DIE REICHE VON ITHOR. Martin Cordemann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу DIE REICHE VON ITHOR - Martin Cordemann страница 4
Doch nun schien sich die Situation verändert zu haben. Das Seevolk war zurückgekehrt. Hierher, nach Kelldor, möglicherweise nach ganz Vant. Vielleicht hatten sie ihre Flotte auch ins Inselreich geschickt und nach Nogland. Möglicherweise sogar nach Savaan. Doch war es eine Angriffsflotte? Eine Vorhut? War man hier, um sich mit Kelldor gegen die anderen zu verbünden? Hatte man sich mit den anderen gegen Kelldor verbündet? Er seufzte und sah den jungen Pferdboten aufmerksam an. Wenn sich bereits eine Delegation des Seevolkes auf dem Weg zu ihm befand, hätte er die Diplomatieglocke gehört, wäre es eine Invasionsstreitmacht, wäre es die Alarmglocke oder gar die Kriegsglocke gewesen. Doch er hatte keinen Glockenschlag vernommen.
„Der Kapitän der Küstenwache ist mit drei Schiffen hinausgefahren. Er hat mit seinen Mannen alle der fremden Schiffe betreten.“
„Und?“ fragte der König gespannt.
Der junge Pferdbote schluckte. „Es war niemand an Bord. Alle Schiffe waren menschenleer.“
Der König erschrak. Leere Schiffe, die mit gesetzten Segeln vor ihrer Küste auftauchten. Was mochte das bedeuten? Er wünschte sich, Ron Schwert wäre jetzt hier, doch sein vertrauter Freund befand sich viele Meilen entfernt. Wieder schüttelte König Zweitgeborn den Kopf. Was mochte all das nur bedeuten?
Ron verpasste die Nachrichtenmöwe, die der König ihm nachgeschickt hatte, nur ganz knapp. Es war bei Abenddämmerung, als er endlich die große Mauer erreichte. Sie zog sich durch ganz Vant, von der Westküste über den gesamten Kontinent bis zur Ostküste. Als Kind hatte er sich einmal ausgemalt, wie es wäre, auf ihr von einer Seite Kelldors bis zur anderen zu laufen, doch er hatte es nie getan.
Dort, wo die Mull aus dem Nogland kam, gab es einen kleinen, besetzten Grenzposten. Und einen kleinen Anleger, an dem die kleinen Schiffe und Kähne von „Jenseits des Noglands“ festmachten, bevor sie sich wieder auf ihre anstrengende Fahrt flussaufwärts begaben. Die Rückreise aus dem Norden war oft schneller und einfacher als die Hinreise, denn weit hinter dem Nogland, an den Ausläufern der Kahlen Berge und noch vor der Baumgrenze hatte man schon vor Jahrhunderten einen kleinen Stützpunkt errichtet, den Ort, zu dem Ron jetzt unterwegs war. Dieser Außenposten lag am Fluss und von dort konnte man mit einem der Kähne schnell auf dem Fluss mit der Strömung gen Heimat reisen, was ihm auf der Rückreise Tage sparen würde. Doch erstmal musste er dort hinkommen, und da war das Reiten am Fluss entlang der schnellere Weg als die mühsam bergauf trottenden Kähne. Er hatte ein gutes Pferd, das wenig Schlaf brauchte und auch bei Nacht ritt und so zog Schwert es vor, das Nogland zu durchqueren, ohne dort oft zu halten oder gar in einem der Gasthöfe einzukehren.
Die Sonne stand kurz vorm Untergang, als die Möwe an der Grenzstation eintraf. Die Soldaten dort würden sie am kommenden Tag weiterschicken und so würde Schwert die Nachricht erst zu sehen bekommen, wenn er in etwa einer Woche den Außenposten erreichte.
Die Reise durch Nogland verlief ohne Schwierigkeiten oder Begegnungen. Manchmal fragte er sich, ob er bedauern sollte, dass er die Nogländer, oder „das Volk hinter der Mauer“, wie die Menschen, die in der Nähe der Mauer lebten, sie nannten, nie näher kennengelernt hatte. Aber im Moment gab es keine Gelegenheit dazu. Er hatte einen Auftrag und den wollte er so schnell wie möglich hinter sich bringen. Dieser Wunsch wurde sogar noch größer, als man ihm im Außenposten die Nachricht des Königs übergab. Schiffe des Seevolkes, mit gesetzten Segeln, aber mit niemandem an Bord. Ein weiteres Ablenkungsmanöver, dachte er sofort. Irgendjemand spielte ein merkwürdiges Spiel. Der König hatte der Flotte befohlen, vor der Küste zu kreuzen, aber bislang waren offenbar keine weiteren Schiffe aufgetaucht.
Ron seufzte. Wäre er nicht hier oben im Norden, er hätte den König überredet, ihm ein paar Schiffe zur Verfügung zu stellen und wäre mit ihnen zur Insel des Seevolkes gesegelt. Kurz überlegte er, ob er nicht die sofortige Rückkehr antreten sollte, doch er entschied sich dagegen. Er war so weit gekommen, es wäre unverzeihlich gewesen, jetzt umzukehren.
Am Abend, bevor er sich in die Berge begab, studierte er noch einmal die Karte. Er hatte eine grobe Vorstellung, wo sich das Kloster befand. Es würde noch ein paar Tage dauern, bis er dort ankam, aber dann endlich würde er Antworten auf seine Fragen bekommen. Er wollte diesen Mann sprechen, der sich durch den Wald geschleppt hatte und vor den Toren des Klosters aufgetaucht war.
„Der Wald“, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf und er zog die Karte zu Rate. Ja, der Wald befand sich Meilen entfernt vom Kloster. Das hatte man vor Jahrtausenden in den Bergen gebaut, aus dem festesten Stein, den man dort finden konnte. Nach den Bergen kamen die Eisfelder und was auch immer dort noch weiter im Norden liegen mochte – und wer auch immer dort in dieser trostlosen Einöde leben mochte. Es gab dort Dörfer, Fischer vielleicht, die in den Seen unter dem Eis fischten? Von Städten hatte er noch nie gehört, aber das musste nicht heißen, dass es keine gab. Jedenfalls gab es dort Völker, oder hatte es mal gegeben. Und vielleicht war dieser Mann…
Ein wahnwitziger Gedanke kam Ron. Konnte wirklich ein Volk von dort oben mit dem Seevolk Verbindung aufgenommen und sich mit ihm verbündet haben? Oder… steckte vielleicht eins der anderen Völker dahinter? Oder gar alle zusammen? Das Inselreich kannte sich mit der Seefahrt gut aus. Vielleicht hatten sie Schiffe gebaut und Segel genäht, die auf den ersten Blick wie die des Seevolks aussahen? Und vielleicht hatten die Savaan auf der Ostseite von Vant, wo die See nicht komplett zugefroren sein mochte, jemanden in den Norden geschickt, der die Mönche in dem Kloster mit seiner phantastischen Geschichte verwirrt hatte, in dem guten Wissen, dass diese Geschichte bis in die Breiten des Königs getragen werden würden? Er wollte mit diesem Mann sprechen, der angeblich in einen tiefen Schlaf gefallen war, er würde ihn wecken und aus ihm herausholen, welcher teuflische Plan hinter seiner abenteuerlichen Geschichte steckte.
Doch Ron Schwert wurde enttäuscht – und erschrocken gleichermaßen. Als er Tage später das Kloster in den Kargen Bergen erreichte, verschlug es ihm den Atem. Das war… das konnte nicht… das war völlig unmöglich!
Von dem Kloster war nicht mehr viel übrig. Nur verkohlter Stein zeugte davon, dass sich hier einmal ein Bauwerk befunden hatte.
„Unmöglich“, hauchte er. Das Kloster hatte aus massivem Stein bestanden, doch der war fast vollkommen zerstört. So etwas hatte er nur einmal gesehen. Auf der Insel des Spuckenden Feuers. Sie befand sich südwestlich vom Kap des Verderbens, der südlichsten Spitze von Vant. Dort hatte man dereinst einen kleinen Außenposten errichtet, eine Stadt, die für den Handel da sein sollte. Doch die Insel war nie zur Ruhe gekommen, mit ihren feuerspeienden Bergen. Die Luft war immer voll Rauch und die Lava zerstörte manchmal Häuser, die erst vor wenigen Tagen gebaut worden waren. Von Kapstadt aus konnte man die Rauchfahne sehen, die fast täglich über der Insel schwebte. Nur Feuer, das so heiß war, wie das, das aus dem Innern der Berge kam, hatte die Macht, Stein das anzutun, was man dem Kloster angetan hatte. Doch hier gab es keine Vulkane. Ron musste schlucken und sich eingestehen, dass ihn gerade ein Anflug von Furcht ergriffen hatte. Was war hier passiert?
Kapitel 3
Fassungslos lief Ron durch die Trümmer des Klosters. Geschmolzener Stein. Er sah hinauf zu den Schneespitzen. Und stutzte. Er sah sich um. Ging langsam um die Reste der Bergfestung herum. Wenn die Berge doch Vulkane wären… aber dann müsste mehr von ihrem Lavafluss in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Wenn man das Kloster irrtümlich auf einem Vulkan erbaut hatte und er ausgebrochen war, warum war dann nur das Kloster selbst zerstört?
Doch je länger er suchte, umso weniger fand er. Nichts war vom Kloster selbst den Abhang hinab geflossen. Und,