Maria Stuart. Stefan Zweig
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Darum überläßt sie auch zu Anfang Moray und Maitland die Staatsgeschäfte ohne jede Eifersucht und sogar ohne wirklich teilnehmendes Interesse; neidlos – was gilt ihr, der früh Gekrönten, der vom Schicksal zu früh Verwöhnten dies arme enge Land? – läßt sie beide schalten und regieren. Niemals war Verwalten, Vermehren ihres Besitzes, diese höchste politische Kunst, Maria Stuarts Stärke. Sie kann nur verteidigen und nicht bewahren. Erst wenn ihr Recht bedroht, wenn ihr Stolz herausgefordert wird, erst wenn ein fremder Wille nach ihrem Anspruch greift, dann erwacht, wild und stoßhaft, ihre Energie: nur in den großen Augenblicken wird diese Frau groß und tatkräftig, jede mittlere Zeit findet sie mittelmäßig und gleichgültig.
In dieser stillen Zeit wird auch die Gegnerschaft ihrer großen Rivalin still; denn immer wenn das hitzige Herz Maria Stuarts Ruhe hält und sich bescheidet, beruhigt sich Elisabeth. Einer der bedeutendsten politischen Vorzüge dieser großen Realistin war es von je, Tatsachen anzuerkennen und dem Unvermeidlichen nicht eigenwillig zu widerstreben. Mit aller Macht hatte sie sich der Heimkehr Maria Stuarts nach Schottland entgegengestellt und alles getan, um sie hinauszuschieben; nun, da sie erfolgt ist, kämpft Elisabeth nicht weiter gegen die unumstößliche Tatsache und tut lieber alles, um mit ihrer Rivalin, solange sie sie nicht beseitigen kann, in ein freundliches Verhältnis zu kommen. Elisabeth – dies eine der stärksten positiven Eigenschaften ihres irrlichternden und eigenwilligen Charakters – liebt als kluge Frau nicht den Krieg, sie hat ängstliche Scheu vor gewaltsamen und verantwortlichen Entscheidungen; als berechnende Natur zieht sie lieber aus Verhandlungen und Verträgen ihren Vorteil und sucht die Oberhand durch geschicktes geistiges Spiel. Kaum daß Maria Stuarts Rückkehr nach Schottland gewiß war, hatte Lord Moray Elisabeth in beweglichen Worten gemahnt, mit ihr redliche Freundschaft zu schließen. »Ihr seid beide zwei junge, hervorragende Königinnen, und Euer Geschlecht sollte Euch nicht erlauben, Euren Ruhm durch Krieg und Blutvergießen erhöhen zu wollen. Jede von Euch weiß, von welchem Anlaß das feindliche Gefühl zwischen Euch seinen Ursprung genommen hat, und ich wünschte vor Gott, meine Herrin, die Königin, hätte es niemals auf sich genommen, einen Anspruch oder Titel auf das Reich Eurer Majestät zu erheben. Trotzdem hättet Ihr beide Freunde sein und bleiben müssen. Da sie aber ihrerseits einmal diesen Gedanken geäußert hat, fürchte ich, wird immer zwischen Euch Mißverstehen walten, solange dieser Anstoß nicht aus dem Wege geräumt ist. Eure Majestät kann nicht nachgeben in diesem Punkte, und sie wieder mag es als hart empfinden, da sie England durch ihr Blut so nahesteht, dort als Fremde behandelt zu werden. Wäre hier nicht ein mittlerer Weg möglich?« Elisabeth zeigt sich für einen solchen Vorschlag nicht unempfänglich; als bloße Königin von Schottland und unter der Hut ihres Pensionärs Moray ist Maria Stuart ihr ja vorderhand nicht mehr so gefährlich, wie sie es als Doppelkönigin von Frankreich und Schottland gewesen. Warum nicht ihr Freundschaft bezeigen, ohne sie im innersten Herzen zu empfinden? Bald kommt ein Briefwechsel zwischen Elisabeth und Maria Stuart in Gang, in dem eine der »dear sisters« der andern ihre herzlichsten Gefühle auf geduldigem Papier übermittelt. Maria Stuart sendet Elisabeth als Liebesgabe einen Brillantring, den diese mit einem noch kostbareren erwidert; beide spielen sie vor der Welt und vor sich selbst das erfreuliche Schauspiel verwandtschaftlicher Zuneigung. Maria Stuart versichert, sie »habe kein größeres Verlangen auf Erden, als ihre gute Schwester zu sehen«, sie wolle die Allianz mit Frankreich lösen, denn sie schätze Elisabeths Zuneigung »more than all uncles of the world«, Elisabeth wieder malt in ihrer großen feierlichen Schrift, die sie nur bei bedeutsamen Anlässen anwendet, die überschwenglichsten Versicherungen ihrer Neigung und Treue. Aber sofort, wenn es gilt, wirklich ein Abkommen zu treffen und eine persönliche Zusammenkunft zu bestimmen, weichen beide vorsichtig aus. Denn im Grunde stehen die alten Verhandlungen noch immer auf demselben toten Punkt: Maria Stuart will den Vertrag von Edinburgh mit der Anerkennung Elisabeths erst unterzeichnen, wenn Elisabeth ihr das Nachfolgerecht zuerkannt hat; dies wieder empfindet Elisabeth gleichbedeutend, als ob sie ihr eigenes Todesurteil unterzeichnete. Keine weicht einen Zoll breit von ihrem Recht, und so überdecken im letzten alle diese blumigen Phrasen nur eine unüberbrückbare Kluft. »Es kann«, wie Dschingis Khan, der Welteroberer, entschlossen sagte, »nicht zwei Sonnen am Himmel geben und nicht zwei Khans auf Erden.« Eine von den beiden wird weichen müssen, Elisabeth oder Maria Stuart; beide wissen dies im tiefsten Herzen, und beide warten auf den gegebenen Augenblick. Aber solange die Stunde noch nicht gekommen ist, warum nicht der knappen Pause im Kriege sich freuen? Wo Mißtrauen im tiefsten Herzen untilgbar lebt, wird der Anlaß nicht fehlen, die dunkle Flamme aufschlagen zu lassen zur verzehrenden Glut.
Manchmal bedrücken die junge Königin in jenen Jahren kleine Sorgen, manchmal verdrießt sie die Lästigkeit der Staatsgeschäfte, oft und öfter fühlt sie sich fremd zwischen diesen harten, kriegerischen Adelsleuten, widerlich ist ihr das Gezanke mit den eifernden Pfaffen und heimlichen Intriganten: in solchen Stunden flüchtet sie dann in ihr Frankreich, in die Heimat ihres Herzens zurück. Freilich, Schottland kann sie nicht verlassen, so hat sie sich in ihrem Schlosse in Holyrood selbst ein eigenes Kleinfrankreich gegründet, ein winziges Stück Welt, wo sie ganz unbeachtet und frei ihren liebsten Neigungen leben kann, ihr Trianon. In dem runden Turm von Holyrood errichtet sie nach französischem Geschmack einen chevaleresken, einen romantischen Hofhalt; von Paris hat sie Gobelins gebracht und türkische Teppiche, prunkvolle Betten und Möbel und Bilder, ihre schön gebundenen Bücher, ihren Erasmus, ihren Rabelais, ihren Ariost und Ronsard. Hier wird französisch gesprochen und gelebt, hier bei flackernden Kerzen abends Musik gemacht, Gesellschaftsspiele werden veranstaltet, Verse gelesen, Madrigale gesungen. Zum erstenmal an diesem Miniaturhofhalt werden hier die »Masques«, die kleinen klassischen Gelegenheitsspiele jenseits des Kanals versucht, die später das englische Theater zur höchsten Blüte entfaltet. Bis spät nach Mitternacht wird in Kostümen getanzt, und bei einem dieser Maskentänze, »The purpose«, erscheint die junge Königin sogar als Mann verkleidet, in schwarzen straffen Seidenhosen, während ihr Partner – der junge Dichter Chastelard – als Dame vermummt ist, ein Anblick, der wahrscheinlich John Knoxens bitteres Entsetzen erregt hätte.
Aber Puritanern, Zeloten und ähnlichen Murrköpfen sind vorsichtigerweise diese Stunden des Frohmutes verschlossen, und vergebens entrüstet sich John Knox über diese »souparis« und »dansaris« und donnert von der Kanzel in St. Giles, daß sein Bart wie ein Pendel schwingt: »Fürsten sind geübter, Musik zu machen und sich zu Gastmählern zu setzen, als das heilige Wort Gottes zu lesen und zu hören. Musiker und Schmeichler, die immer die Jugend verderben, gefallen ihnen besser als die alten und weisen Männer« – an wen mag der Selbstgerechte hier denken? –, »die mit ihren heiligen Ermahnungen einen Teil des Stolzes, in dem wir alle geboren sind, niederschlagen wollen.« Aber dieser junge, frohmütige Kreis hat wenig Verlangen nach den »heilkräftigen Ermahnungen« des »kill joy«, des Freudetöters; die vier Marys, ein paar französisch gesinnte Kavaliere sind glücklich, hier im erhellten und warmen Raum der Freundschaft die Düsternis dieses strengen und tragischen Landes zu vergessen, und Maria Stuart vor allem, die kalte Maske der Majestät ablegen zu dürfen und bloß eine heitere junge Frau im Kreise gleichalteriger und gleichgestimmter Gefährten zu sein.
Ein solches Verlangen ist nur natürlich. Aber immer bedeutet es für Maria Stuart Gefahr, ihrer Lässigkeit nachzugeben. Verstellung bedrückt sie, Vorsicht ist ihr auf die Dauer unerträglich, jedoch gerade diese Tugend des »Nicht-sich-verschweigen-Könnens«, dieses »Je ne sais point déguiser mes sentiments« (wie sie einmal schreibt), schafft ihr politisch mehr Unannehmlichkeiten als andern der böswilligste Betrug und die grimmigste Härte. Denn die Ungezwungenheit, mit der sich die Königin unter diesen jungen Leuten bewegt, lächelnd ihre Huldigungen hinnehmend und vielleicht sogar unbewußt sie herausfordernd, erzeugt bei diesen Zügellosen eine unangebrachte Kameraderie, und sie wird für leidenschaftliche Naturen sogar zur Verlockung. Etwas muß in dieser Frau, deren Schönheit auf den Bildern nicht ganz ersichtlich wird, sinnlich aufreizend gewesen sein; vielleicht haben an unmerklichen Zeichen einzelne Männer schon damals vorausgefühlt, daß unter der weichen, umgänglichen und scheinbar völlig selbstsicheren Art dieser mädchenhaften Frau eine ungeheure Leidenschaftsfähigkeit verborgen war wie ein Vulkan unter lieblicher Landschaft; vielleicht haben sie, lange ehe Maria Stuart selbst ihr eigenes Geheimnis erkannte, jene Unbeherrschtheit aus männlichem