Der asiatische Archipel. Ludwig Witzani
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Doch schon kurz nach der Ankunft in Java bedrängen ihn böse Vorahnungen. “Mein Boy in Bavaria im Hotel hatte die Nummer 13“, schrieb Dauthendey an seine Frau. „Mein Touristenbillet hat Nummer 13. Auf der Herreise im Schiff war auch alles 13.“
Man sieht: Dauthendey war leicht entflammbar und ebenso enttäuschungsbereit. Im Grunde war er ängstlich, zögerlich und sprunghaft. Deswegen kamen ihm schon bald Zweifel an der Sinnhaftigkeit seiner Reise, die er in seinen Briefen immer deutlicher zur Sprache brachte. Die Finanzen bereiteten ihm Kopfschmerzen, dann ereignete sich ein Erdbeben, „bei dem mein Eisenbett mit mir oben im Gebirge rasselnd durchs Zimmer tanzte.“ (11.6.1914). Schließlich verkündet er brieflich seine vorzeitige Rückkehr, nur um sich über Nacht dann doch wieder eines anderen zu besinnen. In einem kurzen Zusatz vermerkt er am 12. Juni: “Ich reise nun doch nach Neu-Guinea weiter und komme erst im Herbst (September) nach Europa.“
In der zweiten Junihäfte und im Juli hält sich Dauthendey in Papua-Neuguinea auf und ist nicht begeistert, über das, was er sieht. „Außer Menschenfresserdörfern gibt es hier nichts“, bemerkt er trocken in einem Brief am 30.6.1914.
Zwei Tage vorher hatten serbische Terroristen den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau in Sarajewo ermordet. Davon wusste zu dieser Zeit noch niemand etwas im fernen Osten.
Dann aber drangen die Weltnachrichten doch durch und zeigten drastische Folgen. „Ich war auf dem Rückweg von Neuguinea nach Java begriffen, als der Krieg uns am 6. August überraschte“, schrieb Dauthendey am 23. August 1914 an Jenny und Arnold Villinger. Obwohl die Reisegesellschaft zeitweise auf den Molukken festgesetzt wurde, gab sich Dauthendey in seinen Briefen souverän und tat so, als ginge das normale Leben weiter. „Ambonia liegt sehr schön auf einer hügeligen Insel“, schrieb er am 23. Augst 1914. „Wir ankern in einer großen Bucht. Es sind schöne Spazierwege an Land. Der Ort ist nur klein, wie eine liebenswürdige Gartenstadt unter Palmen sieht er aus. Es sind zwei Moscheen und zwei Holzkirchen da, und alle Häuser sind hell und haben nur Erdgeschoss und eine Veranda rundum und liegen in Gärten, die mit gelben und purpurnen Blätterbüschen lebhaft in der Sonne leuchten.“ (ebenda)
Solche beschreibenden Passagen, in denen sich der Weltreisende Max Dauthendey demonstrativ über sein zagendes Herz erhebt und ganz Geist, ganz Auge wird, sollten bald seltener werden. Sie repräsentieren die erste Phase des Heimwehs, eine sich selbst betrügende Verdrängung, die sich darin gefiel, die Details der Exotik scheinbar wie ein Geist zu notieren, der über den Dingen schwebte.
Nach einigen Wochen musste Dauthendey die Molukken verlassen. Zu seinem Verdruss wurde er auf der Überfahrt nach Sumatra im September 1914 von holländischen Offizieren schwer angegiftet. Auch das Wetter ging ihm auf die Nerven. „Es ist Regenzeit jetzt auf Sumatra. Und es regnet täglich jetzt grauer und schwerer als es in den Regensommern im Gutenberger Wald geregnet hat. Die Luft ist dabei beengend heiß und feucht,“ notierte Dauthendey am 30.9.2014.
Dauthendey wartete weiter, besuchte das „Tobameer“ (den Tobasee in der Nähe von Medan in Nordsumatra), delektierte sich an den schönen Javanerinnen und versuchte sich abzulenken, so gut es ging. „Ich kann mit den Schwalben reden und mit den Vögeln und allen Dingen. Ich gehe in die Dörfer zu den Battakern, die noch vor zehn Jahren Menschenfresser waren, und spiele mit ihnen Schach“, berichtete Dauthendey seiner Frau im Herbst 1914.
Wie es ihm wirklich ging, erfährt man in seinem Tagebuch. „Die gefährlichsten Stunden sind die, wenn die Sterne heranrücken. Die großen, blauen Sterne, die aus dem warmen Himmel herabsteigen, in die Menschenaugen, ins Menschenblut. Dann reden die Sterne alles, was man sich selbst verschweigen möchte. Sie sehen einen tiefer an als Menschenaugen. Man muss unter ihrem ewigen Licht zittern, mit allem Ewigen, was am Tag versteckt vor der Vernunft geruht hat, zittert man und wird erregt, und wer nicht vom Malariaschüttelfrost im Aderwerk eiskalt getroffen wird, wird noch fiebriger, vom Heimweh heiß und kalt durchschauert.“ Dann, nur wenige Zeilen später wird er noch deutlicher: „Oh, in diesen Abendstunden, untätig ins Dunkle gerichtet, voll Willenlosigkeit, voll vom Erwachen des Unbekannten im heranwachsenden Finstern in diesen weiten, unendlich weit ausholenden Stunden bin ich machtlos mich zu beherrschen und mein Heimweh zu verstecken. Die Brust weint mir. Die Zeitung zittert in meinen Fingern.“ Dauthendey spürte erschrocken, wie sich seine Befindlichkeit verändert und fügt hinzu „Es ist ein gefährlicher Überschwang ins Gefühl gekommen. Ungesund, verzehrend wie Malaria, singend fein und blutsaugend wie das Meer der Moskitos, die im Dunkeln schwärmen.“ (15.1.1915).
Dabei war das Schicksal, dass Dauthenday ereilte ja beileibe nichts Ungewöhnliches. Zehntausende wurden in den Kriegen des Zwanzigsten Jahrhunderts an der Heimreise gehindert und unter oft erheblich härteren Bedingungen als die Dauthendey interniert. Fast vier Jahre saß Heinrich Harrer in einem indischen Gefangenenlager, ehe ihm die Flucht nach Tibet gelang. Fünf Jahre wurde der Orientalist Hans Overbeck während des Ersten Weltkrieges in Australien gefangen gehalten (Im Zweiten Weltkrieg sollte er auf einem holländischen Gefangenentransport vor Sumatra umkommen). Doch in Dauthendeys Fall hatte das Heimweh einen extrem Heimweh-Anfälligen erwischt, dessen Abwehrverhalten langsam zusammenbrach. Denn alle Versuche, selbst hochgestellter Persönlichkeiten bei der holländischen Regierung, Dauthendeys Ausreise zu ermöglichen, waren fehlgeschlagen.
Im Februar 1915 verlässt Dauthendey Sumatra und siedelt nach Java über. Er lebt nun in Goroet nahe Bandung auf halber Stecke zwischen Jakarta und Yogyakarta. Sein körperliches Befinden beginnt sich zu verschlechtern. Dauthendey bekommt Malaria, schwitzt, friert leidet, kommt wieder zu Kräften und bekommt erneut Malaria. Er nimmt so stark ab, dass Bekannte aus der deutschen Gesellschaft in Sumatra erschrecken, als sie ihm nach einer gewissen Zeit wieder begegnen. „Nun muss ich alle meine Anzüge enger machen lassen“, schreibt Dauthendey am 12.2.15. „Sie hängen an mir wie leere Säcke.“
Doch Dauthendey wehrt sich und begegnet der aufkeimenden Anomie mit Artifizierung, das heißt, er versucht, seinen Kummer sprachlich zu gestalten. Dabei gelingen ihm bemerkenswerte, nicht unwitzige Passagen, aus denen er Trost schöpft. „Gäbe es ein Kreuz erster Klasse für Liebe und Treue“, schreibt er am 21. März 1915 an seine Frau, „müssten du und ich es doch sicher zuerst bekommen. Ich bin so keusch wie ein reiner Mönch. Mein Gesicht im Spiegel sieht mich ganz vergeistigt an. Ich habe asketische Schatten unter den Augen. Schatten der Gedanken an dich, Schatten der Sehnsucht, die mich täglich mit übersinnlichem Licht durchleuchtet. Ich glaube, bald leuchte ich im Dunkeln wie der sehnsüchtige Mond.“ Jeder, der einmal mit Kummer im Herzen versucht hat, sich selbst durch die sprachliche Darstellung dieses Kummers Linderung zu verschaffen, spürt in diesen Zeilen Dauthendeys Kampf gegen den Schmerz mit den Mitteln der Literarisierung. Und er setzt gleich noch einen drauf, in dem er fortfährt: „Ich bin aber doch stolz auf diese Ausdauer, die mir ganz selbstverständlich vorkommt, die ich gar nicht erzwinge, weil ich dich liebe. Man sagt, dass Leichnahme von Heiligen wohlriechend sind. Wenn ich jetzt sterben würde, müsste ich einen solchen Blumenduft verbreiten, dass du es über den Äquator bis hin zur Eiszone in Stockholm riechen müsstest.“ Das hat was und macht noch aus dem Abstand von einhundert Jahren schmunzeln, selbst wenn man den Schmerz ahnt, der hinter diesen Worten steckt. Ganz ähnlich ergeht es dem Leser mit Dauthendeys humoristischen Betrachtungen über die „Menschenfresser“. Am 20.4.1915 schreibt Dauthendey in einem Brief an Wilhelm Panzerbieter: „Die Menschenfresser erzählen sich auch, dass die Handfläche der Menschen, wenn diese älter sind, am besten schmeckt. Am besten schmeckt die linke Handfläche, weil der Battakermann damit zeitlebens das Gemüse isst. Mit der rechten isst er den Reis. Vom Gemüseangreifen wird nun die linke Handfläche mit der Zeit würzig und schmeckt besser als die fade rechte Hand.“ Ein Leidender als sprachlicher Impressario seiner selbst.
Bald aber werden diese Artifizierungen seltener, Dauthendeys Klagen verlieren das Dichterische und erhalten etwas Jammerndes. Die Krankheiten in der Ausländerkolonie verängstigen ihn, ein schreiendes Kind nervt ihn. Dauthendey spürt, wie