519 Park Avenue. Peter Stockfisch
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Heute hatte er sein eigenes Taxi, einen neuen Ford Escape Hybrid, bereits ausgestattet mit einem Terminal für Kreditkarten, die in diesem Jahr für alle New Yorker Taxen eingeführt worden waren. Und er verdiente gut. Ein Medallion, die Lizenz für ein Taxi, besaß er allerdings nicht. Die kostete bereits über 100.000 Dollar, als er als Taxifahrer anfing. Das war unerschwinglich. Auch wenn er sich mit einem oder zwei Kollegen zusammen getan hätte. Und heute war der Preis auf mehrere hunderttausend Dollar geklettert. Daher musste er sich, wie viele seiner Kollegen, die Lizenz von einem Medallionbesitzer mieten.
Saidi Calhoun konnte mit seinem Leben zufrieden sein. Seit 14 Jahren war er mit Elvira verheiratet, einer Puerto Ricanerin. Sie arbeitete als Krankenschwester im Lenox Hill Hospital. Mit ihren zwei Kindern, Jazmin und Roy wohnten sie in Queens, im Stadtteil Astoria. Obwohl beide Schichtarbeiter waren, hatten sie sich so organisiert, dass sie wenigstens an zwei Tagen in der Woche ein normales Familienleben führten mit gemeinsamen Mahlzeiten, Einkäufen und Freizeitgestaltung. Jazmin, inzwischen 13 Jahre alt, hatte jetzt als Teenager schon ihren eigenen Zeitplan und verbrachte mehr Zeit mit ihren Freundinnen als mit Eltern und Bruder. Elvira, eine typische latinische Madre , legte jedoch Wert darauf, möglichst viel Zeit mit ihrer heranwachsenden Tochter zu verbringen und als Gesprächspartnerin immer für sie da zu sein.
Roy war nur anderthalb Jahre jünger, aber noch recht kindlich. Er freute sich immer riesig, wenn sein Vater ihn an Wochenenden zu lokalen Baseballspielen mitnahm oder – seltener - gar zu Ligaspielen der Mets. Manchmal kickten sie auch selber im nahegelegenen Astoria Park.
Saidi war heute unkonzentriert. Zu aufgewühlt war er noch nach dem, was er gestern erlebt hatte. Es war wie ein Alptraum. Es schien, als würde sein Leben erneut an einem Wendepunkt stehen.
Was war geschehen.
Er hatte gegen Abend gerade Fahrgäste am Hilton in der Avenue of the Americas abgeliefert und fädelte sich in den Verkehr Richtung Norden ein. An der Ecke 56. Straße auf der rechten Seite standen zwei Herren, die in ihren dunklen Anzügen und Krawatte ohne Mantel wie Geschäftsleute aussahen. Es konnten auch Banker oder Anwälte sein. Der eine von ihnen winkte mit der einen Hand sein Taxi zum Halten, mit der anderen zeigte er in die 56. Straße, um die gewünschte Fahrtrichtung anzuzeigen. Saidi kreuzte drei Fahrspuren nach rechts, was trotz Blinker ziemlich riskant war. Da aber jeder in New York mit solchen erratischen Manövern rechnet – insbesondere bei Taxis – passiert kaum etwas.
“Pine Street, bitte !” Thomas Kirsten schaute auf die Uhr.
“Lars, wir sind spät dran, aber auf unsere Limousine hätten wir bestimmt noch eine Viertelstunde warten müssen.”
“Übernimm du bitte die Gesprächsführung am Anfang, ich melde mich, wenn es zu den Knackpunkten kommt”.
Saidi bog gerade in die Fifth Avenue Richtung downtown ein, als es ihn wie ein Keulenschlag traf. Das Blut wich aus seinem Kopf. Er fühlte sich plötzlich hundeelend. Die Stimme kannte er doch ! Sie gehörte zu dem Mann, den der andere Lars nannte. Eine Stimme, die er nie vergessen würde. Er blickte in den Rückspiegel. Der Mann in dem feinen Businessanzug, den gewellten, nach hinten gekämmten Haaren, dem etwas brutalen Gesicht – das war doch … Nein, unmöglich ! Sowas gibt es nicht. Und doch: Es war Gerd Kutschinski. Obwohl sein Gesicht durch die Plexiglastrennwand mit den Aufschriften und Stickern etwas verdeckt war, war er fast sicher. Es war der Ostdeutsche aus Maputo, der Verbrecher, der so viel Leid über ihn und seine Familie gebracht hatte.
Oder war es nur eine Täuschung ? Ein Albtraum, wie er ihn noch bis vor ein paar Jahren regelmäßig hatte. Träume, in denen er mit diesem Mann wild gerungen hatte. Gekämpft bis zur völligen Erschöpfung. Er wollte ihn töten, wusste aber nie genau, ob ihm dies gelungen war. Meistens wachte er vorher schweißgebadet auf.
Dies war heute jedoch kein Traum. Es war Wirklichkeit.
Durch die Öffnung der Trennwand versuchte er, noch mehr von der Unterhaltung seiner Fahrgäste aufzuschnappen. Die wechselten vom Englischen zwischendurch in eine andere Sprache, die Saidi zwar nicht verstand, aber an deren Klang er sich nur zu gut erinnerte. Es war Deutsch. Insbesondere lauschte er auf die Stimme des einen. Dabei schaute er immer wieder in den Rückspiegel – soweit es der dichte Verkehr erlaubte.
Ja, er war es ! Ein Mörder !
Saidi war eigentlich immer ein friedlicher Mensch gewesen, aber Kutschinski hatte er bittere Rache geschworen. Daran hatte sich auch in den vergangenen 20 Jahren nichts geändert. Sein Schmerz und seine Rachegefühle hatten sich zwar etwas abgeschwächt, nachdem seine Nachforschungen über das deutsche Generalkonsulat ergeben hatten, dass Kutschinski verschollen und für tot erklärt worden war. Aber der Zorn und der tiefe Schmerz saßen wie ein Stachel in seiner Seele. Und jetzt hatte das Schicksal eine nie erwartete neue Situation geschaffen.
8.
“Noch ein Bier, bitte !“ Werner Rehbein saß in einer Eckkneipe in der Auguststraße. Die Kneipe gab es auch schon vor der Wende an gleicher Stelle. Das hatte einen gewissen Seltenheitswert. Fast überall neue Geschäfte, Restaurants, Cafes, neue Kunstgalerien – die feinen Namen aus dem Westen und sogar ein nobles Hotel. Dieser Teil von Berlin war ’in’ geworden.
Rehbein hatte zur Zeit keinen Job. Dies beunruhigte ihn nicht sonderlich. Er bekam Arbeitslosenunterstützung, hatte eine billige Wohnung um die Ecke und lebte jetzt allein, nachdem sich seine Frau kurz nach der Wende von ihm hatte scheiden lassen. Ein paar Jahre hatte er für eine Sicherheitsfirma gearbeitet. Einen solchen Job konnte er jederzeit wieder bekommen. Trotz seiner fast 48 Jahre und seiner Vergangenheit. Wollte er aber nicht. Jedenfalls nicht zur Zeit. Er hatte ein neues Hobby entdeckt, mit dem er sich täglich ein paar Stunden beschäftigte: Die Börse. Bei einem Online-Broker hatte er sich ein Portfolio eingerichtet, mit dem er sich akribisch beschäftigte. Er las die Analyseberichte der Banken, kaufte sich Anlegermagazine und Finanzzeitungen und surfte im Internet nach allem, was mit dem Aktienmarkt zu tun hatte.
Die Grundlage seines Portfolios waren seine Ersparnisse, die noch aus der DDR-Zeit stammten. Beim MfS verdiente er gut und konnte jeden Monat etwas zurücklegen. Nicht zuletzt wegen der gelegentlichen Prämien bei Sonderaufträgen. Und dann war es wie ein Lotteriegewinn, als seine Ersparnisse nach der Wende eins zu eins in D-Mark getauscht wurden.
Als er anfing, sich mit Aktien zu befassen – so Mitte der 90er – lief es sehr gut. Sein Portfolio wuchs. Dann allerdings musste er auch erfahren, dass die Reise nicht immer nur in eine Richtung läuft , und er verlor eine Menge Geld, insbesondere mit Technologieaktien.
Er hatte jetzt Hunger.
“Otto, machst du mir den Nudelauflauf ?” rief er in Richtung Tresen und wollte seine Zeitung, die ‘Financial Times Deutschland’ gerade beiseite legen, als sein Blick auf einen Artikel fiel: ‘US-Anleger verunsichert’. Rehbein hatte sein Geld überwiegend in deutsche Aktien investiert. Er hatte aber auch gelernt, dass man sich als Anleger diversifizieren sollte und hatte jetzt auch ein paar Dollarwerte in seinem Depot. Daher interessierte er sich auch für den US-Markt. Er las sogar manchmal Analysen auf Englisch. Es war zwar lange her, aber Einiges ist hängen geblieben: In der Hauptabteilung II des MfS gab es für besondere Kader Englischunterricht.
Diesmal richtete sich sein Interesse jedoch nicht in erster Linie auf den Artikel, sondern auf ein Foto daneben, das jetzt halb verdeckt war. Er nahm die rosafarbene Zeitung wieder in die Hand und klappte die Seite mit dem Foto auf. Es zeigte drei Herren im Gespräch am Rande einer Veranstaltung