Der Ruf aus Kanada. Rudolf Obrea

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Der Ruf aus Kanada - Rudolf Obrea

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style="font-size:15px;">      Eine ältere Dame in dunkelblauem Kostüm empfing ihn mit dem geschäftlich aufgesetzten freundlichen Blick. Ihr hagerer Gesichtsausdruck mit den von der Nase zu den Mundwinkeln ausgehenden Falten verriet sie als strenge, kaum zum Scherzen aufgelegte Hausherrin. Gewissenhaft prüfte sie seine Reservierung als Sven Fahrenholz und führt ihn, nachdem sie sich als Miss Wendworth vorgestellt hatte, zu seinem Zimmer im Erdgeschoß eines neuen Nebengebäudes. Sven war von der modernen Einrichtung des Raumes überrascht und genoss den zumindest hier wieder gewonnenen Komfort. Zusätzlich zeigte der Blick aus dem großen Fenster auf einen gepflegten Garten, der mit dem Ufer eines kleinen Baches abschloss. Das „Ende der Welt“ ließ sich mit diesem vorläufigen Reiseergebnis durchaus ertragen.

      Am nächsten Morgen wurde Sven nach einem reichhaltigen Frühstück, im hiesigen Countrystyle aus Spiegeleiern, Schinken und Steak bestehend, von Ron Harrington, dem Projektleiter des Kunden, abgeholt. Trotz seines gesetzten Alters von ca. 50 Jahren erschien er in Jeanskleidung, unterstrich seine Funktion jedoch durch eine große, kräftige Gestalt und

      einen freundlichen Gesichtsausdruck, der bei den graublauen Augen und den darüber sozusagen als Betonung angeordneten, breiten, grauen Augenbrauen eine prüfende Haltung erkennen ließ.

      Während der Fahrt zur Baustelle, die sich nördlich, etwas außerhalb des Ortes befand, erkundigte sich Ron, wie üblich, zunächst nach Fahrt und Unterkunft seines Gastes und offerierte die Anrede mit ihren Vornamen und den Hinweis, das beide als zukünftige Kollegen sicherlich aufeinander angewiesen seien. Den Grund dieser Andeutung erfuhr Sven, nachdem sie in Rons Büro, einem kleinen Raum im hinteren Teil eines Baucontainers und nur durch Rons Schreibtisch voneinander getrennt, Platz genommen hatten. Mit einem etwas skeptischen Ton in der Stimme sprach Ron jetzt sofort über die Arbeit.„Wir stecken noch Mitten in den Vorbereitungen, die nicht immer nach Plan verlaufen. Ich selbst bin bereits seit einem halben Jahr hier, komme von unserem regionalen Zentralbüro in Montreal und bin als Francokanadier fast ein Ausländer wie du. Erst langsam verstehe ich die hiesige Mentalität der Leute und kann meine Vorgaben durchsetzen.“ Sven, der mit seinen Baustellen bereits ähnliche Erfahrungen gemacht hatte und dabei allerdings weniger auf Vorgaben sondern auf gemeinsame Zielbestimmung gesetzt hatte, suchte nach einem Ausgleich und antwortete: „Ich habe ein paar Tage Zeit mitgebracht. Wir können alle Probleme vor Ort besprechen und anschließend mit entsprechenden Korrekturen nach einer Lösung suchen.“

      Rons Gesicht hellte sich bei dieser Antwort auf. Ganz ohne Vorbehalt und selbstbewusst konnte er jetzt über die eingetretenen Verzögerungen reden und dem Besucher den Bauplatz samt dem fast fertigen Fabrikgebäude zeigen. Am folgenden Tag erarbeiteten sie einen neuen Zeitplan, den sie ihren Firmenleitungen übermittelten und für den sie wenig später die entsprechenden Genehmigungen erhielten.

      Mit einem Gepäck voll neuer Erkenntnisse fuhr Sven nach Toronto zurück. Die berufliche Seite seiner Aufgabe bereitete ihm lediglich die üblichen Schwierigkeiten und war jetzt nur dadurch belastet, dass sich sein geplanter Arbeitsbeginn in Bancroft verschob. Zu Denken gab ihm vor Allem seine persönliche Anpasssungsfähigkeit. Wenn Ron Harrington als Kanadier bereits Schwierigkeiten mit den Einheimischen gehabt hatte, wie würde seine Arbeit und besonders die seiner deutschen Monteure darunter leiden? Ihn tröstete der Gedanke, dass Ron mit seinem Vorgehen die sicherlich ab und zu berechtigten Einwände seiner lokalen Mitarbeiter aus Mangel an Erfahrung nicht genügend berücksichtigt haben könnte. Sven selbst, aber auch seine Monteure, hatten über Jahre genügend Motivierungskünste gesammelt, um Probleme dieser Art zu vermeiden. Wenn er Ron als seinen zukünftigen Partner in diese Überlegungen mit einbezog, musste er auch ihm gegenüber seine ganze Geschicklichkeit beweisen. Hinzu kam die Abgeschiedenheit von Bancroft. Die Wälder und Seen der Umgebung versprachen reizvolle Urlaubserlebnisse, kaum jedoch eine abwechslungsreiche Freizeit während der langen Wintermonate. Wie ließ sich die lähmende Eintönigkeit bekämpfen? Svens Besuch bei Arne Erikson, dem Kenner der kanadischen Weiten, bekam eine zusätzliche Bedeutung, um sich mit dessen praktischen Hinweisen besser auf die neuen Heraus-forderungen vorzubereiten.

      1.6

      Arne Erikson besaß ein Haus in Don Mills, einem Stadtteil von Toronto, dessen Grundstücke, hauptsächlich zwischen Bäumen und Büschen versteckt, noch den Charakter einer älteren Siedlung erkennen ließen. Sie entstanden in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts vor dem großen Boom der Stadt, erkennbar daran, dass die Parzellen noch großzügig bemessen waren, die Begrünung einen parkartigen Charakter bekommen hatte und die südlich angrenzende Innenstadt trotzdem über die Don Mills Road schnell erreichbar war. Sven schloss daraus zu Recht auf einen Einheimischen, den er genau wie Jim als echten Kanadier zu betrachten hatte, sich deshalb genauso taktisch annähern musste wie bei der Fahrt zu diesem ersten Besuch, nämlich zunächst zügig über die Highways, dann aber langsam, um sich das Haus im Cottonwood Drive und den darin verborgenen Charaktertyp zu erschließen.

      Nach der freundlichen Begrüßung am Eingang führte Arne seinen Gast in ein großzügiges Wohnzimmer, dessen rückwärtige Fensterwand den Blick auf einen Garten mit großer Rasenfläche, Swimmingpool und nach hinten hin abschließender Gebüsch- und Baumfront bot. Die Möbel, bestehend aus Wandschrank , Anrichte und großem Bücherregal, alle aus weißem Ahornholz, verliehen dem Raum zusammen mit einer Polstergarnitur aus hellgrauem Leinenstoff und einem darunter ausgebreiteten Schafwollteppich eine besonders helle Note, die an modernes skandinavisches Möbeldesign erinnerte und neben dem Namen auf die ursprüngliche Herkunft der Besitzer hinwies.

      In Anlehnung an amerikanische Gepflogenheiten befand sich in einer Ecke des Raumes eine Bar, hinter deren Theke Arne sofort verschwand, um einen Begrüßungstrunk zu offerieren. Als der obligate Whisky-Soda eingeschenkt war, wollte er zunächst wissen, wie es Sven bei seinem Ausflug in den Norden ergangen war und fragte deshalb in scherzhaftem Ton: „Wie ist es dir bei unseren Bären ergangen?“ Sven, der den ironischen Unterton der Frage nicht sofort verstand, antwortete wahrheitsgemäß: „Ein Bär ist mir nicht begegnet; dafür viele Bäume und Seen sowie ein paar Leute, die mich vorwiegend für einen Touristen hielten. dem man freundlich das Geld aus der Tasche zieht.“ „Ganz so schlimm kann es wohl nicht gewesen sein, da man dich wohl kaum den Amerikanern zugerechnet hat, die um diese Jahreszeit die kanadische Wildnis samt Eingeborenen im Urlaub mit ihren Dollar- scheinen erobern. Generell geht man friedlich und ehrlich miteinander um, da jeder jeden kennt und sich im Notfall, bedingt durch die Einsamkeit, auf den Nachbarn verlassen muss“ „Was ist aber, wenn man dich nicht kennt?“ wollte Sven wissen. Arnes Antwort fiel jetzt vorsichtiger aus: „Entweder bleibt man verschlossen und versucht dich zu meiden oder testet dein Reaktionsvermögen , indem man dich bewusst mit besonderen lokalen Gegebenheiten konfrontiert, was durchaus auch dazu führen kann, mit dir grobe Späße zu treiben, denen du möglichst gekonnt und gelassen begegnen musst. Mir macht Letzteres besonders Spaß, da ich auf diese Weise meine Schlagfertigkeit beweisen kann und mir so den notwendigen Respekt und Anerkennung verschaffe. Das ernste Geschäftsleben hier in Toronto ist zu steif und förmlich für Herausforderungen dieser Art und verlangt geradezu nach einem derartigen Ausgleich im Norden.

      Sven, der ähnliche Begegnungen von früheren Baustellen kannte, hätte gern noch etwas über die kanadischen Besonderheiten erfahren, wurde jedoch von Arnes Frau unterbrochen, die in diesem Moment ins Zimmer kam und von dem Gastgeber als seine Frau Rita vorgestellt wurde. Ähnlich ihrem Mann war auch sie von kräftiger, großer Statur und trug einen grauen Rock mit dazu passender cremefarbener Bluse. Die dadurch gegebene Strenge milderte sie mit einem freundlichen Blick ihrer großen, graublauen Augen, umrahmt von einem länglichen, eleganten Gesicht, das von einem Lockenkopf blonder Haare abgeschlossen wurde. „Willkommen in Kanada,“ begrüßte sie ihn. „Wie mein Mann mir erzählte, dient ihr Aufenthalt in Toronto nur als Zwischenstation, bevor sie im großen Wald des Nordens als wirklicher Kanadier eingebürgert werden sollen. Wie sie sehen, genießen wir hier im Gegen-satz dazu den Komfort des weltweiten, modernen Stadtlebens, unterscheiden uns deshalb nur wenig von ihren Gepflogenheiten in Hamburg. Immer, wenn mein Mann von

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