsagen; so scheint
auch diese Art von moralischen Handlungen die
Beförderung der eignen Glückseligkeit zum versteckten
Motive zu haben. Um also den Menschen auch zu
solchen Thaten zu bewegen, bey welchen gänzliche
Aufopferung des eignen Nutzens und Vergnügens zum
Besten des Ganzen Statt findet, wird eine
Ueberspannung, ein Enthusiasmus erfordert, zu welchem
gleichfalls der Keim in der menschlichen Seele liegt, die
große Thaten gebiehrt, welche man aber nicht eigentlich
in die Reihe moralischer Handlungen setzen darf, das
heißt, in die Reihe solcher Handlungen, wozu uns die
nüchterne, reine Vernunft die Motive eingiebt. Endlich
kommen dann noch zu diesem Allen die religiösen
Bewegungsgründe hinzu, nämlich die Aussicht in ein
künftiges Leben, der Drang sich das Wohlgefallen des
vollkommensten Wesens zu erwerben, und die Hofnung,
in einem seligen Zustande nach dem Tode, die Folgen
und die Belohnung solcher Thaten einzuerndten, die in
dieser Welt für uns keine wohlthätige Folgen haben
können. Daß abermals auch hierbey die Beförderung der
eignen Glückseligkeit, obgleich von höherer und reinerer
Art, das Haupt-Motiv sey, fällt in die Augen.
17.
Ich habe vorhin gesagt und zu beweisen gesucht, daß bey
allen Antrieben zu unsern Handlungen, auch zu solchen,
wozu uns Sinnlichkeit, Instinct und religiöses Gefühl
hinziehen, die Vernunft unsre Leiterinn und Regiererinn
seyn müsse, wenn diese Handlungen moralisch gut
ausfallen sollen, das heißt, daß die Rücksicht auf Zweck,
Folge und Nützlichkeit zum Besten des Ganzen, in so
fern dies unser eigenes Wohl mit befördert, in Betracht
kommen müsse. Nun aber könnte man einwenden: es
gäbe Fälle, wo das eigne specielle Interesse und
Vergnügen dem Handelnden so nahe liegen, der
entferntere, damit streitende Vortheil des Ganzen
hingegen ihm unmöglich so dringend vorkommen
könnte, wo er auch unbemerkt und ungeahndet von
Seiten der bürgerlichen Gesellschaft, eine That verüben
könne, die seinen Wohlstand befördern, hingegen freylich
der geselligen Zusammenlebung nachtheilig seyn müßte;
und endlich, wenn er nun gar auf die Vortheile Verzicht
thun wollte, die durch Unterlassung einer solchen
Handlung zum Besten des Ganzen auf ihn zurückfiele; so
würde ihn, in diesen Fällen, seine überlegende Vernunft
bewegen, das entferntere Wohl des Ganzen dem nähern
Privat-Vortheile aufzuopfern. Allein hierauf antworte ich
erstlich: es liegt ein philosophischer Widerspruch darinn,
behaupten zu wollen, ein einzelner Theil könne Vortheil
davon haben, wenn das Ganze leidet, zu dem er gehört
und zweytens: es steht gar nicht in der Willkühr des, in
gesellschaftlicher Verbindung lebenden Menschen, vie
Vortheile abzuleugnen, oder ihnen zu entsagen, die durch
die Ordnung im Ganzen auf ihn zurückfallen; denn er hat