Maria Stuart. Stefan Zweig
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John Knox ist vielleicht der vollendetste Typus des religiösen Fanatikers, den die Geschichte kennt, härter als Luther, dem doch manchmal innerer Frohmut die Seele bewegte, strenger als Savonarola, weil ohne den Glanz und die mystische Erleuchtung der Rede. Durchaus redlich in seiner Geradlinigkeit, wird er durch dies grauenhafte Scheuklappendenken einer jener engen, strengen Geister, für die nur die eigene Wahrheit wahr ist, nur die eigene Tugend tugendhaft, nur das eigene Christentum christlich. Wer nicht seines Sinnes ist, gilt als Verbrecher, wer nur einen einzigen Buchstaben von seinen Forderungen abweicht, als Satansknecht. Knox hat den finstern Mut des von sich selbst Besessenen, die Leidenschaft des bornierten Ekstatikers und den stinkenden Stolz des Selbstgerechten: in seiner Härte schwelt zugleich eine gefährliche Freude an dem eigenen Hartsein, in seiner Unduldsamkeit eine finstere Lust an der eigenen Unfehlbarkeit. Mit seinem wallenden Bart steht er, ein schottischer Jehova, allsonntags auf der Kanzel von St. Giles und donnert Haß und Fluch gegen alle, die nicht seiner Predigt lauschen; grimmig schleudert er, der »kill joy«, der Freudetöter, Schmähungen gegen das »Satansgeschlecht« der Unbekümmerten, der Sorglosen, die Gott nicht genau nach seinem Buchstaben und seiner persönlichen Auffassung dienen. Denn dieser alte Fanatiker kennt keine andere Freude, als den Triumph der Rechthaberei, keine andere Gerechtigkeit als den Sieg seiner Sache. In ganz naiver Weise jubelt er auf, sobald irgendein Katholik oder ein anderer Gegner beseitigt oder gedemütigt ist; und wenn durch Mörderhand ein Feind der »kirk« aus dem Wege geräumt wird, so war es selbstverständlich Gott, der diese löbliche Tat gewollt und gefördert hat. Knox stimmt auf seiner Kanzel Triumphgesänge an, als dem armen kleinen Jungen Franz II., dem Gatten Maria Stuarts, der Eiter tödlich aus dem Ohre bricht, »das die Stimme Gottes nicht hören wollte«, und als Marie von Guise, Maria Stuarts Mutter, stirbt, predigt er begeistert: »Möge uns Gott in seiner großen Gnade bald von den andern aus dem Blute der Valois befreien. Amen! Amen!« Nichts von der Milde und der göttlichen Güte des Evangeliums spürt man je in seiner Rede, die er wie eine Zuchtrute drohend schwingt; nur der Rachegott ist sein Gott, der eifersüchtige und unerbittliche, nur das Alte Testament, das blutrünstige und barbarisch strenge, sein eigentliches Bibelbuch. Von Moab, von Amalek, von allen Feindesgestalten des Volkes Israel, die ausgetilgt werden sollen mit Feuer und Schwert, geht unablässig drohend seine Rede und damit gegen die Feinde des wahren – also seines – Glaubens. Und wenn er mit grimmigen Worten die Königin Jezabel der Bibel geißelt, so wissen seine Hörer wohl, welche Königin er in Wahrheit meint. Wie ein Gewitter, dunkel und großartig, das den freien Himmel verdüstert und die Seele mit zuckenden Blitzen und schmetterndem Donner ewig in Angst versetzt, hält der Calvinismus das schottische Land überzogen, und jeden Augenblick kann sich zerstörend die Spannung entladen.
Mit einem derart unbeirrbaren und unbestechlichen Mann, der nur befehlen will und nur gehorsame Gläubigkeit hinnimmt, gibt es keine Kompromisse; alles Werben und Sich-um-ihn-Bemühen wird ihn nur um so härter, höhnischer und anspruchsvoller machen. An dem steinernen Block eines solchen selbstfreudigen Starrsinns zerschellt jeder Versuch der Verständigung. Immer sind, die für Gott zu streiten vorgeben, die unfriedlichsten Menschen auf Erden; weil sie himmlische Botschaft zu vernehmen glauben, sind ihre Ohren taub für jedes Wort der Menschlichkeit.
Noch ist Maria Stuart nicht eine Woche in ihrem Lande, und schon muß sie dieses Fanatikers finstere Gegenwart spüren. Ehe sie die Herrschaft antrat, hatte sie nicht nur volle Glaubensfreiheit allen ihren Untertanen zugesichert – was ihrem toleranten Temperamente kaum ein Opfer bedeutete –, sondern sogar das Gesetz zur Kenntnis genommen, das in Schottland die öffentliche Zelebrierung der Messe verbietet – ein schmerzliches Zugeständnis dies an die Anhänger John Knoxens, dem es nach seinem Wort »lieber wäre, zehntausend Feinde in Schottland landen zu sehen, als eine einzige Messe gelesen zu wissen«. Aber selbstverständlich hat sich die strenggläubige Katholikin, die Nichte der Guisen, vorbehalten, in ihrer eigenen Hauskapelle ihre Religion ungehindert ausüben zu dürfen, und ohne Bedenken hatte das Parlament dieser gerechten Forderung zugestimmt. Jedoch kaum daß am ersten Sonntag in ihrem eigenen Hause, in der Kapelle von Holyrood, zum katholischen Gottesdienst gerüstet wird, drängt eine aufgereizte Menge drohend bis an die Türen; dem Mesner, der geweihte Kerzen zum Altare bringen will, werden sie mit Gewalt entrissen und zerbrochen. Immer lauteres Murren verlangt die Entfernung und sogar die Ermordung des »götzendienerischen Priesters«, immer aufgeregter werden die Rufe gegen den »Satansdienst«, ein Kirchensturm im eigenen Hause der Königin kann jeden Augenblick losbrechen. Glücklicherweise wirft sich Lord Moray, obwohl selbst Vorkämpfer der »kirk«, der fanatischen Masse entgegen und verteidigt den Eingang. Nach angstvoll beendetem Gottesdienst führt er den erschreckten Priester heil in sein Zimmer zurück; ein offenes Unheil ist verhütet, die Autorität der Königin noch mit Mühe gerettet. Aber die heiteren Feste der Ankunft zu ihren Ehren, die »joyousities«, wie sie Knox grimmig verhöhnt, sind zu seiner Freude grob unterbrochen: zum erstenmal spürt die romantische Königin in ihrem Lande den Widerstand der Wirklichkeit.
Ein Zornausbruch Maria Stuarts erwidert diese Beleidigung. In Tränen und harten Worten schäumt ihre erstickte Erbitterung auf. Und damit fällt abermals schärferes Licht auf ihren bisher noch undeutlichen Charakter. Diese junge, vom Schicksal seit frühester Jugend verwöhnte Frau ist ihrem innersten Wesen nach zart und zärtlich, nachgiebig und umgänglich; von den ersten Edelleuten des Hofes bis zu ihren Zofen und Mägden rühmt jeder ihre freundliche, unstolze und herzliche Art. Jeden weiß sie zu gewinnen, weil sie keinem gegenüber hart und hochmütig auf ihre Hoheit pocht und durch eine natürliche Lockerheit die Überlegenheit ihrer Stellung vergessen läßt. Aber dieser freigebigen Herzlichkeit liegt ein starkes Selbstbewußtsein zugrunde, unsichtbar so lange, als niemand daran rührt, leidenschaftlich jedoch sofort vorbrechend, sobald jemand gegen sie Widerspruch oder Auflehnung wagt. Oft hat diese merkwürdige Frau persönliche Kränkung zu vergessen gewußt, nie aber den geringsten Verstoß gegen ihr Königsrecht.
Nicht einen Augenblick will sie darum diese erste Beleidigung dulden. Eine solche Anmaßung muß gleich von Anfang an in Grund und Boden gestampft werden. Und sie weiß, an wen sie sich zu halten hat, sie weiß von diesem Langbart in der Ketzerkirche, der das Volk gegen ihren Glauben aufhetzt und auch diese Meute ihr ins Haus getrieben. Sofort beschließt sie, sich ihn gründlich vorzunehmen. Denn Maria Stuart, an die königliche Allmacht von Frankreich, an Gehorsam von Kindheit her gewohnt, im Gottesgnadengefühl aufgewachsen, kann sich Widerspruch eines Untertanen, eines Bürgermenschen gar nicht vorstellen. Auf alles und jedes ist sie eher gefaßt als auf das eine, daß jemand wagte, ihr offen und sogar unhöflich zu widersprechen. Dazu ist aber John Knox bereit und sogar freudig bereit. »Warum sollte das hübsche Gesicht einer Edelfrau mich erschrecken, der ich so vielen zornigen Männern ins Auge geblickt habe und doch niemals ungebührend erschrocken bin?« Mit Begeisterung eilt er in den Palast, denn zu streiten – wie er meint, für Gott zu streiten – ist jedes Fanatikers liebste Lust. Hat Gott den Königen die Krone, so seinen Priestern und Gesandten das feurige Wort verliehen. Über dem König steht für John Knox der Priester der »kirk« als Hüter des göttlichen Rechts. Seine Aufgabe ist, Gottes Reich im Irdischen zu verteidigen, er darf nicht zögern, die Unbotmäßigen mit dem harten Stecken seines Zornes zu züchtigen, wie es weiland Samuel tat und die biblischen Richter. So kommt es zu einer Szene wie im Alten Testament, wo Königsstolz und Priesterhochmut Stirn gegen Stirn aneinanderstoßen; nicht eine einzelne Frau und ein einzelner Mann ringen hier um die Oberhand, sondern zwei uralte Ideen begegnen einander zum tausendsten und abertausendsten Male in erbittertem Kampf. Maria Stuart versucht, milde zu sein. Sie wünscht eine Verständigung, sie verbirgt ihre Erbitterung, denn