Anna Q und das Erbe der Elfe. Norbert Wibben

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Anna Q und das Erbe der Elfe - Norbert Wibben Anna Q

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setzt sich im Bett auf und reibt den Schlaf aus den Augen. Was war das denn jetzt für ein Traum? Überziehen die Drachen auf Geheiß von Seid Greif das Andersland mit Schnee und Eis? Will er dadurch die Elfenkönigin zwingen, ihm den Übergang zwischen den Welten zu ermöglichen? Das Mädchen seufzt enttäuscht und streicht die schulterlangen, blonden Haare rechts und links hinter die Ohren. Es hat vergessen, den Test zu machen, ob die geträumte Sequenz hellgesehen ist. Sie war zu sehr von dem seltsamen Geschehen gefangen. Annas Gedanken wandern zu ihrem Vater. Ob sich das Wetter in Grönland auch geändert haben mag?

      Sie lächelt, als sie sich an seinen Besuch erinnert. Anna war vom Schulleiter Iain Raven ins Büro gerufen worden, wo Aedan unerwartet und breit grinsend vor ihr stand. Er hatte vorher keine Nachricht geschickt, da er sie überraschen wollte.

      »Hallo, meine Maus«, begrüßte er sie wie üblich. Die nächsten Sätze hat sie nicht mitbekommen. Sie war quasi in seine Arme geflogen und umklammerte ihn derart, als wolle sie ihn nie mehr freigeben. »Was ist los? Warum zitterst du so heftig?« Der Vater klang besorgt und Anna nahm sich zusammen. Sie bedankte sich bei Iain Raven und führte Aedan hinüber ins Mädchenhaus und in ihr Zimmer. Auf dem Weg dorthin überlegte sie, was sie ihm von ihren Erlebnissen in der Anderswelt mitteilen sollte. Schließlich entschied sie, besser nichts von den bestandenen Abenteuern zu erzählen. Sie weiß, Eltern machen zu leicht aus einer Fliege einen Elefanten und sie will nicht, dass er sich um sie sorgt. Sollte er ihr glauben, dass sie das Erzählte nicht nur geträumt hat, wird er von ihr das Versprechen fordern, der Anderswelt fernzubleiben. Davon ist sie überzeugt. Zumal dort große Gefahren auf ein kleines Mädchen lauern, von denen sie dann frisch berichtet haben würde. Was Anna nicht weiß, Aedan hätte ihren Bericht als Anlass genommen, sie über eine bisher unbekannte Seite ihrer Mutter Lapis zu informieren. So war er kurz davor, von ihrem fürsorglichen Wesen, aber auch von Heimweh und unerklärlichen Phänomenen in ihrem Umfeld zu erzählen. Doch das unterblieb und wurde mit einem schweren, lautlosen Seufzer auf später verschoben. Aedan war der Auffassung, Anna müsse erst erwachsen, zumindest aber ein paar Jahre älter werden.

      Weihnachten feierten alle im Speisesaal des Internats. Der Raum war mit viel Grün und rotem Krepp geschmückt worden. Es gab ein üppiges Büffet, das auch für den folgenden Tag reichte. Die wenigen Schüler und Lehrer gestalteten zusammen mit dem Küchenpersonal einen gemütlichen Abend. Sie sangen einige Lieder und lasen sich abwechselnd Märchen oder kleine Weihnachtsgeschichten vor.

      Zwischen Weihnachten und Sylvester wurde Anna zwölf Jahre alt. Mit ernstem Gesicht überreichte Aedan sein Geschenk.

      »Dies ist die Kette, die Lapis bei deiner Geburt trug. Wie du weißt, starb sie kurz darauf. Sie hat den Schmuck immer getragen, bis kurz vor ihrem Tod. – Sie reichte ihn mir als Erbe für dich und ich finde, du bist mit zwölf Jahren jetzt alt genug, um ihn zu würdigen.« Die Tränen in Vaters Augenwinkeln zeugten davon, wie sehr ihm Annas Mutter fehlt. Verstohlen versuchte er, sie fortzuwischen. Das Mädchen war sprachlos und streichelte kurz dessen Handrücken. In dem Moment war Aedan erneut kurz davor, über die Eigenarten seiner großen Liebe Lapis zu erzählen. Dieses Mal hinderte ihn ein erstaunter Ausspruch Annas daran.

      »Das Schmuckstück ist wunderschön! Ich habe es nie zuvor gesehen. Oma hat es mir nicht gezeigt, kannte sie es nicht?«

      »Doch«, antwortete er sofort, »von ihr hatte Lapis die Kette ursprünglich bekommen, als sie etwa so alt wie du jetzt war. Und deshalb sollte sie so lange wohlverwahrt und behütet werden, bis du diesen Geburtstag feierst. Großmutter könnte dir vermutlich viel über den Anhänger berichten. Zumindest, welche Bedeutung er hat. – So liegt es nun an mir, zu erzählen, was ich darüber weiß. Aber sei nicht enttäuscht, das möchte ich noch etwas verschieben.« Aedan musste sich mehrfach räuspern und offensichtlich einen großen Kloß hinunterschlucken, so sehr wühlte ihn die Erinnerung an Lapis auf.

      Im Bett sitzend hebt Anna eine Hand und betastet die Kette, die sie seit dem Geburtstag um ihren Hals trägt. Sie fühlt sich warm an und ist aus sehr stabilen, aber trotzdem feinen Kettengliedern gefertigt. Das Material ist Silber, aus dem auch der Anhänger besteht. Der stellt einen dreizackigen Stern dar. Mittig darin ist ein wasserheller, blauer Stein eingearbeitet, der einen makellosen Facettenschliff besitzt. »Das in der Mitte ist kein Diamant, sondern ein Aquamarin, die Variante eines Beryls. Wenn du in einen Spiegel schaust, wirst du sehen, dass er den hellblauen Pünktchen in deiner Iris gleicht. Die Augen von Lapis waren von einem leuchtenden Blau, passend zu ihrem Namen. Das ist die Kurzform …«

      »… von Lapislazuli. Das weiß ich doch!« Anna stupste ihn dabei mit einer Hand an. Aedan ließ sich durch den Einwand nicht irritieren.

      »Über den Anhänger erfuhr ich von deiner Großmutter Rätselhaftes. Eine derartige Form hatte ich bisher bei keinem Schmuckstück gesehen. Deshalb bat ich einen Juwelier um eine zusätzliche Bewertung. Der alte Mann deutete damals an, dass es ein verwunschenes Amulett sei, was ich als Versuch wertete, mir die Kette abzuschwatzen.«

      Anna erinnert sich, wie ihr beim Anblick dieses Sternchens, denn der Anhänger hat lediglich die Größe von wenigen Zentimetern, ein angenehmes Kribbeln über den Rücken rieselte. Als sie es berührte, tauchten Bilder vor ihren Augen auf, die seltsam bekannt anmuteten. Sie wechselten allerdings sehr schnell und schienen in keinem Zusammenhang zueinander zu stehen. Sie blitzten spotartig auf und wurden von dem nächsten verdrängt. Anna versteht noch immer nicht, was ein riesiges Nest auf einem schroffen Berggrat mit einer düster wirkenden Burg, einer Szene aus einem Kampfgetümmel und ein bläuliches Ei, in dessen Schale sich zackige Risse zeigen, miteinander zu tun haben könnten. Eins steht aber unumstößlich fest, dies Erinnerungsstück an ihre Mutter will Anna nie mehr ablegen.

      Das kalte Wetter ändert sich nicht. Trotz der Minusgrade fällt an manchen Tagen immer mal wieder Schnee. Die Fahrt in die Universitätsstadt wird dadurch aber nicht behindert. Wie der erste Vergleichswettkampf findet dieser auch an einem Wochenende statt, allerdings beginnend am Donnerstag. Das ist ein Feiertag und der Freitag ein Brückentag, an dem kein Unterricht stattfindet. Auf der Fahrt in die Stadt wundert sich Anna, dass sie seit mehreren Tagen keinen Kontakt zu Ainoa gehabt hat. Als sie genauer nachrechnet, es war, kurz bevor der Wintereinbruch erfolgte, stellt sie erstaunt fest, dass es mittlerweile etwa drei Wochen sind. Erschrocken versucht sie, sofort einen Kontakt zur Elfe herzustellen, was jedoch misslingt. Liegt es daran, dass das unablässige Gerede vieler Mitglieder des Schachteams sie ablenkt? Besonders das affektierte Gehabe von Roya Robson dringt immer wieder in die Versuche. Seit ihrer lautstarken Herausforderung Robins vor acht Tagen versucht sie häufiger, dessen Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das Match hatte sie schnell verloren, aber sofort eine Revanche verlangt und erhalten. Auch das Spiel endete vernichtend für sie, was sich aber keinesfalls nachteilig auf ihre Schwärmerei für den Jungen auswirkte.

      Morwenna hat in den vergangenen Tagen die aktuelle Spielstärke aller Schüler bewertet und die Spieler festgelegt, die in der jeweiligen Jahrgangsstufe im Wettkampf antreten sollen. Das Team besteht inzwischen aus mehr Mitgliedern, als für den Vergleich notwendig sind. Dessen ungeachtet begleiten alle die ausgewählten Vertreter der Schule, damit nicht nur fremde Zuschauer bei den Spielen anwesend sind. Morwenna weiß, wie wichtig mentale Unterstützung sein kann.

      Ein Grinsen stiehlt sich auf Annas Gesicht, als sie erneut Royas schrille Stimme vernimmt. Sie ist sicher, das Mädchen wird sich nicht scheuen, Robin lautstark zu unterstützen. Vielleicht feuert sie aber nicht nur ihn, sondern auch andere des Teams an, obwohl das bei einem Schachturnier völlig unpassend ist. Zuschauer sollen die Spieler nicht von ihrer Strategie ablenken. Bei zu großer Unruhe können die jeweiligen Personen des Raumes verwiesen

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