Der asiatische Archipel. Ludwig Witzani
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„Cool“, sagte Rike.
Sashan rotzte einen roten Betelklumpen in hohem Bogen aus dem Seitenfenster. Manfred bat darum kurz anzuhalten, um sich zu erleichtern. Er war blass und schweigsam, eine Magenverstimmung wollte nicht weichen.
In der kurzen Pause erkletterte ich eine Anhöhe, um einen Überblick zu gewinnen. Die Gegend war nun bergiger geworden, ohne dass die Vegetationsdichte abgenommen hätte. Bäume und Felder erstreckten sich bis zu den Bergen am Horizont. Der Himmel hatte sich zugezogen, schwarze Wolken lagen über dem Temanggung.
Eine Stunde später begann es in Wonosobo zu regnen. Die Straße wurde schlechter und rutschig, als wir nach Norden abbogen. Nach einer weiteren halben Stunde hatten wir unser Ziel erreicht: das Dieng Plateau auf etwa zweitausend Metern Meereshöhe, eine der interessantesten Sehenswürdigkeiten Javas – aber nur, wenn die Sonne schien. Leider goss es wie aus Kübeln, und es war praktisch nichts zu sehen. Nasser Nebel umwaberte unser Fahrzeug. Von den Rändern des riesigen Vulkankegels, in dem wir uns befanden, war überhaupt nichts zu erkennen.
Auf den ersten Blick war es erstaunlich, dass die hinduistischen Javaner im achten und neunten Jahrhundert gerade hier ihre erste große Tempelstadt errichtet hatten. Weitab von den landwirtschaftlichen Zentren der Insel in der Nähe eines Himmels, aus dem es in Java im Laufe eines Jahres noch mehr regnen kann als in Indien. Doch es war ein magischer Ort, denn ein Teil des Nebels, der uns umgab, entstand durch die heißen Dämpfe, die aus dem Kraterboden stiegen wie der Dampf aus kochenden Töpfen.
„Muss ich da raus?“ fragte Rike. Niemand antwortete.
Als wir endlich in einer kurzen Regenpause die sorgsam gekennzeichneten Wege durch den Vulkankessel liefen, passierten wir zahlreiche Löcher und Erdspalten, aus denen es zischte, gurgelte und dampfte, als befände sich der Schlund der Hölle direkt unter uns. Ich überprüfte mit der Hand die Temperatur der Böden. Immerhin, sonderlich warm war er nicht. War das ein gutes Zeichen?
Dann erschienen die ersten Tempelruinen im Dunst. In der Blütezeit des javanischen Hinduismus sollen auf dem Dieng Plateau über hundert Tempel gestanden haben. Übrig geblieben waren gerade mal acht. Sie waren aus Stein erbaut, standen auf soliden Sockeln und besaßen ein stufenförmig-pyramidal zulaufendes Dach. Hier und da waren die halb verwitterten Reste von Steinmetzarbeiten an den Außenwänden zu erkennen. Ein durch den Regen der Jahrhunderte eingeweichter Shiva aus Stein blickte mich an. Keiner der Tempel machte als Bauwerk etwas Besonderes her, aber vor der Kulisse von Nebel, Dampf und Regenwolken wirkten sie wie die Überreste eines versunkenen Imperiums.
Ich erinnerte mich an Mahaballipuram im Südosten Indiens, einen heute recht verschlafenen Ort, von dem aus im indischen Mittelalter die Handelsflotten nach Südosten aufgebrochen waren. Der Kailasa-Tempel am Strand von Mahaballipuram war vielleicht die Blaupause dieser viereckigen kleinen Tempel gewesen, wer wollte das wissen? Dieser indische Kulturtransfer seit der Mitte des ersten Jahrtausends muss ein überwiegend friedlicher Import gewesen sein, bei dem die Neuankömmlinge aus Mahaballipuram, Madurai oder Cochin nicht nur begehrte Waren sondern auch die Errungenschaften einer überlegenen Kultur mitgebracht hatten. Mit ihnen waren die indischen Epen wie Ramayana und Mahabharata ebenso nach Java gelangt wie das Sanskrit, aus dem zahlreiche Lehnworte in die javanische Sprache übergegangen waren.
Der Regen nahm zu, der Untergrund wurde matschig und Sashan drängte zur Rückkehr. Ich wäre gerne noch etwas länger geblieben, doch inzwischen hatte es sich wieder eingeregnet, und es war nichts mehr zu sehen. Was würde ich mitnehmen von diesem Platz? Eine Stimmung, eine Farbe der Welt, die mit anderen Farben Asiens zu einer Erinnerung werden würde, ein Gefühl, das eine Zeitlang in mir nachhallen würde, ehe es verschwand.
Auf der Rückfahrt wurde die Sicht auf den abschüssigen Straßen immer schlechter. Doch Sashan kaute unverdrossen seine Betelnüsse, rotzte den Sud in den Regen und lenkte den Wagen stets schon in die richtige Richtung, ehe die Kurve überhaupt sichtbar wurde. Allerdings fuhr er zu schnell, und mehr als einmal geriet das Taxi ins Schleudern. Der einzige Trost war, dass wir die möglichen Abgründe, auf die wir zurutschten, wenigstens nicht sehen mussten.
Dann wieder der gleiche abrupte Wechsel wie auf der Hinreise. Kaum hatten wir das Bergland verlassen, verschwanden Wolken und Regen wie abgeschnitten. Eine gleißende Sonne beschien die gleiche Szenerie aus Vulkanen, Reisterrassen, Feldern und Palmen, die wir schon am Vormittag gesehen hatten. Alles, was in den Tropen geschah, geschah plötzlich: eine Infektion, ein Stimmungsumschwung, der Einbruch der Nacht und auch der Wetterwechsel.
Es war schon dunkel, als wir das Merapi Hotel in Yogjakarta wieder erreichten. Manfred verzog sich sofort auf die Toilette. Rike verschwand in Sams Zimmer. Ich las ein wenig in der Biografie von Max Dauthendey.
***
So vielfältig wie die buddhistische Lehre ist auch ihre Tempelarchitektur. In Sri Lanka gleichen die „Dagobas“ halb in der Erde versenkten weißen Atommeilern. In Burma und Thailand, wo man sie „Chedis“ nennt, erinnern sie an spitz zulaufende goldene Weihnachtsbäume. In Japan und China wirken die buddhistischen Tempel wie große, bunt bemalte Riesenscheunen. Der Borobodur, der größte buddhistische Tempel der Welt, glich keiner dieser Formen. Er war ein Unikat ganz für sich, und es war fraglich, ob man ihn überhaupt als Tempel ansprechen konnte.
Schon als ich ihn das erste Mal aus der Ferne süberraschten mich die Form und die Größe des Bauwerkes. Wäre der Vergleich nicht so despektierlich, könnte man das Gebäude mit einer riesigen fliegenden Untertasse vergleichen. Mit seinen einhundertzwanzig Metern Seitenlänge und einer Höhe von etwa vierunddreißig Metern wuchs der Borobodur inmitten eines weiten, von Bergen begrenztem Tals wie eine Frucht menschlicher Kreativität aus der Erde Javas heraus. Es hieß, dass über 10.000 Arbeiter generationenlang an seiner Erbauung beteiligt gewesen waren. Hatten sie es freiwillig getan, als eine Art Gottesdienst wie bei den ägyptischen Pyramiden, oder waren sie Sklaven gewesen? Zwei Millionen Steinblöcke waren aufgetürmt worden, ehe an den kilometerlangen Wandelgängen über fünfhundert Buddhaskulpturen eingemeißelt worden waren. Die ungeheuren Anstrengungen, die die javanische Sailendra Dynastie zur Errichtung dieses Bauwerkes mobilisieren musste, hatten möglicherweise zu ihrem Untergang beigetragen. Nur wenige Generationen nach der Fertigstellung des Borobodur um das Jahr 800 war das Reich der Sailendra zusammengebrochen.
Geblieben war ein steinernes Riesenmandala, das seine Besucher zu einer kilometerlangen Prozession zwischen den drei buddhistischen Welten einlud. In den altjavanischen Zeiten hatte der Rundgang durch den Borobodur auf ebener Erde im „Kamadathu“, auf der Stufe des irdischen Daseins, begonnen. Er setzte sich fort über die sechs Terrassen des „Rupadathus“, der Ebene der vergeistigten Formen, und erreichte schließlich „Arupadathu“, die Ebene der absoluten Abstraktion auf dem flachen Dach des Borobodur. Während die unterste Ebene nicht mehr zugänglich war, weil das Gebäude im Laufe der Jahrhunderte eingesunken war, konnte der Besucher auf den sechs mittleren Terrassen des Rupadathus hunderte stilisierter Buddhastatuen und über 1200 Steinmerzarbeiten betrachten. Ein gläubiger Buddhist, der diese Galerien entlangwanderte, tauchte ein in den Mythenschatz seiner Religion, identifizierte den Buddha in seinen frühen Lebensformen, den Jakatas, und erkannte all die Dämonen, Geister und mythischen Tiere wieder, die in den heiligen Schriften beschrieben wurden.
Oben angekommen, auf der Ebene der vollständigen Abstraktion, erblickten wir eine monumentale, acht Meter hohe Stupa, die ihrerseits von 72 kleineren Stupen umgeben war. In diesen kleineren Stupen befanden sich wiederum steinerne Buddhas, deren Umrisse man durch die perforierten Stupenwände erkennen konnte.
Allerdings war Buddhismus des Borobodur, der im Borobodur dargestellt wurde, nicht der ursprüngliche Buddhismus, den der historische Buddha im sechsten und fünften Jahrhundert vor der Zeitrechnung in Indien gelehrt hatte. Denn dieser