Maria Stuart. Stefan Zweig

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Maria Stuart - Stefan Zweig

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von der Natur zum würdigsten Erben der Krone berufen. Allein die politische Schwäche seiner Position hatte James V. seinerzeit gezwungen, auf eine legale Ehe mit der sehr geliebten Lady Erskine zu verzichten und zur Festigung seiner Macht und seiner Finanzen sich mit einer französischen Prinzessin, der Mutter Maria Stuarts, zu vermählen. So lastet auf diesem ehrgeizigen Königssohn der Makel der unehelichen Geburt, der ihm für alle Zeit den Weg zum Throne sperrt. Wenn ihm auch auf die Bitte James' V. der Papst öffentlich nebst fünf anderen Liebeskindern seines Vaters das königliche Blut zuerkennt. Moray bleibt dessenungeachtet Bastard und von jedem Anspruch auf die väterliche Krone ausgeschlossen.

      Unzählige Male hat die Geschichte und ihr größter Nachbildner, Shakespeare, die seelische Tragödie des Bastards gestaltet, dieses Sohnes und Doch-nicht-Sohnes, dem ein staatliches, ein geistliches, ein irdisches Gesetz unbarmherzig das Recht nimmt, das Natur ihm in Blut und Antlitz geprägt. Verurteilt durch das Vorurteil – das härteste, das unbeugsamste aller Urteile –, sind diese Unehelichen, diese nicht im Königsbett Gezeugten, hintangesetzt den meist schwächlicheren, weil nicht aus Liebe, sondern aus politischer Berechnung gezeugten Erben, ewig Zurückgestoßene und Ausgestoßene und zu Bettel verdammt, wo sie befehlen und besitzen sollten. Wird aber einem Menschen der Stempel der Minderwertigkeit sichtbarlich aufgedrückt, so muß dieses dauernde Minderwertigkeitsgefühl ihn entweder entscheidend schwächen oder entscheidend stärken; ein solcher Druck kann einen Charakter brechen, oder er kann ihn wundervoll härten. Feige und laue Charaktere werden durch solche Demütigkeit noch kleiner, als sie waren; als Bettler und Schmeichler lassen sie von den anerkannt Legitimen sich beschenken und beamten. In starken Naturen aber steigert Zurücksetzung alle dunklen und gebundenen Kräfte; wo ihnen der gerade Weg zur Macht nicht gutwillig gewährt ist, werden sie lernen, Macht aus sich selbst zu schaffen.

      Moray nun ist eine starke Natur. Die wilde Entschlossenheit seiner königlichen Stuartsahnen, ihr Stolz und ihr Herrscherwille wogen stark und finster in seinem Blut; als Mann, als Erscheinung überragt er durch Klugheit und klare Entschlossenheit um Haupteslänge das kleine raffgierige Geschlecht der andern Lords und Barone. Seine Ziele sind weit gesteckt, seine Pläne politisch überdacht; klug wie seine Schwester, ist der Dreißigjährige ihr durch Besonnenheit und männliche Erfahrung unermeßlich überlegen. Wie auf ein spielendes Kind blickt er auf sie herab und läßt sie spielen, solange ihr Spiel nicht seine Kreise stört. Denn als reifer Mann gehorcht er nicht wie seine Schwester heftigen, nervösen romantischen Impulsen, er hat nichts Heldisches als Herrscher, aber er kennt dafür das Geheimnis des Wartens und Sichgeduldens, das den Erfolg sicherer verbürgt als der rasche leidenschaftliche Elan.

      Erstes Anzeichen einer wirklichen politischen Begabung bleibt es allezeit, wenn ein Mann von vornherein darauf verzichtet, Unerreichbares für sich zu fordern. Dieses Unerreichbare ist für diesen unehelich Geborenen die Königskrone. Nie wird Moray, dies weiß er, sich James VI. nennen dürfen. So stellt der besonnene Politiker von Anfang an den Anspruch zurück, jemals König von Schottland zu werden, um desto gewisser Schottlands Herrscher zu bleiben – Regent, da er Rex niemals werden kann. Er verzichtet auf die Insignien der Macht, auf den sichtbaren Schein, aber nur, um die wirkliche Macht dann noch fester in Händen zu halten. Schon als junger Mensch rafft er die sinnlichste Form der Macht an sich. Reichtum, er läßt sich von seinem Vater viel vererben und viel von anderen schenken, er nützt die Auflösung der Klostergüter, er nützt den Krieg, bei jedem Fischzug füllt sich sein Netz als das erste. Ohne alle Hemmung nimmt er von Elisabeth Subsidien an, und wie seine Schwester Maria Stuart dann als Königin einzieht, muß sie in ihm bereits den reichsten und mächtigsten Mann des Landes erkennen, stark genug, um von niemandem mehr beiseite geschoben zu werden. Mehr aus Not als aus wirklicher Neigung sucht sie seine Freundschaft; sie gibt ihrem Stiefbruder, um die eigene Herrschaft zu sichern, alles in die Hände, was er begehrt, sie füttert seine unersättliche Gier nach Reichtum und Macht. Diese Hände Morays sind nun – zum Glück für Maria Stuart – wirklich zuverlässig, sie wissen zu halten und wissen nachzugeben. Ein geborener Staatsmann, bewährt sich Moray als Mann der Mitte: er ist Protestant, aber kein Bilderstürmer, schottischer Patriot und doch in guter Gunst bei Elisabeth, er ist leidlich Freund mit den Lords und weiß doch, ihnen im gegebenen Augenblick die Faust zu zeigen – im ganzen ein kalter, nervenloser Rechner, den der Schein der Macht nicht blendet und nur die Macht selbst befriedigt.

      Ein solch außerordentlicher Mann ist ein ungeheurer Gewinn für Maria Stuart, solange er an ihrer Seite steht. Und eine ungeheure Gefahr, sobald er ihr entgegentritt. Als Bruder durch gleiches Blut verbunden, hat auch rein egoistisch Moray alles Interesse, seine Schwester an der Macht zu erhalten, denn ein Hamilton oder ein Gordon an ihrer Stelle würde ihm nie soviel unbeschränkte Gewalt und Freiheit des Regierens gewähren; gerne läßt er sie darum repräsentieren, neidlos sieht er zu, wie man bei feierlichen Anlässen ihr Szepter und Krone voranträgt, sofern er nur die wirkliche Macht in seinen Händen weiß. Aber im Augenblick, da sie versuchen wird, selber zu regieren und seine Autorität zu mindern, stößt eisenhart Stuartstolz gegen Stuartstolz. Und keine Feindschaft ist furchtbarer, als wenn Ähnliches wider Ähnliches aus gleichen Trieben und mit gleicher Kraft gegeneinander kämpft.

      Auch Maitland of Lethington, der zweitwichtigste Mann ihres Hofes, Maria Stuarts Staatssekretär, ist Protestant. Aber auch er ist zunächst an ihrer Seite. Maitland, ein feiner Kopf, ein geschmeidiger, kultivierter Geist – »the flower of wits«, wie ihn Elisabeth nannte –, liebt nicht wie Moray herrisch und stolz die Macht. Ihn freut als Diplomat bloß das verworrene und verwirrende Spiel des Politisierens und Intrigierens, die Kunst der Kombination; ihm geht es nicht um starre Prinzipien, um Religion und Vaterland, um Königin und Reich, sondern um die artistische Kunst, überall die Hände im Spiel zu haben und nach eigener Lust Fäden zu knüpfen oder zu lösen. Er ist Maria Stuart, der er persönlich merkwürdig zugetan ist – eine der vier Marys, Mary Fleming, wird seine Gattin –, weder recht treu noch recht untreu. Er wird ihr dienen, solange sie Erfolg hat, und sie verlassen in der Gefahr; an ihm, der farbigen Wetterfahne, kann sie erkennen, ob der Wind günstig weht oder ungünstig. Denn als wahrer Politiker wird er nicht ihr, der Königin, der Freundin, dienen, sondern einzig ihrem Glück.

      Zur Rechten und zur Linken, in der Stadt und im eigenen Hause – schlimmes Vorzeichen! – findet also Maria Stuart bei ihrer Ankunft keinen verläßlichen Freund. Aber immerhin, mit einem Moray, mit einem Maitland läßt sich regieren und paktieren – unversöhnlich dagegen, unerbittlich, mit harter, mörderisch gesinnter Gegnerschaft, steht ihr vom ersten Augenblick der mächtigste Volksmann entgegen: John Knox, der Volksprediger von Edinburgh, der Organisator und Herr der schottischen »kirk«, der Meister religiöser Demagogie. Mit ihm hebt ein Kampf an um Sein oder Nichtsein, um Leben oder Tod. Denn der Calvinismus des John Knox stellt keineswegs eine bloß reformatorische Erneuerung der Kirche dar, sondern ein starres Gottesstaatssystem und damit gewissermaßen einen Superlativ des Protestantismus. Herrisch und als Herrscher tritt er auf, zelotisch heischt er selbst vom Könige sklavische Unterordnung unter sein theokratisches Gebot. Mit einer Hochkirche, mit einer Lutherkirche, mit irgendeiner milderen Form der Reformation hätte Maria Stuart sich gemäß ihrer weichen und nachgiebigen Natur vielleicht verständigen können. Das Selbstherrliche des Calvinismus schaltet dagegen jede Verständigungsmöglichkeit für einen wirklichen Herrscher von vornherein aus, und selbst Elisabeth, welche sich Knoxens politisch bedient, um ihrer Rivalin Widerwärtigkeiten zu schaffen, verabscheut ihn persönlich wegen seiner unerträglichen Anmaßung. Wie sehr erst muß dies finstere Eiferertum der durchaus human und humanistisch gesinnten Maria Stuart zum Ärgernis werden! Nichts konnte ihrer lebensfreudigen, ihrer genießerischen Art, ihrer musischen Neigung unfaßbarer sein als die nüchterne Strenge, die Lebensfeindlichkeit und der bilderstürmerische Kunsthaß, der Freudehaß dieser Genfer Lehre, nichts unerträglicher als der hochmütige Starrsinn, der das Lachen verbietet und die Schönheit als Verbrechen verurteilt, der alles zerstören will, was ihr teuer ist, die frohen Formen der Sitte, Musik, Dichtung und Tanz, und der überdies hier in einer an sich schon düstern Welt noch eine besondere Düsternis annimmt.

      Diesen steinharten, alttestamentarischen Charakter prägt in Edinburgh der »kirk« John Knox auf, der eisenköpfigste, zelotischeste, unbarmherzigste aller Kirchengründer und seinen

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