Konfrontation mit einer Selbstvernichtung. Stefan G Rohr

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Konfrontation mit einer Selbstvernichtung - Stefan G Rohr

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dem Willen unseres geliebten Menschen zu sterben. Und ich greife dazu auch die Frage auf, warum wir höchstwahrscheinlich keinen Hilfeschrei wahrgenommen haben.

      Dass Unfassbare. Wie anders können wir es ausdrücken? Es ist der Zeitpunkt unseres Eintritts in die Hölle, die Sekunde auf unserer Lebensuhr, die fortan nichts mehr so sein lassen ließ, wie es zuvor noch war. Unsere Welt zerbarst in Myriaden von Teilchen, verschwand in einer Apokalypse. Und das Leid, die Schmerzen und Qualen, die wir nun zu durchleben haben, sind mit keiner Sprache zu beschreiben. Unfassbar, dennoch wissen wir: es ist geschehen.

      Unser geliebter Mensch hat seinem Leben selbst ein Ende gesetzt. Er hat sich vernichtet. Und wir begreifen es nur sehr langsam, dass auch unser Leben damit nahe einer Vernichtung steht. Denn ein Großteil von uns hat dieser Mensch mit in seine Auslöschung genommen. Liebe, Miteinander, Zusammengehörigkeit, Wünsche, Pläne, Zukunft, Freude und Leichtigkeit. Alles im Tausch gegen tiefe Verzweiflung, quälende Fragen, unendliches Leid und eine gebrochene Seele – alles allein uns nun auferlegt. Wir stehen unvermittelt einem Schutthaufen gegenüber und realisieren mit voller Wucht: Unser Leben wird fortan ein anderes sein.

      Und an alledem ist nichts Gutes zu finden. Es erfüllt keinen höheren Zweck, nichts wird dadurch besser, nichts hat einen Sinn. Egal, was uns andere auch immer an klugen oder weisen Kalendersprüchen offerieren, hoffend, wir halten uns an diesen Strohalmen aus Worthülsen fest um nicht gänzlich abzusaufen, sie haben alle gar keine Vorstellung über das Leid, welches wir nun zu durchleben haben. Und nur wir selbst können lernen, mit dieser Katastrophe für den Rest unseres Lebens klar zu kommen, lernen zu begreifen, was da passiert ist. Und je schneller wir damit beginnen, desto wirkungsvoller wird unser Lernergebnis sein. Zögern wir, verschleppen wir, ja leugnen wir vielleicht sogar die Realität, wird es einen Schaden geben, der gewaltig sein kann.

      Helfer sind notwendig und nützlich – sofern sie es richtig anstellen und gewisse Regeln beachten. Vor allem aber dürfen sie nicht eine einzige Sekunde annehmen, sie könnten antizipieren, was in uns vorgeht, es sei denn, sie haben eine derartige Tragödie selbst durchleben müssen. So müssen unsere Helfer mit uns gemeinsam lernen – durch Zuhören, durch emotionale Intelligenz, durch allergrößte Vorsicht und schier übermenschliche Geduld. Sie müssen uns noch stärker lieben, als sie es bisher getan haben, sie müssen bereit sein, ihre kulturellen Klischees ad acta zu legen und ab sofort nur noch auf ihr Herz zu hören. Und wenn sie uns steuern, uns justieren müssen, dann mit Behutsamkeit und ohne Egozentrik.

       Wir müssen begreifen – nicht belehrt werden.

       Wir müssen akzeptieren – nicht gezwungen werden.

       Wir müssen verstehen – nicht missioniert werden.

      *

      Niemand wird jemals wieder diesen einen Augenblick vergessen können. Den Moment der Wahrnehmung, dass der geliebte Mensch Suizid begangen hat und nicht mehr lebt. Ob durch behutsame Mitteilung eines mitfühlenden Verwandten oder durch das eigene und damit zutiefst schockierende Auffinden des Leichnams. Wir wurden mit etwas konfrontiert, was einer Totalvernichtung gleichkommt. Das Schicksal zeigt einen Rest an Milde, wem es die Bilder der/des Toten erspart. Denn die Härte dieser erkennen wir erst Zug um Zug, mit jeder Nacht mehr, mit jedem Tag intensiver. Und sie lassen uns nicht mehr los, überdecken alle schönen Erinnerungen, geraten zur Unerträglichkeit und vergrößern unseren Schmerz mit jedem Erscheinen vor unserem inneren Auge, so dass wir fragen:

      „Hast Du das tatsächlich gewollt?!“

      „Hast Du mir diesen Anblick wirklich zugemutet?!“

      „War es Dir so egal, was Du damit anrichtest, oder hast Du einfach nicht mehr darüber nachdenken können?!“

      Der geliebte Mensch hat sich für seine Selbstvernichtung entschieden. Uns hat er mit dieser Entscheidung aus unseren Lebensbahnen entgleisen lassen. Wir können es nicht begreifen, nicht nachvollziehen. Wir ringen nach Luft, wollen es nicht wahr haben, hoffen auf einen Alptraum, auf das schnelle Erwachen, auf das Ende dieser schrecklichen Schmerzen. Denn es bleibt für uns noch lange Zeit etwas entsetzlich Unfassbares.

      Jeder einzelne Tod eines geliebten Menschen hat sein individuelles Leidenskaleidoskop. Und es darf auch nie der Versuch unternommen werden, die Schmerzen und die Trauer in einem Vergleich zu skalieren. Es gibt aus der persönlichen Betrachtung kein „weniger schlimm“ oder „am schlimmsten“ – für jeden Menschen bleibt der Verlust durch Tod eine nicht relativierbare Schmerzgröße. Und als Hinterbliebene/r stürzen wir in unsere ureigene Bodenlosigkeit, in unermessliche Tiefen, vielleicht sogar in eine schier endlos erscheinende Finsternis.

      Das erwartete, das angekündigte, das prognostizierte Ableben eine geliebten Menschen mag eine gewisse Gutmütigkeit der Fügung in sich bergen. Der Schicksalsschlag – nicht die einsetzende Trauer und das Leid – warf seinen Schatten bereits voraus. Ein Suizid – selbst bei zuvor erkannter Gefährdungslage (siehe schwere Depressionen; Teil 4) – erschüttert dann aber doch vor allem durch die Überrumpelung, einhergehend mit einer (zumeist) völligen oder weitgehenden Unkenntnis um Motive und/oder die Unfähigkeit eines Nachvollzuges der (psychisch intakten) Hinterbliebenen.

      Die Unerbittlichkeit, die Grausamkeit, die Brutalität eines Suizids sind für die hinterbliebenen „Opfer“ zudem deswegen so massiv, weil wir mit einer freiwillig, selbst entschiedenen und selbst herbeigeführten Eigenvernichtung konfrontiert werden, deren Sinnhaftigkeit und Motivlage (wenn denn überhaupt verlässlich erkennbar) sich uns weder erschließt noch auf eine annehmbare Begründung der Notwendigkeit stößt. Uns versagt sich eine Motivkopplung. Unsere Fassungslosigkeit ist so dermaßen groß, dass uns ad hoc alle Sinne schwinden, und wenn wir es besonders schlecht treffen, tragen wir selbst einen irreparablen Schaden davon.

      Doch neben dem unsagbaren Schmerz, unserem dauerhaften Brennen in unserer Seele, wollen wir – ja wir müssen es sogar – begreifen. Dabei geraten wir wohlmöglich auf viele Abwege und verirren uns in Analysen und der Suche nach etwas Greifbarem. Nur wenn wir begreifen können, können wir auch verarbeiten. Das sagt uns unser Instinkt – zumindest, wenn wir in uns hineinhören. Wir können das Unfassbare damit nicht ungeschehen machen. Wir können es nur zu einem Bild zusammenfügen, es von dem undurchsichtigen Schleier befreien, um uns selbst zu positionieren.

      Verzweiflung und die Gefahr einer Traumatisierung

       Verzweiflung befällt zwangsläufig die,

      

       deren Seele aus dem

      

       Gleichgewicht gekommen ist.

      

      

      

       Marc Aurel (121 – 180 n. Chr.),

       römischer Kaiser und Philosoph

      Wie eine giftige, dornige Schlingpflanze hat uns die Verzweiflung umfasst. Sie würgt uns, raubt uns die Luft, benebelt uns mit ihren toxischen Dämpfen, dringt durch unsere Haut und nimmt noch den letzten Rest unseres Inneren ein. Sie ist vollkommen, total, unerbittlich und drückt uns mit tonnenschwerer Last zu Boden. Nichts was wir zuvor jemals

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