Versuchung. Nina Galtergo
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Aber er war auch 16 Jahre jünger als ihr Mann. Und ganze sieben Jahre jünger als sie. Kirsten kam sich plötzlich ziemlich verloren und alt vor.
Katerfrühstück und Katzenjammer
Florian verließ eilig das Bett gegen acht Uhr und stürzte auf die Tür des Badezimmers zu. Die Tür schloss sich mit einem Knall und hinter ihr wurden Würgegeräusche hörbar.
Eine ganze Weile ging das so, Würgen, Toilettenspülung und das Geräusch von fließendem Wasser wechselten sich ab. Nach einer Viertelstunde stand er blass in der Tür und stöhnte, während er sich mit den Händen über sein müdes Gesicht fuhr. Kirsten schälte sich aus ihrem Kokon und schleppte sich mühsam zu ihm, jeden Knochen wegen der kurzen Nacht spürend.
„Geht's wieder?“, fragte sie mitfühlend im Kegel des Badezimmerlichts.
„Das waren wohl ein paar Drinks zu viel“, brachte er mit kratziger Stimme hervor. Er roch gleichzeitig sauer und nach Zahnpasta, seine Haare waren verklebt und sein Schlafanzug sah aus, als hätte er in der Nacht stark geschwitzt. Nach all den Jahren war es für sie immer noch ein ungewohnter Anblick, wenn er seine Brille nicht trug, denn das veränderte die Proportionen seines Gesichtes vollkommen. Mit Brille sah er aus wie ein erfolgreicher Mann, der mitten im Leben stand. Ohne Brille sah er verletzlich aus, was sicherlich daran lag, dass er tatsächlich ohne Brille schlecht gucken konnte, da seine Dioptrienzahl bei minus acht lag. So glich er einem orientierungslosen Maulwurf.
„Ich gehe duschen“, sagte er, „ich muss den Wagen in die Werkstatt bringen.“
„Mit dem Restalkohol im Blut?“, fragte sie erstaunt. Wie praktisch, denn so brauchte sie ihm die Lüge von der Absage der Werkstatt erst gar nicht aufzutischen. Die hatte wohl vergessen, ihn anzurufen. Vielleicht konnte sie ja auch gleich noch das Manöver mit dem Kosmetiktermin umgehen, denn ihr war nicht nach Unternehmungen irgendeiner Art. Eigentlich wollte sie nur zurück ins Bett, zurück in die Wärme.
Er seufzte, dann fügte er hinzu: „Vermutlich hast du recht, aber duschen gehe ich trotzdem, ich fühl' mich so siffig.“ Er umarmte sie kurz und gab ihr pflichtschuldig einen Kuss auf den Scheitel, bevor er sich umdrehte, ins Bad schlurfte und die Tür hinter sich schloss. Sie hingegen tapste im nun wieder dunklen Raum zurück ins Bett, vorsichtig darauf bedacht, sich an der Ecke ihres Bettes nicht wieder den Fuß anzustoßen, wie es ihr schon so häufig im Dunkeln passiert war. Wenn sie wieder mit einem gebrochenen kleinen Zeh zum Arzt kam, würde ihr dieser wahrscheinlich einen Sehtest aufbrummen. Oder einen Idiotentest. Kurz schoss ihr durch den Kopf, dass ein anderer Mann sie vor einigen Stunden ebenfalls dorthin geküsst hatte. Ihr Scheitel schien Männer anzuziehen, in Gedanken versunken strich sie darüber, doch er fühlte sich an wie immer.
Sie kuschelte sich tief in die warme Decke und schloss die Augen, um noch ein wenig zu schlafen.
Als sie erwachte, war es im Raum durch die Außenjalousien noch immer stockdunkel. Sie knipste die kleine Lampe der Konsole an und schaute verschlafen auf den Wecker, 12 Uhr mittags war durch.
Mühsam schälte sie sich aus dem Bett und betätigte die Fernbedienung der Jalousien, die langsam hochgingen. Draußen war es neblig, typisches Novemberwetter halt. Im Haus war es still.
Auch ihr Magen revoltierte, dabei hatte sie nur ein wenig Sekt getrunken. Doch vor lauter Aufregung um ihre unverhoffte Küchenbekanntschaft hatte sie das Essen glatt vergessen, woraus sich nun ihr Unwohlsein begründete. Doch ihr kleiner Süßigkeitenvorrat in der Sockenschublade ihres Kleiderschrankes ließ sie an diesem Morgen nicht im Stich: Nach dem Verzehr eines Schokoriegels fühlte sie sich gleich besser.
Sie betrat das Badezimmer. Die Fußbodenheizung, zu der ihr Vater ihnen geraten hatte, war ihr Geld wirklich wert, die Mosaikfliesen waren angenehm warm. Als sie in den Spiegel schaute, sah sie schwarze Balken aus Mascara und Eyeliner unter ihren Augen, die kläglichen Reste des Makeups wischte sie mit einem Wattebausch ab. Dann kämmte sie mühsam ihr störrisches brünettes Haar durch. Sie hasste es, wenn ihr die morgendliche Pflege im Bad so schwer fiel, weil sie abends nicht genug Disziplin zum Abschminken und Kämmen hatte aufbringen können. Nur zum Zähneputzen reichte es immer irgendwie, doch den Rest vernachlässigte sie aus blanker Faulheit gerne mal, vor allem nach durchgefeierten Nächten.
Sie entschied sich spontan zu einem Wannenbad, obwohl sie den großen Whirlpool noch immer als Umweltsünde par excellence betrachtete. Heute brauchte sie das prickelnde warme Wasser, um sich von den Nachwehen der schlechten Nacht zu erholen. Rauschend floss das Wasser ein, als sie den Hahn aufdrehte. Sie band ihre Haare hoch und zog ihren plüschigen Schlafanzug aus. Das Teil war ein Geschenk von Mausi gewesen, entsprechend hässlich fand Kirsten es, doch in kalten Nächten schaffte es dieses Püschelding wie nichts anderes auf der Welt, seine irgendwie immer durchgefrorene Trägerin zu wärmen.
Dann sank sie in die warmen Fluten und atmete tief ein und aus.
Ein leises Klopfen an der Tür weckte sie aus ihrer Entspannung. Florian fragte leise: „Darf ich reinkommen?“
„Ja“, gab sie mit einem Seufzen zurück. Auf ihn hatte sie jetzt wirklich keine Lust. Wahrscheinlich würde er sie nun mit Vorwürfen zum gestrigen Abend konfrontieren und ihr damit wahnsinnig auf die Nerven gehen. Der abtrocknende Referendar in der Küche war für ihn ein gefundenes Fressen.
Er kam herein, trug den Jogginganzug, den sie an ihm überhaupt nicht mochte, weil sie dieses Rot einfach zu aggressiv fand, aber auch der war ein Geschenk seiner Mutter und er ließ nichts auf ihn kommen. Im Gegensatz zu ihren Befürchtungen machte er einen entspannten Eindruck.
„Ich hab dich schlafen lassen.“
„Hmhm.“
„Wann warst du im Bett?“
„Gegen drei.“
„Ich hab die Küche schon aufgeräumt.“ WAS??? Achtung, Achtung, Halluzinationen!!!
„Oh, schön.“
Er kam zur Wanne herüber und setzte sich auf den schmalen Rand. Langsam begann er damit, zärtlich ihren Nacken mit den Fingerspitzen zu streicheln.
„Danke, dass du gestern alles so toll gemanaged hast“, sagte er. WAS IST DAS DENN??? Hatte er zum Frühstück einen Kaffee der Marke Prinz Perfekt?
„Kein Ding“, antwortete sie knapp.
Er küsste sie wieder auf den Scheitel und fragte:
„Hättest du Lust auf ein wenig Sex mit einem Neu-Einundvierziger?“
„Eben nicht, ich bin noch so fertig“, murmelte sie. Sex mit ihm war das Letzte, woran sie jetzt dachte. Gegen das Bad im Whirlpool konnte ein laues Stelldichein nicht anstinken.
„Na, dann kann man nichts machen“, stellte er ein bisschen resigniert fest und stand wieder auf. Stöhnend reckte er sich.
„Wo gehst du hin?“, fragte sie.
„Ich werde joggen gehen“, antwortete er entschlossen.
„Du willst joggen gehen?“, fragte sie perplex.
„Jawohl, joggen gehen, du hast richtig gehört“, konterte er stolz. „Ich muss mal wieder in die Gänge kommen, ich werde langsam alt und träge.“