Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke. Robert Louis Stevenson
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»O, weshalb hat Baby mir das nicht gleich gesagt!« rief sie; dann fiel ihr ein, daß man ihr einen Brief gegeben hatte, mit der Bedingung, ihn erst an Bord zu öffnen. Er enthielt eine Einlage für mich selbst, die folgendermaßen lautete:
»Lieber David, was haltet Ihr von meinem Abschiedsgruß? Und was sagt Ihr zu Eurer Mitreisenden? Habt Ihr geküßt oder gefragt? Hier wollte ich bereits die Unterschrift hinzufügen, aber da fiel mir ein, daß das den Zweck meiner Frage im unklaren ließe; was mich betrifft, so kenne ich die Antwort. Also anschließend die guten Ratschläge! Seid nicht zu schüchtern und versucht um Gottes willen auch nicht, zu fürwitzig zu sein; nichts kleidet Euch schlechter. Womit ich verbleibe
Eure wohlgeneigte treue Freundin und Lehrmeisterin
Barbara Grant.«
Ich kritzelte ein Wort des Dankes und der Höflichkeit auf ein Blatt meines Notizbuches, legte einen Zettel von Catriona bei, versiegelte das Ganze mit meinem neuen Siegelring mit dem Balfourwappen und beförderte es durch Prestongranges Diener, der noch in meinem Boote wartete.
Dann erst hatten wir Zeit, uns in Muße zu betrachten, und noch war keine Minute verstrichen, als wir, auf gemeinsamen Impuls hin, einander noch einmal die Hand schüttelten.
»Catriona!« stieß ich hervor. Zu mehr reichte meine Beredsamkeit nicht.
»Ihr freut Euch, mich wiederzusehen?«
»Ich meine, das ist ein überflüssiges Wort; wir sind zu große Freunde, um derartige Nichtigkeiten zu reden.«
»Ist sie nicht das prächtigste Mädchen von der Welt?« hub sie von neuem an. »Noch nie habe ich ein so aufrichtiges, schönes Mädchen getroffen.«
»Und doch bedeutet ihr Alpin nicht mehr als ein Kohlstrunk.«
»Ach, das behauptet sie nur so!« rief Catriona. »Es war um des Adels und des guten, adeligen Blutes willen, daß sie mich aufnahm und so gut zu mir war.«
»Ich will Euch sagen, weshalb sie es tat«, entgegnete ich. »Es gibt alle möglichen Gesichter auf dieser Welt. Es gibt Barbaras Gesicht, das keiner ansehen kann, ohne es zu bewundern und sie für ein prächtiges, hochgemutes, munteres Mädchen zu halten. Und dann gibt es Euer Gesicht, das ganz anders ist – wie anders, weiß ich erst heute. Ihr könnt Euch selbst nicht sehen und den Unterschied begreifen; aber es war die Liebe zu Euerm Gesicht, die sie bewog, Euch aufzunehmen und gut zu Euch zu sein. Jeder Mensch würde das gleiche tun.«
»Jeder?«
»Jede lebende Seele.«
»Ach, das war also der Grund, weshalb die Soldaten auf dem Schlosse mich festhielten!«
»Barbara hat Euch gelehrt, mir Fallen zu stellen.«
»Sie hat mich auch noch anderes gelehrt. Zum Beispiel hat sie mir viel von einem Mr. David gesprochen – von allen seinen schlechten Eigenschaften und ein klein wenig auch von seinen guten«, sagte sie lächelnd. »Ja, sie wird mir von Mr. Balfour erzählt haben, was es zu erzählen gibt, nur nicht, daß er auf dem gleichen Schiffe wie ich fahren würde. Was ist eigentlich der Zweck Eurer Reise?«
Ich nannte ihn ihr.
»So,« meinte sie, »dann werden wir wohl einige Tage zusammenbleiben und endlich (vermutlich) auf immer auseinandergehen! Ich reise zu meinem Vater, an einen Ort namens Helvoetsluys, und von dort aus nach Frankreich, um mit unserem Häuptling das Exil zu teilen.«
Ich vermochte nur »O!« zu sagen; der Name James More genügte, um mir die Rede zu verschlagen.
Sie merkte das auf der Stelle und erriet einen Teil meiner Gedanken.
»Eines muß ich vor allem sagen, Mr. David. Ich glaube, zwei aus meiner Sippe haben nicht gut an Euch gehandelt. Der eine von beiden ist James More, mein Vater, und der andere ist der Herr von Prestongrange. Prestongrange wird sich selbst gerechtfertigt haben, oder seine Tochter hat es an seiner Statt getan. Und für meinen Vater, James More, möchte ich Folgendes sagen: er lag in Ketten im Gefängnis; er ist ein schlichter, ehrlicher Soldat und ein einfacher Hochlandsgentleman; worauf die anderen hinauswollten, hat er niemals erraten. Hätte er es jedoch gewußt, er hätte lieber den Tod erlitten als geduldet, daß einem jungen Gentleman wie Euch solches Unrecht geschehe. Und um all Eurer Freundschaft willen bitte ich Euch jetzt, meinem Vater und meiner Familie diesen Irrtum zu verzeihen.«
»Catriona,« entgegnete ich, »worin dieser Irrtum bestand, will ich niemals erfahren. Ich weiß nur das eine: Ihr seid zu Prestongrange gegangen und habt kniefällig um mein Leben gebeten. O, ich weiß genau, Ihr gingt um Eures Vaters willen; aber als Ihr dort waret, batet Ihr auch für mich. Zwei Dinge gibt es, die ich Euch nie vergessen kann: die guten Worte, die Ihr sprachet, als Ihr Euch meine kleine Freundin nanntet, und die Tatsache, daß Ihr um mein Leben flehtet. Zwischen uns beiden, Euch und mir, soll niemals wieder die Rede von Unrecht und Vergebung sein.«
Danach verharrten wir in Schweigen; Catriona betrachtete das Deck, und ich betrachtete sie, und noch ehe wir weiterredeten, sprang aus Nordwesten ein leichter Wind auf, die Mannschaft hißte die Segel, und der Anker wurde gelichtet.
Außer uns befanden sich noch sechs Passagiere an Bord; damit war das Schiff besetzt. Es waren drei solide Kaufleute aus Leith, Kirckaldy und Dundee, die alle in dem gleichen Unternehmen nach Süddeutschland reisten, ein Holländer, auf der Rückfahrt begriffen, und zwei brave Kaufmannsfrauen, deren Obhut Catriona anvertraut war. Mrs. Gebbie, so hieß die eine, hatte zum großen Glück ziemlich viel unter der Seekrankheit zu leiden und lag Tag und Nacht flach auf dem Rücken. Da wir, mit Ausnahme eines bleichgesichtigen Jungen, der meiner alten Pflicht, bei Tische aufzuwarten, oblag, die einzigen jungen Leute an Bord der »Rose« waren, blieben wir ziemlich viel allein. Bei Tisch saßen wir nebeneinander, und ich erwies Catriona mit größter Freude jede Aufmerksamkeit. Auf Deck bereitete ich ihr mit meinemMantel ein weiches Lager, und da das Wetter für die betreffende Jahreszeit ungewöhnlich schön war, mit klaren, kalten Tagen und Nächten und einer stetigen, sanften Brise, zitterte auf der ganzen Fahrt durch die Nordsee kaum ein Segel, und wir saßen da (nur von Zeit zu Zeit auf und ab gehend, um warm zu bleiben) vom ersten Sonnenstrahl an bis acht oder neun Uhr nachts unter den hellen Sternen. Mitunter warfen uns die Kaufleute oder Kapitän Sang im Vorübergehen einen lächelnden Blick oder ein Scherzwort zu, die meiste Zeit jedoch waren sie eingehend in Gespräche über Heringe, Möbelkattune und Leinen vertieft oder berechneten die Länge der Fahrt und überließen uns unseren eigenen Angelegenheiten, die ja auch niemandem außer uns selbst wichtig dünkten.
Anfänglich hatten wir uns viel zu sagen und kamen uns dabei recht geistreich vor; ich gab mir erkleckliche Mühe, den Galan zu spielen und sie (wie ich glaube) die weltkluge, junge Dame. Aber bald wurden wir beide schlichter. Ich legte mein hochgeborenes, geschraubtes Englisch ab (sehr fest saß es ohnehin nicht) und vergaß meine Edinburger Reverenzen und Kratzfüße, und sie verfiel in eine Art Vertraulichkeit. Wir lebten zusammen wie Mitglieder einer Familie, nur bestand auf meiner Seite ein tieferes Gefühl. Gleichzeitig schien unseren Gesprächen gleichsam der Boden auszufallen, aber wir waren deswegen nicht weniger glücklich. Hin und wieder erzählte sie mir Altweibermärchen, von denen sie, vornehmlich durch meinen rothaarigen Freund Neil, eine erstaunliche Menge kannte und die sie wunderhübsch wiedergab. Wirklich waren es auch hübsche, kindliche Geschichten; aber mein größter Genuß war doch, ihrer Stimme zu lauschen und mir klarzumachen, daß sie mir erzählte, und daß ich zuhörte. Mitunter saßen wir auch in tiefstem Schweigen, ohne selbst durch einen Blick eine Verbindung herzustellen, und doch innig befriedigt von der Süße dieses Zusammenseins. Ich spreche