Behauptungen und Fragen. Edwin Gräupl
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Fortschritt
Die veröffentlichte Meinung huldigt dem Fortschrittspessimismus. Ich bin anderer Meinung. Wer noch eine Waschküche erlebt hat, weiß den Fortschritt einer Waschmaschine und ihre befreiende Wirkung für viele Frauen zu schätzen. Wie großartig ist ein Kühlschrank, der erst seit 1955 erschwinglich geworden ist; wer es nicht glauben will: Milch wird ohne Kühlschrank im Sommer sauer, Butter schmilzt, Wurst verdirbt.
Die List jener Geräte, die das tägliche Leben seit 50 Jahren erleichtert haben, kann noch lange fortgesetzt werden. Ein anderes Thema: Der medizintechnische Fortschritt! Der Graue Star (Katarakt) wird heute in einer Operation mit kurzem Klinikaufenthalt operiert; die Sehkraft ist wieder da, keine "Starbrille" (ein Monster mit zentimeterdicken Gläsern) ist mehr notwendig. Ich möchte nicht ermüdend werden, es bleibt festzustellen, dass das Leben heute unendlich bequemer (und auch viele Jahre länger!) geworden ist, als es noch vor 60 Jahren war!
Römisch-katholische Kirche
Im täglichen Wirbel werden wesentliche Aspekte (auch von der Kirche selbst) übersehen. Unbestritten sollte es sein, dass die zentrale und unverzichtbare Aufgabe der Kirche darin besteht, den Auferstandenen zu verkündigen (siehe Römer 10,9). "Moral" zu predigen ist bestenfalls sekundär.
Die römische Kirche ist aber auch eine Institution dieser Welt, nämlich die einzige, die ununterbrochen seit der Antike existiert. In ihr haben sich Traditionen (besonders der Spätantike) erhalten, wenn sie auch natürlich immer wieder der Zeit entsprechend transformiert wurden. So gesehen ist die römische Kirche ein lebendiges Weltkulturerbe! Wer eine Heilige Messe mitfeiert, sollte sich auch dessen bewusst sein, dass er hier im Ritus den letzten Nachklang des Hofzeremoniells der spätrömischen Kaiser erlebt. Dies sollte radikalen Moralisten von ganz links bis ganz rechts nachdrücklich in Erinnerung gerufen werden. Auch die Traditionen des Abendlandes verdienen Respekt!
Manfred Lütz
Seit mir ein Freund vor Jahren ein Buch von Lütz (Der blockierte Riese) zugesandt hat, bin ich ein Lütz-Fan. Er ist witzig, kenntnisreich und grundvernünftig. Welche Wohltat, Bücher eines katholischen, optimistischen und fröhlichen Autors zu lesen! Sein Buch "Irre - Wir behandeln die Falschen" hat mir darüber hinaus im Umgang mit Depressionen wirklich geholfen.
Wollte man die dringend notwendige Reform der katholischen Erziehungstheorie und Praxis wirklich einmal beginnen, so kann ich nur empfehlen, sich vom Geist dieses Arztes und Theologen leiten zu lassen.
Missbrauch
In der gegenwärtigen aufgeregten Diskussion über die skandalösen Missbräuche in Einrichtungen der katholischen Kirche bleibt das christliche Rahmenkonzept merkwürdig unerwähnt.
Zwei Perikopen aus den Evangelien stecken das Feld ab: Die Erzählung vom verlorenen Sohn (heute gerne "Der gute Vater" betitelt) und das Gleichnis vom Samariter.
Was die Bischöfe zu tun haben, steht hier ganz klar und einfach: Dem verwundeten Opfer ist vorbehaltlos, sofort und großzügig zu helfen und das über den heutigen Tag hinaus in die Zukunft, so lange Hilfe notwendig und sinnvoll ist. Dem Täter aber, sofern und sobald er Einsicht und Reue zeigt , ist nach Verbüßung der gerechten Strafe der Wiedereinstieg in die menschliche Gesellschaft zu ermöglichen. In der Vergangenheit haben kirchliche Stellen den Täter reintegriert und das Opfer liegen lassen, heute wird dem Opfer geholfen und der Täter auf ewig verdammt. Beides ist unchristlich, Umkehr ist angesagt!
Perry Rhodan
Seit 1961 weben viele Autoren am Netz des "Perryversums". Ich selbst habe in den Siebziger-Jahren Hefte gelesen und unlängst - durch meinen Sohn motiviert - wieder begonnen (in seinen Heften) weiterzulesen.
Alle Pädagogen und Literatursachverständigen haben es immer gesagt, sagen es und werden es weiter sagen: Das ist wertlose Trivialliteratur! (In meinen Kindertagen sprach man von "Schmutz und Schund").
Dass man damit diesem Phänomen nicht gerecht wird, liegt auf der Hand. Nicht alles, was Reich-Ranitzki nicht liest, ist wertlos. Es ist nur anders. War es früher Karl May, dessen Werke gern gelesen wurden, aber offiziell geächtet waren, so ist es heute nicht nur das monumentale Konvolut von 50 Jahren phantasievoller Arbeit eines Kollektivs (dessen Autoren durch Fan-Seiten im Internet langsam aus der Anonymität treten), sondern noch immer alles, was nicht in das Literaturschema der Literaturverwalter passt.
Wie schön, dass ich lesen darf, was mich unterhält und zum Denken und Phantasieren einlädt!
Das Wunder Mathematik
Im Zug der Präzisierung mathematischer Beweise geriet man zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Schwierigkeiten (so erwies sich der Begriff der "Menge aller Mengen" als in sich widersprüchlich). Einer der Ansätze zur Bewältigung war der Konstruktivismus. Man versuchte in ehrlicher Denkarbeit als bewusst endliches Wesen (im Verzicht auf das "Tertium non datur") die Mathematik schrittweise aufzubauen. Dies misslang! Auch der Versuch, alle mathematischen Sätze aus einer überschaubaren Zahl (evidenter) Axiome herzuleiten, wurde durch Gödel als undurchführbar erwiesen.
Das Ergebnis aller im Sande verlaufenen Versuche ist die höchst verwunderliche Einsicht, dass der mathematische Platonismus die einzig fruchtbare Methode liefert. Hier nimmt man die Existenz mathematischer Begriffe an, auch wenn sie konstruktiv unerreichbar sind. So haben sie eine bestimmte Eigenschaft oder sie haben sie nicht (Tertium non datur). Das Wunder aller Wunder besteht nun darin, dass diese auf kühnen metaphysischen Beinen stehende Mathematik sich in den technischen Anwendungen hervorragend bewährt!
Ich selbst habe mich lange gegen den (meist unausgesprochen herrschenden) Platonismus in der Mathematik gewehrt, sehe aber heute, dass es fruchtbarer ist, sich zu verwundern, als "in logisch konstruktiver Strenge" zu scheitern.
Gutes Benehmen
Vor einigen Jahren veröffentlichte der äthiopische Prinz Asfa Wossen Asserate sein Buch "Manieren". In diesem Werk zeigt er sehr schön den Kern wirklich guten Benehmens auf. Es geht dabei nicht vordringlich um Äusserlichkeiten, sondern darum - aus christlichem Grundverständnis heraus - Anderen gerecht zu werden, das allerdings mit Grazie.
Im Spätherbst des Mittelalters bildete sich zu diesem Thema im höfischen Burgund eine Ahnung heraus, dass der Ehre gewinnt, der sie Anderen erweist und der Ehre verliert, der sie Anderen verweigert. Das ist das Paradoxon höfischen Lebens, dass man auf