LIfe is a story. Gudrun Anders
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Iris schaut sich derweil in den alten Schuppen und Lagerhallen um, ob sie etwas Brauchbares findet. Sie bringt eine dicke, blaue Plastikplane für die eine Seitenwand der Hütte mit. Das muss einmal der Boden eines Zeltes oder eine Bauplane gewesen sein, es befinden sich einige verstärkte Löcher rundherum, so dass wir die Plane gut an den Gitterstäben des Zwingers befestigen können. Das wird einiges von dem Wind abhalten und auch einiges an Schneeverwehungen.
Wir finden noch ein blaues Band zur Befestigung und machen uns sogleich an die Umsetzung. Die Plane reicht fast passend über die eine Wandseite. Zu zweit haben wir die Befestigung schnell geschafft und sind stolz über das erreichte. Ich hoffe, jetzt ist diese Seite einigermaßen zu. Der Wind fegte den Schnee offenbar direkt vom Hausdach in die Hundehütte hinein. Das sollte jetzt um einiges schwerer sein.
Die Hunde bleiben derweil immer dicht hinter mir. Sie suchen Schutz und wollen ein wenig Zuwendung. Ein kleines Leckerchen hier und da hilft und lässt die Angst der beiden nach und nach etwas kleiner werden.
Abwechslung aus dem tristen Alltag ist es auch, denn wenn das Herrchen da ist, sind die Hunde auch oft im Haus und nehmen am Leben meines Nachbarn teil.
Bald war der Schlafplatz der Hunde wieder einigermaßen trocken. Der Schnee war aus der Hütte weitestgehend entfernt, alle Decken benutzbar, die Wände so gut es ging abgedichtet, die Näpfe wieder frisch befüllt.
Als wir alles soweit hergerichtet haben, bedanke ich mich bei meiner Nachbarin für die Hilfe. Allein hätte ich das nicht so gut bewerkstelligen können.
„Kein Problem“, meinte sie lächelnd. „Ich musste dieses Jahr sowieso noch ein gutes Werk tun!“
Ich nehme mir die Hunde und gehe mit Ihnen hinter das Haus. Hier ist ein kleiner Weg, der geräumt worden war. Die beiden laufen sich etwas warm und schnüffeln schwanzwedelnd an der offenbar zahlreich vorhandenen Hundepost.
Als wir wieder zurück sind, bekommen die Hunde ihr Weihnachtsleckerli von mir. Ich hatte Reis, Möhren und Hähnchenfleisch aufgekocht und alles in zwei Portionen in alten Schüsseln verteilt. Das Festmahl war eine ihrer Lieblingsspeisen und wurde schnell aufgegessen. Ich hoffte, es brachte zusätzlich ein bisschen Wärme in die kleinen Hundekörper zurück.
Als ich in meiner Wohnung endlich wieder zurück bin, hat inzwischen meine Freundin auf Band gesprochen. Ich war eigentlich zu ihr eingeladen, aber das musste an diesem Heiligen Abend leider ausfallen, denn auch sie war eingeschneit. Auf Band schilderte sie mir kurz, dass die Straßen nicht geräumt waren. Aufgrund des ungewöhnlichen vielen Schnees war ein Durchkommen zu ihr in die tiefste Eifel unmöglich geworden.
Die Busse fuhren nicht mehr und die Autos, die sich raus getraut hatten, verursachten ein Chaos auf den Straßen.
Ich rief sie an, um mehr zu erfahren. „Alles liegt hier unter einer Schneeglocke“, erzählte sie. „Man könnte meinen, man sei selbst in einer Schneekugel, die wir als Kinder so liebten, gefangen.“ Alles sei still zur Heiligen Nacht, nur bis zur Kirche käme sie nicht, weil Straßen und Bürgersteige einfach mit zu viel Schnee bestückt waren. So fiel also Heiligabend im Kreis von Freunden in diesem Jahr aus.
Nachmittags gehe ich wieder zu den Hunden runter. Es hatte wieder geschneit und es herrschte ein leichter Wind. Ich wollte sehen, ob noch alles in Ordnung war.
Aber die Hundehütte war wieder voller Schnee. Diesmal kann ich sehen, wie der Schnee in die Hundehütte eindringen konnte. Er kommt durch eine kleine Ritze im Dach, wo ein Stück Wellpappe fehlt. Das Loch ist direkt über dem Schlafplatz der beiden Hunde.
Ich suche noch weitere Abdeckfolie und finde nach kurzer Zeit zwei kleine alte Planen, die groß genug sein müssten. Ich habe noch Absperrband von einer öffentlichen Veranstaltung, die ich zuvor organisiert habe und hole es.
Ich bringe eine dieser Planen, offensichtlich die transparente Folie eines alten Tomatenhäuschens, direkt am Eingang an, die andere Folie montiere ich mit Fahrradgummis direkt oberhalb des Schlafplatzes. So läuft vielleicht noch ein bisschen Schnee herein, kann aber die Couch nicht mehr erreichen. Es besteht die Chance, dass der Schlafplatz so trocken bleibt.
Die Hunde schauen mich mit angelegten Ohren etwas merkwürdig von der Seite an. Das seltsame Geräusch der sich im Wind blähenden Plane ist ihnen nicht ganz geheuer. Ich erzähle den beiden einfach, dass sie wählen können: Entweder das Geräusch ertragen, oder eine durch und durch nasse Schlafcouch. Ruhig schauen sie mir bei der weiteren Arbeit zu.
Als ich fertig bin, bekommen meine beiden Lieblinge eine kleine Knabberstange. Ich setze mich auf die Couch und breche das Leckerchen in kleine Stückchen. Ein Hund setzt sich rechts, der andere links neben mich. In kleinen Teilen bekommen sie abwechselnd die Leckerchen und können sich so an das ungewohnte Geräusch über ihnen gewöhnen. Dabei vergessen sie alles und schon bald ist das Geräusch weniger schlimm.
Ich gehe wieder nach oben in meine Wohnung, denn es fängt schon wieder an zu schneien. Dicke Schneeflocken fallen die nächsten Stunden auf die Erde nieder, machen die ganze Welt um mich herum weiß. Es ist still, kein Mensch und auch kein Auto auf den Straßen. Die Zweige der Bäume und Sträucher hängen aufgrund der Schneelasten tief. Ich kann aus meinem Fenster heraus nicht mehr erkennen, wo Straße ist und wo der Bürgersteig.
Ich höre meine Nachbarn unten Schnee schippen und gehe ebenfalls herunter. Erst jetzt kann ich das ganze Ausmaß erkennen. Wir sind auf dem Hof eingeschneit. Die lange Auffahrt, die die Straße mit unserem Haus verbindet, ist zu. Zu Fuß haben wir auch keine Chance, bis zur Straße, die teilweise geräumt zu sein scheint, zu kommen.
Nachbar Fridolin, der auch gelegentlich auf dem alten Hof arbeitet, kommt gerade mit dem Bagger vom Bauern gegenüber unsere Auffahrt langsam und schwerfällig hochgefahren. Mit der großen Schippe an der Vorderseite räumt er die Schneemassen von der Auffahrt nach und nach auf die angrenzende Kuhwiese.
Er schippt damit erst mal meine kleine Zuwegung wieder zu, aber was soll‘s, das ist schnell erledigt. So jedenfalls kann ich mit den Hunden die Einfahrt wieder runter gehen. Sonst wäre jeder noch so kleine Spaziergang nicht möglich gewesen. Die kleine, alte Sina hat es nicht mehr so mit dem Laufen. Die alte Hundedame hat Hüftprobleme und bewegt sich nur noch gemächlich.
Ich gehe mit den Hunden ein bisschen die frisch gekehrte Auffahrt runter und wieder rauf. Zurück in der Hundehütte bestaune ich mein Werk. Nicht schön, aber selten. Und: Es hat gehalten. Nur wenig Schnee hat den Weg noch in die Hundehütte gefunden. Ich habe die Hunde vor dem Einschneien bewahrt.
Ich seufze tief und denke mir, was für ein Hundeleben das doch ist, während die beiden ihre Streicheleinheiten von mir bekommen. Sie haben kein feudales Leben und trotzdem sind die beiden so treue Seelen, wie so mancher Mensch es nicht zustande bringen kann. Sie sind zufrieden mit dem, was sie bekommen. Dankbar für jede Art von Zuwendung. Dankbar für das Dasein, das eben so ist wie es gerade ist.
In diesem Moment holen mich die Kirchenglocken unserer kleinen Gemeindekirche in die Wirklichkeit zurück. Es werden nur Sekunden später immer mehr, andere Glocken in anderen Stadtteilen läuten ebenfalls. Glockenläuten, das auch an diesem Heiligabend die Menschen in das Haus Gottes ruft. In der Stille der heute schneeüberdeckten Welt scheinen sie viel lauter und eindringlicher zu sein als sonst.
Ich werde diesen Abend allein verbringen. Aber glücklich. Früher hatte ich Angst davor, am Heiligabend allein zu sein. Es war so üblich gewesen, im Kreise der Familie zusammen zu sein, etwas Leckeres zu essen und sich dann gegenseitig zu beschenken.
Diesen Zauber aus Kindertagen gab es schon lange nicht mehr, Weihnachten