Der asiatische Archipel. Ludwig Witzani
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Das hörte sich interessant an, und ich besorgte mir einen Kaffee in der Hotelküche, die mittlerweile geöffnet hatte. So wie es aussah, hatten wir es gar nicht so schlecht getroffen. Das „Murati“ war eine Mischung aus Hostel und Hotel, in dem sich vorwiegend ausländische Individualreisende aufhielten. Nach und nach gingen die Türen auf und die verschiedensten Figuren zeigten sich auf den Etagenbalkonen. Engländer, Holländer und zwei Kanadier kamen an den Pool, einige mit einem Becher Kaffee in der Hand, andere rauchten ihre erste Morgenzigarette. Auf der Liege neben mir ließen sich zwei junge Frauen nieder. Sie hatten bereits ihren Bikini angezogen und begannen ihr morgendliches Sonnenbad. Die eine der beiden hieß Rike, ihre Freundin stellte sich als Amanda vor. Rike war ein ektomorpher Typ, hatte ein vorwitzige Nase und einen langen Kopf mit spitzem Kinn. Ihre Freundin dagegen war runder. Rund waren ihr Kopf, ihr Gesicht und ihre Figur, sie war eine mesomorphe Erscheinung.
Rike begann sofort zu plaudern und erzählte, dass sie fast am Ende ihrer Indonesien-Reise angekommen sei und am Ende der Woche von Jakarta aus nachhause fliegen würde. Zusammen mit Amanda hatte sie fast zwei Monate in Bali und Lombok „abgehangen“ ohne sich sonderlich um Vulkane oder Tempel zu kümmern. Eine Passage aus den Reisetagebüchern von Ernst Jünger fiel mir ein. „In der Sonne liegen und das Verstreichen der Zeit als unmittelbaren Genuss erleben, ist auch eine Begabung.“
In der halb nachlässigen, halb interessierten Art, wie es zum on dit unter Alleinreisenden gehört, setzte sich ein kräftiger Mann zu uns. Auf den ersten Blick war er ein wilder Geselle mit einer Sturmfrisur, die durch sein Stirnband kaum gebändigt wurde. Sein Name war Sam, er war Kanadier und bereits einige Monate auf Java unterwegs. Jeden Tag lernte er etwa ein halbes Dutzend Phrasen aus einem Bahasa Indonesia- Lehrbuch, die er am liebsten mit den Zimmermädchen einübte. Sam kam aus Manitoba in Zentralkanada und erklärte mir, wie die endlose, flache Weite seiner Heimat sein Fernweh erweckt hatte. Seine Familie sei alteingesessen und wohlhabend, der Bruder, der Geschäft und Vermögen der Familie geerbt hatte, zahle ihm eine Leibrente, mit der er die Welt bereiste. Glücklicher Sam. Sam war aber nicht nur glücklich, sondern auch ambitioniert, denn er war fest entschlossen, mit einem Kind heimzukommen. Er reise mit genau diesem Ziel durch die Welt und werde nicht ohne Kind nach Kanada zurückkehren. Sei das Kind erst einmal da, dann seien auch bald die richtigen Frauen zur Stelle. Wenn er sich da nicht mal irrte.
So verging ein fauler Tag am Pool von Yogjakarta mit allerlei halbgaren Geschichten. Gegen Mittag verschwanden Rike und Amanda, dafür gesellten sich zwei Briten zu uns, um sofort Sam ins Gebet zu nehmen. Wenn ich sie richtig verstand, beklagten sie sich darüber, wie kompliziert in Java die Beschaffung von Dope sei. Der Markt sei heikel und nicht ungefährlich. Gerade erst letzte Woche sei in einem der Nachbarhotels ein französisches Pärchen mit einem harmlosen Joint hochgenommen worden. Ich lag auf der Liege und hörte mit geschlossenen Augen zu. Die goldenen Tage der Kiffer waren offenbar vorüber, denn den Drogendealern ging es zunehmend an den Kragen. Erst vor kurzem hatte sich der neugewählte Präsident Widoko geweigert, fünfzig zum Tode verurteilte ausländische Drogendealer zu begnadigen.
Javaner sah man im Hotel nur als Kellner oder Dienstmädchen, wenn sie einen Drink zum Pool brachten oder die Zimmer säuberten. Alle Versuche, etwas mehr über das Personal oder die Hoteldirektion zu erfahren, scheiterten. Mr. Woto, der Hotelmanager, war notorisch kurz angebunden und sagte immer nur „Travel-Agency“, „Travel Agency“, wenn ich etwas fragte. Auch die Belegschaft sprach kein Wort Englisch. Ich hätte gerne gewusst, wo sie lebten, was sie verdienten und wie viele Kinder sie hatten, doch immer wenn ich etwas sagte, nickten sie nur freundlich und fuhren in ihren Verrichtungen fort.
Erheblich zugänglicher war Johnny, der spindeldürre Javaner, der wie ein Festangestellter permanent vor dem Hoteleingang herumlungerte. Er sprach ein erstaunlich flüssiges Englisch und erbot sich, jederzeit Taxen und Busse, Reiseführer und Souvenirs zu beschaffen, die natürlich teurer waren, als wenn man sie selbst organisierte. Eine seiner Standardnummern bestand darin, Neuankömmlingen, die vom Hotel aus zum Sultanspalast spazieren wollten, weißzumachen, dass der Palast vormittags geschlossen sei. Es bestände aber die Möglichkeit in der Zwischenzeit eine interessante Batikschule zu besuchen, in der man ohne Gebühr bei der Herstellung kostbarer Batiktücher zusehen könnte. Wenn man sich darauf einließ, bezahlte man nicht nur einen überhöhten Preis für die Rikscha, die einen zusammen mit Johnny zum Batikgeschäft brachte, sondern sah sich in der vermeintlichen Batikschule sofort einer massiven Verkaufsoffensive gegenüber.
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Manfred, der stille Mathematiker aus Bonn wurde mein Reisegefährte, ein angenehmer und gebildeter Mensch, der trotz intensiver Nachfragen nur wenig von sich erzählte. Das Maximale was ich aus ihm herausbrachte, war die Mitteilung, dass er sich nach privaten und beruflichen Umbrüchen eine dreimonatige Auszeit genommen hatte, in der er einfach auf andere Gedanken kommen wollte. Eine gewisse Gehemmtheit ging von ihm aus, als gehe er mit angezogener Handbremse durch den Tag, aber er war höflich, pflegeleicht und gebildet, ohne den Schlaumeier zu spielen. Was es in seiner Umwelt an Neuem zu erleben gab, nahm er dankbar auf wie ein zurückhaltender Esser, der für jeden guten Bissen dankbar war.
Wir blieben eine gute Woche in Yogjakarta, und auch wenn ich im nachherein den Ruhm, den dieser Ort in Travellerkreisen genießt, überzogen finde, gab es jeden Tag etwas Neues zu sehen. Am schönten war es, ziellos mit geliehenen Fahrrädern durch die Stadt zu radeln. Diese Touren besaßen etwas Märchenhaftes, gerade so, als radelten zwei Gullivers durch das Reich der kleinen schlanken Zwerge. Wir durchfuhren eine überschaubare freundliche Stadt, passierten lebhafte, aber nicht überfüllte Straßen, Gemüsemärkte und die Eingänge kleiner Moscheen und Parks. Die meisten Passanten reichten mir gerade bis zum Brustbein, während wir den Einheimischen dagegen wie ungefüge Riesen erscheinen mochten. Was für hellhäutige Monster, mochten sie denken: blasse, fahle Haut, verschwitzte, fettige Haare, blöder, rastloser Blick – so würden sie uns wahrscheinlich wahrnehmen.
Die jungen Frauen, die uns auf der Straße entgegenkamen, waren teilweise verschleiert, teilweise trugen sie ihre schwarzen Haare offen zur Schau. Mit ihren feinen Gesichtszügen glichen sie kleinen Prinzessinnen, die sich wie Angehörige einer anderen Spezies durch die engen Gassen bewegten. Ihre Haut besaß einen betörenden Bronzeton, ihre Bewegungen waren so elegant, als würden ihre Füße gar nicht den Boden berühren. Viele besaßen breite, sinnliche Münder, und wenn sie lachten, wurden zwei Reihen perlweißer Zähne sichtbar. Die etwas flachen Nasen gaben ihnen etwas Vornehmes, ihre Zurückhaltung war dazu angetan, ihre Attraktivität nur noch zu steigern. Zweifellos ein Lichtblick im großen Bilderbuch der menschlichen Gattung, aber gottlob in Indonesien nicht so wohlfeil wie in Thailand.
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Das moslemische Sultanat von Yogyakarta war im Jahre 1755 als eines von zwei Teilstaaten aus dem mohammedanischen Mataram Reich hervorgegangen (das andere war das Sultanat von Solo). Geschichtliche bedeutsam wurden die Sultane von Yogyakarta als Steigbügelhalter der holländischen Kolonialherren gewonnen, weil sie ihnen umfangreiche Konzessionen zur Etablierung von Kaffeeplantagen auf Java überlassen hatte. Alle Sultane von Yogyakartas seit 1755 trugen übrigens den bemerkenswerten Namen Hamengkubuwonbo – unterschieden wurden sie nur durch die fortlaufende Nummerierung vom allerersten bis zum derzeit zehnten Sultan, der heute noch als Hamengkubuwonbo X den rein repräsentativen Titel eines Sultans von Yogjakarta führte. Sein Palast, der Kraton, befand sich mitten in Yogjakarta und war eine der touristischen Anlaufstellen der Stadt. Sonderlich viel her machte er nicht. Mit ihrer breiten, rotgeziegelten Überdachung und ihren Säulen ohne Sichtbegrenzungen glich die Eingangshalle des Kratons einem großen Zelt. Es folgte eine ausgedehnte Anlage mit flachen Gebäuden und kleinen Höfen, in denen man sich in kunterbunter Reihenfolge Blechskulpturen,