Versuchung. Nina Galtergo
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„Soll ich Ihnen vielleicht ein Paar Schuhe bringen?“, fragte die Verkäuferin jenseits des Vorhangs.
„Gerne, Größe 39“, antwortete Kirsten und innerhalb weniger Sekunden wurde ein Paar Pumps mit der Spitze voran unter den Vorhang der Kabine geschoben. Höchstwahrscheinlich beschäftigte sich die Schönheit von Berufs wegen auch mit der Größenanalyse von Damenfüßen unter dem Vorhangsaum.
Sie zog die Schuhe an und stand etwas wackelig vor dem Spiegel. Sie atmete einmal tief durch und schob den schweren Stoff des Vorhangs zur Seite. Die Strahlefrau lächelte sie ermutigend an:
„Das steht Ihnen aber wirklich gut! Soll ich mal den Reißverschluss zumachen?“
Kirsten nickte wieder nur und hielt sich die schulterlangen Haare hoch. Langsam zog die Verkäuferin den Reißverschluss zu und Kirsten trat aus der Kabine heraus vor den großen Spiegel. Es stimmte, das Kleid stand ihr gut. Ungläubig drehte sie sich hin und her.
„Also, das könnte es schon sein“, sagte sie zu der Verkäuferin, um von dieser nicht völlig zum mundfaulen Modemuffel abgestempelt zu werden.
„Es steht Ihnen. Möchten Sie die anderen beiden trotzdem anprobieren?“, fragte diese wieder mit diesem perfekten Zahnpastalächeln, und wiederum nickte Kirsten nur.
Die Verkäuferin öffnete den Reißverschluss wieder, Kirsten ging zurück in die Kabine und schälte sich aus dem Kleid. Erst jetzt wagte sie einen zögerlichen Blick auf das Preisschild. 329 Euro kostete das gute Stück, was irre viel war für ein einziges Kleid, doch Kirstens Stimmung war gekippt. Sie fühlte sich unglaublich gut und hätte wohl jeden Preis bezahlt.
Sie nahm das Chiffonkleid und probierte es ebenfalls an. Es war mehrlagig und genau das, was Kirsten normalerweise abfällig als „Flatterfetzen“ bezeichnet hatte. Doch es saß perfekt und machte aus der langweiligen Kirsten augenblicklich eine attraktive Frau, wie verwandelt durch den gutmütigen Stab einer kleinen, fröhlichen Fee. Wieder schob sie den Vorhang beiseite und sah die Verkäuferin erwartungsvoll an. Diese strahlte über das ganze Gesicht und hauchte ein „Wunderbar!“ Wieder drehte sie sich vor dem Spiegel hin und her und stellte fest, dass dieses Kleid ganz eindeutig unter die Kategorie sexy fiel.
Wieder zurück in der Kabine holte sie das letzte Kleid vom Bügel und zog es an. Der kühle Seidenstoff schmiegte sich an ihren Körper und sie konnte kaum glauben, dass sie tatsächlich in dem schicken Fummel eine gute Figur machte. Mutig schritt sie aus der Kabine vor den Spiegel und sprach laut aus, was die Verkäuferin dachte: „Das ist es!“
„Ja, das sieht wirklich toll an Ihnen aus. Als hätte es hier auf Sie gewartet!“
Zufrieden ging Kirsten zurück in die Kabine und schielte auf das Etikett. 380 Euro, doch bei ihrem prallen Konto kein Problem. Du gehst so selten shoppen, heute haust du mal richtig was auf den Kopf. Dennoch nahm sich Kirsten vor, noch heute online an Unicef und den WWF zu spenden. Sie schaute das zweite Kleid kurz an und fasste den Entschluss, dass ihr Haben heute würde richtig bluten müssen, denn es wanderte auch mit an den Glastresen zur Kasse. Wann kaufst du dir sonst mal was? Ein Anlass zum Tragen ließe sich sicherlich finden. Und die Schuhe kaufte sie auch noch, denn auf denen konnte sie trotz der beachtlichen Höhe gut laufen. Als sie die Verkäuferin an der Kasse darauf ansprach, erklärte diese lächelnd:
„Das sind Karreeabsätze, auf denen läuft es sich wirklich gut. Viele Kundinnen kaufen diese Schuhe gleich mit dazu.“
„Dann bin ich auch so eine Kundin.“
Kirsten zückte ihre EC-Karte und bezahlte. Als sie die Summe hörte, musste sie allerdings kurz schlucken, denn sie war es nicht gewohnt, so viel Geld auf einmal auszugeben, doch heute tat es ihr nicht wirklich weh, ganz im Gegenteil. Außerdem hatte sie ja noch ihren Welt-retten-Plan mit den Spenden.
Die Erkenntnis beflügelte sie geradezu, denn offensichtlich hatte sie es auf Anhieb gefunden, das perfekte Kleid. Nun konnte der Samstag kommen.
Die Zahnpastalächelnde packte alles so sorgfältig ein, als verstaue sie das Zarengold. Sie reichte Kirsten die edlen Tüten und öffnete ihr lächelnd die Tür.
Die kann jetzt zumachen, die hat für heute ihr Soll erfüllt.
Sie beschloss zur Feier des Tages in der Stadt noch etwas zu essen und entschied sich für ein hübsches italienisches Restaurant. Sonst ging sie nicht häufig in Restaurants, doch heute bestellte sie sich Bruscetta, Linguine mit Garnelen und Panna Cotta als Dessert. Sie war regelrecht in Stimmung, Geld auszugeben, nein, Geld herauszuhauen. Kurbel die Wirtschaft an, mach noch ein bisschen weiter damit.
Gestärkt von dem Essen machte sie noch einen Bummel durch die Geschäfte und fand viele schöne Teile. Im Gegensatz zu ihren sonstigen Bummeln kaufte sie heute alles, wirklich alles, von den Ohrringen über den Pullover bis hin zu den Wildlederstiefeln für 160 Euro. Da würde der liebe Florian bestimmt heftig schlucken, aber egal. Es war doch ihr Geld.
Bepackt mit Tüten wie ein Lastenesel kam sie zurück ins Parkhaus, bezahlte ohne mit der Wimper zu zucken die neun Euro Parkgebühren und fuhr bester Laune durch den aufkommenden Feierabendverkehr nach Hause. Heute störte sie sich nicht einmal an der relativ lahmen Lüftung ihres schicken schwarzen Kombis, die kaum damit hinterherkam, die Scheiben frei von Beschlägen zu halten.
Daheim holte sie mit großer Sorgfalt ihre Neukäufe aus den Tüten und platzierte alles im und am Kleiderschrank. Das war wie Weihnachten und Geburtstag an einem Tag. Sie zog sich das Seidenkleid noch einmal an und stand ungläubig vor dem Spiegel. Was für ein Kleid! Den Rest des Nachmittages verbachte sie mit Telefonaten. Zunächst erzählte sie ihrer besten Freundin Ulla von allem, was passiert war, reduzierte das Zusammentreffen mit Christoph am Samstag aber auf eine nette Unterhaltung in der Küche. Ihre Aufregung deswegen verschwieg sie vorsorglich, denn sie wusste, dass die bodenständige Ulla wenig Verständnis für Kirstens Schwärmerei haben würde, dabei sah sie sich selber heimlich Fotos von Leonardo di Caprio im Internet an und ging in jeden Film mit ihm. Als sie von der Weihnachtsfeier berichtete, war Ulla zwar erstaunt, pflichtete Kirsten dann aber bei: „Du musst wirklich wieder mehr unter Menschen, Kiki, das Zusammensein mit deinem stummen Vater ist nicht gut für dich. Du warst früher so eine lustige Nudel! Und wenn dieser Typ so nett ist, hast du vielleicht endlich mal einen da, mit dem du eine Runde quatschen kannst.“
Kirsten fasste das als erteilte Absolution auf, wenn auch eine zurechtgedrehte. Quatschen ist also zumindest erlaubt, das ist doch schon mal ein Anfang.
Neugierig geworden auf das gründlich beschriebene Kleid wollte sie morgen vorbeikommen, wenn sie ihre kleine Tochter zum Reitunterricht gebracht hatte.
Dann rief Kirsten gleich noch im Kosmetiksalon an und vereinbarte für Donnerstag einen Termin. Als das Telefon wieder klingelte, nahm sie ab und meldete sich nur mit einem „Ja?“.
Es war Florian.
„Kiki, ich komme heute etwas später, warte mal lieber nicht mit dem Essen auf mich.“
„Kein Problem, ich habe schon gegessen.“