Spiel des Zufalls. Joseph Conrad

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Spiel des Zufalls - Joseph Conrad

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nicht gekannt?«

      »Nein, ich habe ihn nie gesehen. Es sind Jahre seither vergangen, aber ich meine heute noch zu hören, wie der kleine Fyne mir mit feierlicher Grabesstimme den bevorstehenden Besuch des Bruders seiner Frau ankündigte. ›Der Sohn des Dichters, Sie wissen ja‹. Er war eben von weiter Fahrt in London eingelangt und sollte nun, sobald es seine Geschäfte erlaubten, herkommen, um einige Wochen bei seinen Verwandten zu verbringen. ›Ohne Zweifel würden wir beide uns über unseren gemeinsamen Beruf manches zu sagen haben‹, fügte der kleine Fyne mit tiefernstem Unterton hinzu, als wäre die Handelsmarine ein Geheimbund.

      Du mußt verstehen, daß ich mit den Fynes nur während des Sommeraufenthaltes auf dem Lande verkehrte. Dies war das dritte Jahr. Von ihrem Leben in der Stadt wußte ich nicht mehr, als was sich durch Rückschlüsse folgern ließ. Ich spielte am Spätnachmittag Schach mit Fyne und ging manchmal früh genug hinüber, um mit der ganzen Familie an einem großen runden Tisch Tee zu trinken. Sie saßen um ihn herum, sachlich, sonnverbrannt und sehr wortkarg. Sogar die Kinder schwiegen und trugen untereinander und den Eltern gegenüber eine Art Geringschätzung zur Schau. Fyne brummte manchmal in tiefernstem Brustton irgendeine nebensächliche Bemerkung. Frau Fyne lächelte gedankenlos (sie hatte herrliche Zähne), während sie Tee, Brot und Butter austeilte. Irgendetwas, es war weder Kälte noch Teilnahmslosigkeit, nur eine merkwürdig ausgeprägte Selbstbeherrschung, ließ sie wie eine sehr verläßliche, sehr fähige und ganz ausgezeichnete Erzieherin wirken. Als wäre Fyne ein Witwer und die Kinder nicht die ihrigen, sondern nur ihrer ruhigen, bestimmten Obhut anvertraut gewesen. Man wartete darauf, daß sie Fyne mit ›Herr‹ ansprechen würde. Wenn sie ihn ›John‹ nannte, klang es wie eine unpassende Vertraulichkeit. Die Atmosphäre während der Sommerferien war, wenn ich so sagen darf, strahlend langweilig. Gesunde Gesichter, blonde Haare, helle Augen, und nie ein offenes Lachen in der ganzen Gesellschaft, außer vielleicht von einem der jungen Mädchen, die zu Gast waren.

      Das Problem dieser jungen Freundinnen beschäftigte mich lebhaft. Wieso und von woher sich die Fynes alle diese hübschen Dinger holten, die sie ständig im Hause hatten, kann ich mir nicht vorstellen. Ich hatte erst den wilden Verdacht, daß sie zu Fynes Zerstreuung dienen sollten. Aber ich entdeckte bald, daß er kaum eine von der andern unterscheiden konnte, obwohl ihre Anwesenheit offenbar seiner feierlichen Zustimmung begegnete. Diese Mädchen waren in der Tat für Frau Fyne da. Sie kamen ihr mit bewundernder Ehrfurcht entgegen, schienen ein Bedürfnis nach ihrer Nähe zu haben. Sie saßen zu ihren Füßen, benahmen sich wie Schülerinnen. Es war ganz eigen. Von Fyne nahmen sie kaum Notiz. Was mich anbetrifft, so ließ man mich merken, daß ich überhaupt nicht vorhanden war.

      Nach dem Tee setzten wir uns zum Schachspiel, und dabei wurde Fynes unzerstörbarer Ernst gelegentlich von etwas wie einem Schimmer leiser Genugtuung überglänzt. Die göttliche Sorglosigkeit eines Lachens war ihm nur über dem Schachbrett gegeben. Gewisse Stellungen im Spiel konnten ihm witzig erscheinen, was ihm sonst mit nichts auf Erden geschah ...«

      »Er hat dich wohl gewöhnlich geschlagen«, bemerkte ich zuversichtlich.

      »Ja, er hat mich meistens geschlagen«, gab Marlow rasch zu.

      So pflegten also er und Fyne nach dem Tee zwei Partien zu spielen. Die Kinder spielten draußen, ernsthaft und unkindlich, wie man es von Fynes Kindern nicht anders erwarten konnte, während Frau Fyne sich mit dem jungen Mädchen, das jeweils Wochengast war, zurückzog. Sie ging immer sofort nach dem Tee hinaus, den Arm um das Mädchen geschlungen. Marlow sagte, unter all den vielen sei nur ein einziges Mädel gewesen, mit dem er jemals ein Wort gewechselt habe. Das sei ganz unerwartet gekommen, als er schon längst alle Hoffnung aufgegeben hatte, mit einem dieser verschlossenen Geschöpfe Fühlung zu gewinnen.

      Eines Tages sah er eine Frau am oberen Rande eines tiefen Steinbruchs auf und ab gehen, gut dreißig Meter über der Straße, die den Hügel hinaufführte. Er rief sie warnend von unten her an, wo er zufällig vorbeiging. Sie war wirklich in ziemlicher Gefahr. Beim Klang seiner Stimme fuhr sie zurück und entschwand ihm zwischen einigen jungen Fichten, die am Rande des Abgrunds wuchsen, aus den Augen.

      »Ich ließ mich auf einem Grashang nieder«, fuhr Marlow fort. »Sie hatte mir einen richtigen Schrecken eingejagt. Ihr Rocksaum hatte über die Steilwand hinausgeweht, so hart am Rande war sie gestanden. Ganz töricht -- ein unbegreiflicher Leichtsinn -- ohne ersichtlichen Grund! Ich dachte über die Vermessenheit so vieler Mädchen nach und rief mir andere Erfahrungen dieser Art ins Gedächtnis. Da tauchte sie an einer Biegung des steilen Weges wieder auf. Sie trug Frau Fynes Spazierstock und wurde von dem Hunde der Fynes begleitet. Ihr leichenblasses Gesicht bestürzte mich so sehr, daß ich meinen Hut zu ziehen vergaß. Ich saß einfach da und starrte sie an. Der Hund, ein lebhaftes und zutrauliches Tier, das aus irgendwelchen unbegreiflichen Gründen mich mit seiner Freundschaft beehrt hatte, raste den Hang mit Freudengebell herauf und kuschelte sich unter meinen Arm.

      Das Mädchen, sie war eben bei Fynes zu Besuch, ging zunächst vorbei, als hätte sie mich nicht gesehen, blieb dann aber stehen und rief den Hund wiederholt zu sich; doch der drückte sich nur fester an meine Seite, und als ich versuchte, ihn wegzuschieben, entwickelte er jene merkwürdige Kraft inneren Widerstandes, durch den sich ein Hund buchstäblich gegen alles wehren kann, außer gegen einen Fußstoß. Sie blickte über die Schulter zurück und runzelte die gewölbten Augenbrauen in ihrem blassen Gesicht. Es sah fast wie eine Drohung aus. Dann veränderte sich ihr Ausdruck. Sie schien unglücklich. ›Komm her!‹ rief sie nochmals, ärgerlich und bekümmert. Ich nahm endlich den Hut ab, der Hund aber ließ seine Zunge heraushängen, mit jenem unbekümmert törichten Ausdruck, den Hunde so glänzend anzunehmen wissen, wenn es ihnen paßt, und tat, als hörte er nichts.

      Sie rief aus der Entfernung verzweifelt herüber: ›Vielleicht nehmen Sie ihn dann mit nach Hause. Ich kann nicht warten!‹

      ›Ich übernehme keine Verantwortung für den Hund‹, widersprach ich, stand von meinem Sitz auf und ging auf sie zu. Sie sah sehr gekränkt aus, offenbar weil der Hund sie verlassen hatte. ›Aber wenn ich Sie begleiten darf, wird er uns sicher folgen‹, schlug ich vor.

      Sie ging weiter, ohne zu antworten. Der Hund sauste plötzlich mit äußerster Geschwindigkeit den Weg hinunter und verschwand in einer kleinen Staubwolke. Später fanden wir ihn neben dem Wege im Grase liegend. Er hechelte im Schatten der Hecke, mit glänzenden Augen, gab aber vor, uns nicht zu sehen. Wir hatten bis dahin noch kein Wort miteinander gewechselt. Das Mädchen zu meiner Seite warf ihm im Vorbeigehen einen bösen Blick zu. ›Er wollte mit‹, sagte sie bitter.

      ›Und ließ Sie dann im Stich‹, stimmte ich bei. ›Das sieht sehr unritterlich aus, aber es kommt nur von seinem Mangel an Feingefühl. Ich glaube, er wollte seine Mißbilligung für Ihr Wagnis ausdrücken. Warum mußten Sie so nahe an den Rand des Steinbruchs treten? Der Boden hätte nachgeben können! Haben Sie die zerschmetterte Fichte unten im Abgrund nicht gesehen? Die ist erst neulich nach einer regnerischen Nacht abgestürzt.‹

      ›Ich sehe nicht ein, warum ich nicht so waghalsig sein sollte, wie ich will!‹

      Ich war etwas verletzt von der trotzigen Art, in der sie ihre Torheit auch noch zu verteidigen suchte, und sagte ihr, daß es mich schließlich auch nichts anginge -- und zwar in einem solchen Tone, als meinte ich, sie könne sich von mir aus gerne den Hals brechen. Dies war entschieden mehr, als ich meinte, aber ich habe eine Abneigung gegen vorlaute Mädchen. Ich war ihr erst am Tage vorher vorgestellt worden, an dem runden Teetisch, und sie hatte die Vorstellung einfach nur zur Kenntnis genommen. Ich hatte ihren Namen nicht verstanden, wohl aber waren mir ihre feinen, gewölbten Augenbrauen aufgefallen, die, wie die Physiognomiker sagen, ein Zeichen von Mut sein sollen.

      Ich beobachtete unauffällig ihre Erscheinung. Ihr Haar war fast schwarz, ihre Augen blau, von langen dunklen Wimpern beschattet. Ihre Wangen hatten sich jetzt leicht gerötet. Sie sah gerade vor sich hin, der Mundwinkel nach meiner

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