Von Jerusalem nach Marrakesch. Ludwig Witzani
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Im Umkreis des Gran Socco hatte Paul Bowles in dem fiktiven „Cafe Eckmühl-Noiseux“ seinen Roman „Himmel über der Wüste“ beginnen lassen, die Geschichte eines amerikanischen Ehepaares, das gelangweilt die Welt durchstreifte und schließlich ins Innere Afrikas aufbrach, um durch neue Erfahrungen ihre Ehe zu retten. Einer der beiden, Port Moresby, sollte dabei umkommen, Kit, seine Gattin, kehrte am Ende des Romans alleine nach Tanger zurück. Die Fremde hatte sie nicht gerettet sondern vernichtet.
Wir verließen Tanger und fuhren nach Süden. Tausend Kilometer bis zur Grenze der Westsahara. Rechts die Berge, links der Ozean, zersiedelte Regionen ohne Zentrum und Gesicht. Dazwischen alle naselang alleine und wie vergessen am Straßenrand herumstehende Marokkaner. Dort stand ein Marokkaner an der einer Kreuzung, hier ein anderer unter einer Palme, ein Dritter saß in einem Graben, andere kauerten, lagen, standen oder saßen auf Feldern, Steinen oder Brüstungen – alle so merkwürdig weit voneinander entfernt, als sorge eine verborgene Kraft der Abstoßung dafür, dass sie nicht zu eng zusammenrückten. Wie Statisten in einem bizarren Menschenverteilungsprogramm, bevölkerten die Leute die Landschaft - verhüllt mit ihren Kapuzen blickten sie den Reisenden teilnahmslos hinterher, als sei es ihnen egal, wohin sie fuhren oder woher sie kamen. Als wir endlich eine menschenleere Gegend kurz vor Asilah erreichten und ich am Straßenrand einfach nur austreten wollte, stand plötzlich wie aus dem Boden gewachsen ein Kapuzenträger neben mir.
In den kleineren Orten am Wegesrand wiederholten sich immer die gleichen Szenen. In den Straßencafés saßen die Kapuzenmänner auf kleinen Schemeln und blickten uns an, als wären wir soeben vom Mars zur Erde heruntergefallen. Ungläubig und abweisend waren die Mienen der älteren Männer, ölig und voller Schleim die Annäherung von drei jungen Burschen, die sich ungefragt an unseren Tisch setzten und sich in gebrochenem Französisch als unsere „Freunde“ zu erkennen gaben. Einer von ihnen bot uns an, uns in dem Ort herumzuführen, und marokkounerfahren wie wir waren, nahmen wir an. Unser selbst ernannter Führer hatte aber weder von Moscheen oder Medresen eine Ahnung, sondern er schleppte uns sofort in das Teppichgeschäft seines Bruders und verlangte am Ende ein Vielfaches des Entgeldes, das wir ihm freiwillig geben wollten. Als er unser Zögern bemerkte, verwandelte sich sein subalternes Gehabe in ein aggressives Fordern.
Asilah – eine blitzsaubere Stadt, so hell als bewege man sich in einem überbelichteten Foto. Hier waren Künstler zuhause, und viele Fassaden waren mit surrealistischen Gemälden bedeckt. Saubere Straßen, geordnete Märkte, ein zivilisatorisch durchgelüftetes Marokko. In einer Grundschule saßen lachende Knirpse, mitunter zwei auf einem Stühlchen. Diese kleinen Marokkaner waren fröhlich, sie kniepten und winkten, Neugier und Freundlichkeit weste aus ihren Poren. Dafür lief mir im nächsten Ort ein dreister Schlacks hinterher und verlangte zwei Dirham dafür, dass ich einen Truthahn abgelichtet hatte. Sie alle waren Teil einer gewaltigen Kinder- und Jugendwelle, die die Bevölkerung dieses Landes in der nächsten Generation verdoppeln würde.
Das römische Lixus. Totes Gestein, ein Universum von allem entfernt, was an Rom erinnerte. Überwachsene Ruinen ohne Aura. Wohnort der Legionäre, die der Kaiser als Kolonisten an das Ende der Welt verbannt hatte. Später kamen die aus Spanien vertriebenen Moslems hinzu. Alles verband sich mit allem, bis der Marokkaner entstand. Als wir neben den Ruinen hielten, beäugten uns kleine Mädchen aus sicherer Entfernung. Wie scheue Kätzchen ließen sie sich nicht anlocken, noch nicht einmal, als ich ihnen Knäcke und Käse anbot.
Abends liefen die Kinder durch die Gassen. In den Händen trugen sie offene Schachteln, aus denen sie einzelne Zigaretten verkauften. In der Ökonomie der Armut dominierte die kleine Portion. Marokkanische Männer, auch die westlich gekleideten, hielten sich an den Händen und küssten einander. Paare sah ich selten, aber die wenigen Frauen, die unseren Weg unverschleiert kreuzten waren schön. Braune Haut mit einem Bronzeton, hohe Backenknochen, lange, unafrikanische Nasen, breite Münder mit vollen Lippen und weißen Zähnen – das waren die Attribute gesegneter marokkanischer Weiblichkeit Manche gingen unverschleiert über die Straßen und schauten uns frontal in die Augen.
Das erste Wort, das die kleinen Marokkaner lernen, heißt nicht „Mama“ oder „Papa“, sondern „Dirham.“ Könnten Hunde und Katzen in Marokko sprechen, würden sie das gleiche fordern. Ungefragt tauchte ein Halbwüchsiger aus einer Seitengasse auf, schob sich zwischen Wolfgang und mich und sagte auf Französisch: „Straße, schönes Foto, drei Dirham!“ Unwillkürlich ergänzte ich: „Atmen nicht vergessen, ein Dirham“.
An den Ausfallstraßen standen hundertmeterweise gestaffelt die Kinder und hielten den vorbeifahrenden Reisenden Grasbüschel und Blumen entgegen. Zur Ökonomie der Armut gehörte auch das sinnlose Angebot. Ziegen wurden von unbarmherzigen Hirten auf die Bäume gescheucht, damit sich ein vorbeifahrender Tourist daran erfreue. Kamele warteten am Rande der Straße, um ängstliche Touristen auf ihrem Rücken dem Himmel ein Stück näher zu bringen – und seinen Geldbeutel zu erleichtern.
Auf dem Weg nach Rabat bogen wir von der Straße ab, um ein Schlachtfeld zu besuchen. Ksar el Kebir, der Ort, an dem das goldene Jahrhundert Portugals endete. Der junge portugiesische König Sebastian hatte im Jahre 1578 in grotesker Selbstüberschätzung zur Eroberung Marokkos angesetzt. Danach wollte er über Ägypten zum heiligen Grab vorstoßen und als ein neuer Alexander nach Europa zurückkehren. So groß der Traum, so tief der Fall. Kurz nach der Landung in Marokko wurde die portugiesische Armee mitsamt König und Adel vernichtet. Der junge Monarch endete unerkannt in einem Massengrab. Zwei Jahre später fiel die portugiesische Krone an den spanischen König Philipp II. Der größte Teil des portugiesischen Kolonialreiches ging an die Holländer verloren. Nichts erinnerte an diese Schlacht in Ksar el Kebir. Eine Provinzstadt ohne Flair. Ein Ereignis, wie weggewischt aus der Geschichte. Wir kauften ein Netz Orangen und fuhren weiter.
Dann wieder große Städte. Agglomerationen aus Stein am Rande des Ozeans, so müssen Rabat und Casablanca vom Weltraum aus wirken. In der Landeshauptstadt Rabat besuchten wir das Grabmal Mohammeds V, jenes Königs, der das Land 1956 in die Unabhängigkeit von Frankreich führte. Ein schmaler Sarg in einer angedeuteten Krypta. Alles in rostrot-grün gehalten. An Gold und Edelsteinen war nicht gespart worden. Vor dem Mausoleum Mohammeds V erinnerte eine unvollendete Moschee an die großen Tage der marokkanischen Geschichte. Hier war der Almohadensultan Yacub al Mansour, der Schrecken der Reconquista, am Werk gewesen. Die Moschee wäre mit ihrem geplanten Grundriss von 175 mal 128 Metern noch größer gewesen als die Mezquita von Cordoba. Geblieben waren Säulengalerien ohne Dach, dazu der unvollendete Hassanturm, ein prachtvolles maghrebinisches Vierkantminarett, das mit seinen achtzig Metern Höhe selbst die Kutubiya von Marrakesch übertroffen hätte.
Casablanca, die größte Stadt Marokkos, besaß drei Millionen Einwohner. Das war ein knappes Zehntel der Bevölkerung, das immerhin drei Viertel des Nationalproduktes erwirtschaftete. Eine Stadt ohne Geschichte, aus dem Nichts entstanden und so schnell gewachsen, dass keine Zeit geblieben war, einen urbanen Charakter zu entwickeln. Um dem abzuhelfen hatte König Hassan II verfügt, in Casablanca das höchste Minarett der Welt zu errichten. Nun stand es neben der Moschee und ragte mit 210 Metern in die Höhe. Benannt war die Moschee nach dem König, bezahlt für das Gebäude hatte das Volk.
Wir überlegten, ob wir nach Casablanca hineinfahren sollten. Doch die Menschenmassen an den Stadträndern schreckten uns ab. Die Bidonvilles, die Slums von Casablanca, erstreckten sich bis an die Umgehungsstraße. Bilder schrecklicher Verwahrlosung im Vorbeifahren. Menschen, denen die Kleidung in Fetzen vom Leib hing, langhingestreckte Gestalten am Wegesrand, Häuserzeilen, die aussahen wie nach einem Artilleriebeschuss. Casablanca war zum Meer hin orientiert und zeigte den Vorbeifahrenden nur seinen hässlichen Hintern.
Dann Szenenwechsel. Weiter Himmel, leeres Land, endloser Ozean. Viel grün, eine fast mitteleuropäische Vegetation, die anzeigte, dass hier reichlich Regen fiel. Und tatsächlich zogen die Wolken in dieser Osterwoche in dicken, schweren Klumpen über den Himmel. Ganz klar war es bisher nur in den kalten Nächten gewesen.