So weit weg uns doch ganz nah. Eomée Wächter
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Seit diesem Tag „X“ gibt es keine gemeinsamen Erlebnisse mehr, keine abendlichen Essen, kein Miteinander, alles weg. Ich habe nur noch die Möglichkeit, mich in Erinnerungen zu wiegen, unsere gelebten 19 Jahre als Kleinfamilie immer wieder aus dem Gedächtnisspeicher herauszuholen.
Und gerade erinnere ich mich daran, als dein Papa und ich von der langen und wunderschönen Neuseeland-Reise im Januar 1994 wieder nach Hause kamen, dich im „Gepäck“ mitgebracht. Ja, du bist ein Neuseeländer, wir haben dich dort gezeugt und vielleicht war es auch deine Bestimmung, dorthin wieder zurück zu kehren, zu deinem Ursprung. Das wolltest du ja am Ostersonntag, den 21.4.14 tun. Der Flug gebucht, dich mit Julia und Jakob dort treffen. Mit „Work & Travel“ wolltest du beginnen, die Welt zu erkunden, angefangen mit Neuseeland. Dort arbeiten, leben, Land und Leute kennenlernen und vielleicht auch dann studieren. Deine große Vorfreude glänzte in deinen Augen, wenn du darüber gesprochen hast. Ich schenkte dir Bücher, DVDs und die Vorbereitungen waren voll im Gange.
Neuseeland hast du nicht mehr gesehen, das Land nicht betreten können, von woher wir dich damals mitbrachten.
Erinnerungen werden wach, wo es um deinen Namen ging, wie du heißen sollst. Lange Diskussionen seitens der werdenden Großeltern und ich machte mir den Spaß daraus, sie mit dem Namen „Detlef-Dieter“ zu ärgern. Bis zur Geburt war dieser Name in aller Munde und deine Oma Betty entsetzt darüber. Doch dein Name stand schon lange fest. Timo Alexander Hanke.
Als ich von meiner Schwangerschaft mit dir erfuhr, hatte ich ein Glücksgefühl in mir, unbeschreiblich. Diese große Freude, Mutter werden zu dürfen, die Vorbereitungen für ein schönes Kinderzimmer, Spielsachen, Anziehsachen, liefen auf vollen Touren. Das erste Ultraschallbild, deine ersten spürbaren Bewegungen im Bauch – ein kleines Kribbeln, die Geburtsvorbereitungen. Voller Stolz zeigte ich auch meinen Bauch, schiebte sozusagen die „ruhige Kugel“, genoss das Mutterwerden.
Der August 1994 war ein sehr heißer Monat, nur mit eiskaltem gefüllten Wasser in Fußbadewannen ließen die schweren Pfunde erträglich werden, die ich zu schleppen hatte, wobei ich nur 10 kg zugenommen hatte.
Dein errechneter Geburtstermin, 4.9.94 rückte immer näher und du hattest gar keine große Lust, aus dem gemütlichen Ein-Zimmer-Appartement auszuziehen. Und schließlich kamst du mit vier Tagen „Verspätung“ auf die Welt, am 8.9.94 um 5.55 Uhr.
Die Geburtswehen, die Schmerzen, alles vergessen, als du in meinen Armen lagst, völlig erschöpft und gesund, trotzdem die Nabelschnur sich 2 x um deinen Hals gewickelt hatte. Schon da hat es mir gezeigt, dass du ein Kämpfer bist, dass du einen Grund hast, auf die Erde zu kommen, zu mir.
Als du deine Augen öffnetest und wir uns ansahen, spürte ich die tiefe Liebe, die uns bis zum Tag X verband und immer noch da ist. Mein Mutterglück war perfekt, ich war so glücklich. Welche Mama denkt in diesem Moment daran, dass sie ihr Baby, ihr Kind wieder hergeben muss?
Der natürliche Ablauf zeigt uns, dass die Kinder ihre Eltern beerdigen, sie bis zum Tode begleiten. Das Schlimmste im Leben einer Mutter ist es, das eigene Kind loslassen zu müssen, wieder der geistigen Welt zurückgeben, von wo es kam. So wie ich dich als Baby in den Armen hielt, so hielt ich deine Urne bis zu deinem Baumgrab fest in meinen Armen, bis sie im Erdloch verschwand. Sie war fast so schwer, wie dein Geburtsgewicht. Dich nochmal an mein Herz zu drücken, dich fest umarmen, das durfte ich mit deiner Urne.
Der Tag X, der uns erwartet, bedingungslos, ohne Chance zum Verhandeln, ohne Terminvorgabe, wird unangemeldet vor unserer Türe stehen und sagen: „es ist soweit“. Vielleicht ist es der Grund, warum wir diesen Tag nie wahrhaben wollen, ihn wegschieben, verdrängen und sogar Angst vor ihn haben. Wir kämpfen um unser Leben, jede Sekunde zählt, versuchen, unser Leben zu verlängern, egal was es uns kostet, doch der Tod lässt nicht mit sich verhandeln.
Der Tod kommt ohne Vorbereitungen, er meldet sich nicht an, damit du noch Zeit hast, schnell mal noch in den Urlaub zu fliegen, deine Freunde zu besuchen, dein Testament zu schreiben, deine persönlichen Dinge zu ordnen. Nein, er überrascht dich, deine Familie und der Schock ist riesengroß, unermesslich der Verlustschmerz.
Ich habe mich gefragt, warum es auch mich so hart getroffen hat, wo wir doch alle wissen, dass bei der Geburt der Tod bei uns ist, mit uns verbunden ist, untrennbar. Liegt es daran, dass wir uns nicht genügend vorbereiten, ihn nicht akzeptieren wollen, den Tod am liebsten zum Mars schicken möchten ohne Rückfahrkarte, weil wir leben wollen? Ja, das wollen wir! Und doch wissen wir, dass es begrenzt sein wird, dass wir irgendwann in die Box springen werden, wann und zu welchen Konditionen wissen wir nicht. Macht uns das Angst, weil wir nicht wissen, WIE er zu uns kommen wird? Werden wir mit einer schweren Krankheit konfrontiert, durch Unfall, durch Suizid? Was hat unser Schicksalsplan, unser Seelenplan vorgesehen?
Ich spreche immer wieder vom Seelenplan, denn ich bin davon überzeugt, dass unsere Seele unsterblich ist, dass sie immer wieder in einen neuen Körper reinkarniert, um Erfahrungen zu sammeln, um sich weiter zu entwickeln. Wenn du Leser nicht daran glaubst, kannst du spätestens hier das Buch wieder zurücklegen, denn ich bleibe bei dieser Erkenntnis, bei diesem „Modell“ der Wiedergeburten.
Auch wenn ich keiner Religion „angehöre“, glaube ich an Gott, der schwer zu definieren ist, jedoch jeder mit ihm auf seine Art und Weise Kontakt hat, das sollte jeder respektieren, gleich welcher Religion er angehört, es gibt nur einen Gott, der hat aber viele Namen hier auf Erden.
Und ich habe mit meinem Gott geschimpft, mit ihm gehadert, ich war wirklich böse auf ihn. Wie konnte er es zulassen, dass du Timo so plötzlich von uns gerissen wirst?
Somit ging ich auf die Suche nach Antworten auf meine vielen Fragen in der Hoffnung, das Geschehene zu verstehen und begreifen zu lernen, es zu akzeptieren, irgendwie. Dieser tiefbohrende undefinierbare Dauer-Herzschmerz, die unendliche Wut, die energieraubende Trauer, das große tiefe Tränental und Orientierungslosigkeit ließen mich in einen Strudel/Tornado der Zerstörtheit wiederfinden, aus dem ich versuchen muss, wieder herauszukommen.
Als am 3.11.13 gegen 14 Uhr das Telefon in meinem Kurzimmer klingelte, wusste ich schon, dass es mein Chef ist, da er sich per Handy-SMS angekündigt hatte. Doch wegen schlechter Verbindung wollte er mich unbedingt am Festnetz sprechen. Ich ahnte nichts Schlimmes, viel eher ging ich davon aus, dass er eventuell eine Akte suchte oder noch Fragen hatte, was meine Arbeit anging. Ich arbeite als Angestellte bei der Kripo. Als er am Telefon war, spürte ich in seiner Stimme einen Unterton, den ich bis dato nicht kannte. Er bat mich, mich hinzusetzen und ich dachte immer noch, dass ich irgendwie einen „Bock auf Arbeit geschossen“ habe, sonst gäbe es ja keinen Anlass, mich anzurufen.
„Timo ist tot“ … dieser Satz verfolgt mich seitdem, denn es ist eine Aussage, die ich nicht begreifen konnte, ich verstand nicht, was mein Chef sagen wollte. Ich fragte nach, was das soll und nachdem er es ein paar Mal wiederholte, musste ich es irgendwie geschnallt haben, dass er meinen Timo meint.
„Timo wurde vom Zug überfahren, er wurde identifiziert, er liegt in der Rechtsmedizin“, war sein weiterer Satz und ich legte, eher knallte ich den Hörer auf, weil ich das nicht wahrhaben wollte. Vielleicht träumte ich, denn ich war ja schon 2 Tage krank im Bett gelegen, konnte die Wanderung mit meinen Kur-Müttern nicht mitmachen.
Doch dann kam zeitgleich eine SMS von Robin: „Mum, Timo ist nicht daheim, wir wollten doch zur Oma“. Mein Gehirn lief auf Hochtouren, mein Verstand pochte hartnäckig an meiner Gehirnrinde, mein Herz raste, mir war schwindelig. Mir wurde schlagartig bewusst, dass Robin allein zu Hause war und nach Timo suchte, es war 14 Uhr. Und auf Timo konnten wir uns immer verlassen, wenn es einen vereinbarten Termin gab, hielt er sich stets daran. Wieso war Timo jetzt nicht da?
Was