Maria Stuart. Stefan Zweig

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Maria Stuart - Stefan Zweig

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Erde sich nicht einen Zoll tief beugt. Stumm und finster, nicht wie ein Angeklagter, sondern wie ein Ankläger, hört er der Königin zu, während sie ihm Vorwürfe macht wegen seines Buches »The first blast of trumpet against the monstrous regiment of women«, in dem er Frauen jedes Königsrecht bestreitet. Aber derselbe Knox, der wegen ebendesselben Buches sich vor der protestantischen Elisabeth nachträglich in demütiger Weise entschuldigte, beharrt vor seiner »papistischen« Landesfürstin mit allerhand zweideutigen Worten auf seiner Meinung. Allmählich wird die Aussprache energischer. Maria Stuart fragt Knox auf den Kopf zu, ob Untertanen ihrem Herrscher unbedingt zu gehorchen hätten oder nicht. Aber statt dies mit dem »Selbstverständlich« zu beantworten, das Maria Stuart erwartet, schränkt der geschickte Taktiker die Gehorsamspflicht mit einem Gleichnis ein: Wenn ein Vater den Verstand verliere und seine Kinder töten wolle, so hätten die Kinder das Recht, seine Hände zu binden und ihm das Schwert zu entreißen. Wenn Fürsten die Kinder Gottes verfolgen, so hätten diese ein Recht auf Widerstand. Die Königin spürt in dieser Verklausulierung sofort die Auflehnung des Theokraten gegen ihr Herrscherrecht. »Meine Untertanen haben also«, fragt sie, »Ihnen zu gehorchen und nicht mir? Ich bin also Ihnen Untertan und Sie nicht mir?«

      Dies ist zwar John Knoxens Meinung. Aber er ist zu vorsichtig, sie in Gegenwart Morays völlig deutlich auszusprechen. »Nein«, antwortet er ausweichend, »beide, der Fürst und die Untertanen, sollen Gott gehorchen. Könige sollen die Nährväter der Kirche sein und die Königinnen ihre Ammen.«

      »Aber Eure Kirche ist nicht jene, die ich nähren will«, sagt darauf, von seiner Zweideutigkeit erbittert, die Königin. »Ich will die römisch-katholische Kirche pflegen, die ich für die Kirche Gottes halte.«

      Jetzt schlägt endlich hart gegen hart. Der Punkt ist erreicht, wo es keine Verständigung gibt zwischen einer gläubigen Katholikin und einem fanatischen Protestanten. Knox wird kräftig unhöflich und nennt die römisch-katholische Kirche eine Hure, die nicht Gottes Braut sein dürfe. Und da ihm die Königin solche Worte untersagt, weil sie ihr Gewissen beleidigten, antwortet er herausfordernd: »Gewissen erfordert Kenntnis«, und er fürchte, die Königin entbehre der rechten Kenntnis. Statt einer Versöhnung erreicht dies erste Gespräch nur eine Verhärtung der Gegensätze. Knox weiß nun, daß dieser »Satan stark ist« und er von der jungen Herrscherin Nachgiebigkeit nicht erhoffen kann. »In der Auseinandersetzung mit ihr stieß ich auf eine Entschlossenheit, wie ich sie in diesem Alter bisher noch nicht gesehen habe. Seitdem ist der Hof für mich erledigt und ich für ihn«, schreibt er erbittert. Andererseits hat die junge Frau zum erstenmal die Grenze ihrer Königsmacht gespürt. Aufrechten Hauptes verläßt Knox das Zimmer, selbstzufrieden und stolz, einer Königin Trotz geboten zu haben, verstört bleibt Maria Stuart zurück und bricht, ihrer Ohnmacht bitter gewahr, in heiße Tränen aus. Aber es werden nicht die letzten sein. Bald wird sie erkennen, daß man Macht nicht bloß vom Blute her erbt, sondern unablässig durch Kampf und Demütigungen sich neu erobern muß.

      Der Stein kommt ins Rollen

      1561–1563

      Die ersten drei Jahre, welche die junge Königin als Königswitwe in Schottland verbringt, gehen ziemlich windstill und ereignislos dahin: es gehört zur besonderen Form ihres Schicksals, daß alles große Geschehen sich bei ihr immer (und dies hat die Dramatiker so sehr angezogen) in ganz kurze und elementare Episoden zusammenballt. Moray und Maitland regieren, Maria Stuart repräsentiert in jenen Jahren, und diese Teilung der Macht erweist sich als vortrefflich für das ganze Reich. Denn sowohl Moray als auch Maitland regieren klug und vorsichtig, Maria Stuart wiederum repräsentiert ausgezeichnet. Von Natur mit Schönheit und Anmut bedacht, wohlgewandt in allen ritterlichen Künsten, eine männlich kühne Reiterin, eine geschickte Ballspielerin, eine leidenschaftliche Jägerin, gewinnt sie schon durch ihre äußere Erscheinung allgemeine Bewunderung: mit Stolz blickt das Volk von Edinburgh auf die Stuartstochter, wenn sie frühmorgens, den Falken in der erhobenen Faust, inmitten der farbenleuchtenden Kavalkade ausreitet und freundlich-freudig jeden Gruß erwidert: etwas Heiteres, etwas Rührendes und Romantisches, ein Sonnenstrahl von Jugend und Schönheit ist mit dieser mädchenhaften Königin in das strenge und dunkle Land eingezogen, und immer gewinnt Schönheit, immer Jugend eines Herrschers geheimnisvoll die Liebe jeder Nation. Die Lords achten wiederum das Männlich-Kühne ihres Wesens. Tagelang kann diese junge Frau in wildestem Galopp ihrem Gefolge als erste und unermüdlichste voranstürmen; wie unter ihrer herzgewinnenden Freundlichkeit die Seele noch unausgefaltet einen ehernen Stolz, so verbirgt dieser gertenschlanke, zarte, leichte und fraulich-weiche Körper eine ungewöhnliche Kraft. Keine Anstrengung ist ihrem heißen Mute zuviel, und einmal, mitten in der Lust des wilden Hinjagens zu Pferde, sagt sie einem Begleiter, sie möchte gerne ein Mann sein, um auch dies zu kennen, wie es sei, die ganze Nacht im Felde zu verbringen. Als der Regent Moray gegen den aufständischen Clan der Huntlys in den Krieg zieht, reitet sie entschlossen mit, den Degen an der Seite, die Pistolen im Gürtel; wundervoll behagt ihr das heiße Abenteuer mit seinem neuen starken Reiz von Wildheit und Gefahr, denn sich ganz einzusetzen mit ihrer ganzen Kraft, ihrer ganzen Liebe, ihrer ganzen Leidenschaft, ist das innerste Seelengeheimnis dieser entschlossenen Natur. Aber einfach und ausdauernd wie ein Jäger, wie ein Krieger auf diesen Ritten und Fahrten, vermag sie anderseits wieder mit höchster Kunst und Kultur in ihrem Schloß als Herrscherin zu wirken, die Heiterste, die Liebenswürdigste in ihrer kleinen Welt: wahrhaftig vorbildlich vereinigt ihre knappe Jugend das Ideal des Zeitalters, Mut und Leichtigkeit, das Starke und das Milde in ritterlich romantischer Erscheinung. Ein letztes Scheidelicht troubadourischer Chevalerie leuchtet mit ihrer Gestalt in die nebelig kühle Nordwelt, die der Schatten der Reformation schon verdüstert.

      Niemals hat das Bild dieser romantischen Mädchenfrau oder Mädchenwitwe strahlender erglänzt als in diesem ihrem zwanzigsten, ihrem einundzwanzigsten Jahr: auch hier kommt ihr Triumph, weil unverstanden und ungenützt, zu früh. Denn immer noch ist ihr inneres Leben nicht voll erwacht, noch weiß die Frau in ihr nicht um den Willen ihres Blutes, noch hat sich ihre Persönlichkeit nicht geformt, nicht entwickelt. Immer nur in der Erregung, in der Gefahr wird die wahre Maria Stuart sich enthüllen, jene ersten Jahre in Schottland aber sind nur eine gleichgültige Wartezeit, ein zielloses spielendes Zeitverbringen, ein Sichbereithalten, ohne daß der innere Wille schon wüßte, wofür und für wen. Es ist wie das Atemholen vor einer großen, einer entscheidenden Anstrengung, ein blasser, ein toter Augenblick. Denn Maria Stuart, die als halbes Kind schon Frankreich zu eigen gehabt, genügt innerlich keineswegs dies karge Königsein in Schottland. Nicht um dieses arme, enge, abseitige Land zu beherrschen, ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt; von allem Anbeginn betrachtet sie diese Krone nur als Einsatz, um im Weltspiel eine glänzendere zu gewinnen, und vollkommen irren alle jene, die meinen oder bekunden, Maria Stuart hätte nichts anderes und Höheres gewünscht, als das Erbgut ihres Vaters still und friedlich als brave Erbwalterin der Schottenkrone zu regieren. Wer ihr so engen Ehrgeiz zumißt, verkleinert ihr seelisches Maß, denn in dieser jungen Frau lebt ein unzähmbarer, ein unbändiger Wille zu großer Macht; nie wird, die mit fünfzehn Jahren in der Kathedrale von Notre-Dame einem Königssohn von Frankreich vermählt wurde, die im Louvre prunkvoll als Gebieterin von Millionen gefeiert worden war, sich begnügen, Herrscherin zu sein über zwei Dutzend unbotmäßige und halbbäuerliche Grafen und Barone, Königin über ein paar hunderttausend Schafhirten und Fischer. Nichts ist künstlicher und unwahrhaftiger, als ihr a posteriori ein patriotisches Nationalgefühl anzudichten, das in Wahrheit eine Entdeckung späterer Jahrhunderte ist. Die Fürsten des fünfzehnten, des sechzehnten Jahrhunderts – mit Ausnahme ihrer großen Gegenspielerin Elisabeth – denken an ihren Völkern damals noch völlig vorbei und einzig an die persönliche Macht. Wie Kleider werden Reiche zusammengeschneidert und auseinandergestückelt, Krieg und Heirat formen die Staaten und nicht die innere Bestimmung der Nation. Man täusche sich also nicht sentimental: Maria Stuart war damals bereit, Schottland gegen den spanischen, den englischen, den französischen und jeden beliebigen Thron einzutauschen, keine Träne hätte sie wahrscheinlich der Abschied von den Wäldern und Seen und romantischen Schlössern ihrer Heimat gekostet; denn niemals hat ihr leidenschaftlicher Ehrgeiz dies ihr kleines Reich anders als ein Sprungbrett zu einem höheren Ziel gewertet. Durch Erbschaft weiß sie sich zur Herrscherin

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