Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke. Robert Louis Stevenson

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Robert Louis Stevenson - Gesammelte Werke - Robert Louis Stevenson

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der Lichterglanz der Stadt, und über ihr schwebte das Summen vieler Tausender von in Bewegung und im Gespräch befindlichen Menschen; zur Linken lag Dunkelheit und das glucksende Wasser. Ich breitete meinen Mantel über einen Stein und hieß Catriona sich niedersetzen; sie wollte sich auch weiterhin an mich klammern, so heftig zitterten die Beleidigungen in ihr nach, aber mir lag daran, meine Gedanken zu ordnen; daher machte ich mich von ihr los und vollführte vor ihr einen Schmugglermarsch, wie wir es nennen – immer auf und ab gehend und mir den Kopf nach einem Ausweg zerbrechend. Während ich hin und her überlegte, fiel mir ein, daß ich in der Eile und Hast unseres Aufbruchs es Kapitän Sang überlassen hatte, für uns die Zeche zu bezahlen. Ich mußte laut auflachen; meiner Meinung nach geschah es dem Manne ganz recht; gleichzeitig fuhr ich instinktiv mit der Hand in die Tasche, in der ich mein Geld aufbewahrte. Wahrscheinlich war mir die Sache in der Gasse zugestoßen, als die Weiber uns anrempelten; das eine war gewiß: ich hatte meine Börse verloren. »Ihr habt soeben einen guten Gedanken gehabt«, sagte Catriona, als sie merkte, wie ich stutzte.

      In der Klemme, in der wir uns jetzt befanden, sah ich plötzlich ganz klar wie durch ein Fernrohr, daß uns keine Wahl übrigblieb. Ich besaß keinen Groschen Bargeld, aber in meiner Brieftasche ruhte mein Kreditbrief auf das Leydener Bankhaus. Es gab nur eine Möglichkeit, dorthin zu gelangen: unsere zwei Paar Füße. »Catriona,« sagte ich, »ich kenne Euch als ein tapferes und kräftiges Mädchen – glaubt Ihr, Ihr könntet auf ebener Landstraße dreißig Meilen wandern?« Es stellte sich später heraus, daß die Entfernung nur zwei Drittel davon betrug, aber ich glaubte, der Weg wäre so weit. »David,« entgegnete sie, »wenn Ihr mich in Eurer Nähe behaltet, will ich überall hingehen und alles tun, was Ihr wollt. Mir ist der Mut ganz gebrochen. Laßt mich nur nicht in dieser furchtbaren Stadt allein; sonst ist mir alles recht.« »Könnt Ihr jetzt aufbrechen und die Nacht über marschieren?« »Ich will alles tun, was Ihr von mir verlangt, und Euch niemals nach dem Grunde fragen. Ich habe mich Euch gegenüber als schlechtes, undankbares Mädchen gezeigt; macht jetzt mit mir, was Ihr wollt! Ich finde auch, Miß Grant ist das beste Fräulein von der Welt«, fügte sie hinzu, »und sehe nicht ein, weshalb sie Euch verleugnet hat.« Das war für mich Griechisch und Hebräisch, aber ich hatte anderes zu bedenken. Vor allem mußten wir aus der Stadt heraus auf die Leydener Heerstraße. Das erwies sich als ein hartes Problem, und es mochte ein bis zwei Uhr nachts geworden sein, ehe wir die glückliche Lösung fanden. Sobald die Häuser hinter uns lagen, hatten wir nichts, das uns als Wegzeichen dienen konnte, weder Mond noch Sterne, nur das weiße Band der Straße inmitten zweier schwarzer Seitenwege. Außerdem gestaltete sich das Gehen zu einer ungemeinen Schwierigkeit infolge eines eisigen Nachtfrostes, der ganz plötzlich nach Mitternacht eingesetzt und die Landstraße in eine einzige, lange Rutschbahn verwandelt hatte.

      »Nun, Catriona,« bemerkte ich, »jetzt gleichen wir den Königssöhnen und den Töchtern der alten Hexe aus Euren wunderlichen Hochlandssagen. Bald wandern auch wir über die ›sieben Berge, die lieben Täler und die sieben Sümpfe‹ .« Das war so eine Redensart, die immer wieder in ihren Märchen vorkam, und die ich mir gemerkt hatte.

      »Ja,« entgegnete sie, »nur gibt es hier keine Berge und Täler! Aber ich will nicht leugnen, einige der Bäume und der Ortschaften hier in der Ebene sind recht hübsch. Trotzdem ist unser Land das beste.«

      »Ich wollte, wir könnten das gleiche von unseren Landsleuten behaupten«, erwiderte ich und dachte dabei an Sprott und Sang, vielleicht an James More selbst.

      »Ich werde nie und nimmer Nachteiliges über meines Freundes Heimat sagen«, bemerkte sie mit so eigentümlicher Betonung, daß ich den Ausdruck ihres Gesichtes klar vor mir sah.

      Ich sog scharf den Atem ein und wäre auf dem schwarzen Eise fast hingeschlagen.

      »Ich weiß nicht, was Eure Meinung ist, Catriona,« sagte ich, als ich mich ein wenig gefaßt hatte, »aber ich finde, heute war bisher der schönste Tag unserer Reise. Ich schäme mich, es einzugestehen, da Ihr so viel Unglück und Unannehmlichkeiten hattet; aber für mich war es der schönste.«

      »Es war ein guter Tag, da Ihr mir so viel Liebe zeigtet.« »Trotzdem schäme ich mich, so glücklich zu sein, während Ihr Euch hier in tiefster Nacht auf der Landstraße befindet.« »Wo in weiter Welt sollte ich sonst wohl sein?« rief sie. »Ich meine, bei Euch bin ich doch am sichersten.«

      »Ihr habt mir also ganz verziehen?«

      »Wollt Ihr mir nicht so weit verzeihen, nie wieder über die Sache zu sprechen?« stieß sie hervor; »in meinem Herzen lebt für Euch nichts als Dankbarkeit. Aber ich will ehrlich sein,« fügte sie überraschend hinzu, »jenem Mädchen kann ich nie vergeben.«

      »Sprecht Ihr wieder von Miß Grant? Ihr sagtet doch selbst, sie sei das gütigste Fräulein von der Welt.«

      »Das ist sie auch, das ist sie auch! Trotzdem kann ich ihr nie verzeihen. Nie und nimmer werde ich ihr verzeihen, also will ich nichts mehr von ihr hören.«

      »Nun,« meinte ich, »das übersteigt wohl alles, was ich je erlebt habe; ich staune, daß Ihr so kindischen Launen nachgebt. Hier ist eine junge Dame, die sich uns beiden gegenüber als die treueste aller Freundinnen erwiesen hat, die uns lehrte, wie man sich anzieht, ja die uns ein gut Teil Gesittung beibrachte, wie jeder, der uns vor und nach unserer Bekanntschaft mit ihr kannte, auf den ersten Blick sehen muß –« Aber Catriona war mitten auf der Landstraße stehengeblieben. »Die Sache liegt so,« sagte sie, »entweder Ihr wollt weiter von ihr reden, und ich kehre, komme, was da wolle, zur Stadt zurück, oder Ihr erweist mir die Rücksicht, nicht mehr von ihr zu sprechen.«

      So vollkommen ratlos wie ich war wohl keiner auf dieser Welt; aber ich überlegte mir, daß sie ganz und gar auf meinen Beistand angewiesen sei, daß sie dem schwachen Geschlecht angehöre und kaum die Kinderschuhe abgestreift hätte, und daß es mir gezieme, Vernunft für zwei zu zeigen.

      »Mein liebes Mädchen,« antwortete ich, »ich begreife an der ganzen Sache keinen Deut, aber Gott verhüte, daß ich Euch auf irgendeine Weise erzürne. Und was das Gerede über Miß Grant betrifft, so ist es mir recht gleichgültig; ich glaube sogar, Ihr habt selbst damit angefangen. Meine einzige Absicht, als ich darauf einging, war, Euch eines Besseren zu belehren; ich hasse selbst den Schein der Ungerechtigkeit. Ich bin weit davon entfernt, einen schönen Stolz und edles, weibliches Zartgefühl an Euch zu tadeln; sie kleiden Euch außerordentlich gut, aber Ihr geht darin zu weit.«

      »Seid Ihr jetzt fertig?« fragte sie.

      »Jawohl.« »Das ist gut«, meinte sie, und wir setzten unsere Wanderung fort, jetzt aber schweigend.

      Es ist unheimlich, in tiefster Nacht zu marschieren, nur von Schatten begleitet, und ohne jedes andere Geräusch als die eigenen Schritte. Anfänglich, glaube ich, brannte viel Feindschaft in unseren Herzen, aber die Dunkelheit und Kälte und das Schweigen, das nur von dem Krähen der Hähne oder von dem Gebell eines Bauernköters unterbrochen war, brachten gar bald unsern Stolz zu Fall. Ich für meinen Teil hätte jede entschuldbare Gelegenheit für eine Anrede mit Freuden begrüßt. Vor Morgengrauen fiel ein warmer Regen und fegte den Frost zu unseren Füßen spurlos hinweg. Da brachte ich Catriona meinen Mantel und versuchte, ihn ihr umzuhängen, aber sie sagte ziemlich ungeduldig, ich solle ihn behalten. »Keinesfalls«, entgegnete ich. »Ich bin ein großer, ungeschlachter Bursche, der bereits alle möglichen Unbilden der Witterung über sich hat ergehen lassen, und Ihr seid ein zartes, hübsches Mädchen! Liebe, wollt Ihr, daß ich mich schämen muß?«

      Ohne weitere Worte hüllte ich sie darin ein, und da das in der Dunkelheit geschah, ließ ich fast wie als Liebkosung meine Hand einen Augenblick auf ihrer Schulter ruhen. »Ihr müßt versuchen, mit Eurem Freunde etwas mehr Geduld zu haben«, sagte ich. »Eure Güte nimmt kein Ende«, lautete ihre Antwort.

      Und wieder ging es schweigend weiter; jetzt jedoch unter ganz anderen Bedingungen.

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