Anna Q und das Erbe der Elfe. Norbert Wibben
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»Es steht außer Frage, wer in dem Match gewinnen wird. Auch wenn ICH natürlich kein Maßstab bin, habe ich doch die unvergleichliche Vari… Variosi… den Einfallsreichtum Robins kennengelernt. Daher kann ich voller Bewunderung feststellen, dass er seinen Gegner in kürzester Zeit vom Spielfeld fegen wird.«
»So so. Nach nur zwei Spielen kannst du das. Was bist du doch für ein Schachgenie«, denkt Anna. Bevor Roya noch mehr derartigen Unsinn von sich geben kann, erklingt von vielen Stellen lautstark Protest.
»Kannst du endlich mal still sein?«
»Wir versuchen, uns zu konzentrieren!«
»Im Gegensatz zu dir treten wir morgen gegen wahre Champions an.«
Anna, die Robin gegenübersitzt, bemerkt, wie ihm eine dunkle Röte den Hals hinaufkriecht. Ihm ist Royas Benehmen offenbar peinlich. Gleichzeitig wird er kleiner, da er seinen Kopf verlegen zwischen die Schultern hinabzieht und nach draußen schaut. Neben ihnen haben Alexander und Caitlin Platz genommen, weshalb Roya sich schmollend einen weiter entfernt suchen musste. Wegen der letzten Kommentare schweigt sie einige Zeit. Je nach Veranlagung gehen die Teammitglieder im Geist frühere Spiele durch, nutzen Reiseschachspiele, lesen oder schauen einfach nach draußen.
Eine weiße, überzuckerte Landschaft zieht schnell vorbei. An vielen Stellen sind die Bahngleise mit Schneefräsen freigelegt worden, so dass der Zug scheinbar durch Eisröhren fährt. Wenn der Blick in die Ferne möglich ist, meist in Bereichen von Brücken über Flüssen, sind Rauchfahnen zu erkennen, die schmal und senkrecht aus den Schornsteinen bewohnter Häuser nach oben in den grauen Himmel steigen. Anna überlegt mit zusammengekniffenen Augenbrauen, ob heute noch mehr Schnee zu erwarten ist. Als ob Robin ihre Gedanken gehört hätte, antwortet er.
»Wenn wir dem Wetterbericht glauben wollen, wird es heute keinen weiteren Niederschlag geben. Obwohl ich das bezweifele, so zugezogen wie der Himmel ist, haben die Wetterfrösche in den letzten Wochen erstaunlich oft recht behalten.«
Anna erinnert sich gut daran, wie alle vor über drei Wochen ungläubig der Wetterprognose lauschten. Sie dachte dabei an die Ergebnisse ihres Vaters und schüttelte vehement den Kopf.
»Die Forschungsergebnisse sagen etwas anderes. Wenn es hier doch Schnee geben sollte, wird er nur kurze Zeit liegenbleiben. Die Erderwärmung lässt zwar das Wetter verrücktspielen, aber einen Temperatursturz wird es sicher nicht geben!«, war ihre Erwiderung an Robin gewesen. Doch bereits am kommenden Tag wurde sie von den Tatsachen völlig überrascht.
»Sollen wir eine Partie Schach spielen?« Robin nimmt sein Reiseschach aus dem Rucksack und blickt sie fragend an.
»Gern!«
Sofort öffnet er den kleinen Kasten. Gemeinsam stecken sie die Figuren mit ihren Stiften in die Löcher, als es unerwartet völlig dunkel wird. Das Bild eines Drachen blitzt in Annas Kopf auf. Der Lindwurm hat sich auf einem Eisberg zusammengerollt. Bevor das Mädchen erkennt, ob es ein Eis- oder Feuerdrache ist, ändert sich die Szene. Eine gewaltige Burgmauer ragt kurzzeitig vor ihr auf, dann ist das Licht im Wagon stärker und überstrahlt das Bild. Anna runzelt verwundert die Stirn, während ihre rechte Hand automatisch zum Anhänger an der Kette fährt. Die trägt sie seit ihrem Geburtstag um den Hals. Erneut verblasst die Umgebung, um dafür ein großes Ei zu zeigen, das bläulich gemustert ist. Ein Riss zeigt sich in der Schale und etwas Silbergraues drängt nach draußen. Bevor sie erkennen kann, welches Wesen sich aus der Enge befreien will, wird sie von Robins besorgten Worten in die Gegenwart gerufen.
»… ist los mit dir? Du siehst blass aus und wirkst abwesend.«
»Mir … es ist nichts«, winkt Anna ab. Das Mädchen mit der jungenhaften Figur und einigen Sommersprossen auf und um die gerade, schmale Nase herum, lächelt. Der Junge beugt sich zu ihr vor, um ihr von anderen ungehört ins Ohr zu flüstern.
»Hat Ainoa soeben versucht, dir etwas mitzuteilen?« Da Robin von Annas Abenteuern in der Anderswelt weiß, kennt er auch ihre enge Verbindung zu dieser Elfe, die in der diesseitigen Welt stets als Kolkrabe auftritt. Das Mädchen schüttelt den Kopf.
»Ich habe schon vor einiger Zeit vergeblich versucht, sie zu kontaktieren. Doch das war nicht jetzt. Ich befürchtete, einen Migräneanfall zu bekommen, doch das trifft zum Glück nicht zu.« Den letzten Satz spricht sie lauter, damit Alexander und Caitlin eine Erklärung für ihr seltsames Verhalten bekommen.
»Könntest du in dem Fall morgen spielen?« Die besorgte Frage des anderen Mädchen zeigt, wie wichtig Annas Teilnahme an dem Wettkampf eingeschätzt wird. »Du weißt, wir zählen auf den Punkt, den du hoffentlich erkämpfst!«
»Wenn mir das misslingt, wirst du ihn für uns holen«, versucht Anna zu flachsen. »Nein, im Ernst. Ich habe seit dem Sommer erstaunlicherweise keinen Migräneanfall mehr gehabt. Ich werde morgen spielen.« Sie lächelt die fürsorgliche Vertrauensschülerin, dann Alexander und danach Robin an. »Und jetzt lass mich wählen, zeig deine Hände. Ich nehme die linke.« Der Junge öffnet sie und präsentiert einen weißen Bauern.
»Du eröffnest«, ist sein Kommentar, während er Anna einen kritischen Blick zuwirft. Sollte sie doch den Anfang einer Kopfschmerzattacke spüren? Dann sind Ruhe und Dunkelheit das Wichtigste.
»Mir geht es wirklich gut!«, entgegnet das Mädchen und macht seinen ersten Zug. Erneut blitzt ein Bild vor ihm auf.
In einem Nest auf einem schroffen Berggrat erkennt es erneut das Ei, dann ist es verschwunden. Anna schüttelt den Kopf und versucht, sich ganz auf das Match zu konzentrieren. Die Umgebung verschwindet scheinbar und nur das Spiel zählt. Die gegnerischen Figuren wachsen und sie verliert ihre Größe. Das ist ein Trick, den ihr Ainoa beigebracht hat. Dadurch kann sie alles um sich herum ausblenden und effektiver das Spiel bestimmen. Sofort steht sie auf dem Spielfeld, diesmal als Springer, der einen gegnerischen Bauern vom Feld schlägt.
In der Universitätsstadt werden sie wie im Herbst von Innocent am Bahnhof abgeholt. Die Fahrt durch die Stadt dauert dieses Mal doppelt so lange, obwohl weniger Verkehr herrscht. Die Ursache ist, dass die Straßen zwar geräumt, dafür an vielen Stellen aber nur einspurig befahrbar sind. Die Schneeberge an den Straßenrändern versperren nicht nur die freie Sicht auf die imposanten Gebäude, sie behindern in Kreuzungsbereichen auch den fließenden Verkehr. Beim Internat angekommen, verlassen sie den Bus und hasten auf das Bauwerk zu. Das imposante Gebäude ist aus rotem Backstein errichtet und besitzt eine beeindruckende Anzahl kleiner und großer Giebel, doch dafür haben die Schüler heute keinen Blick übrig. Sie wollen den schneidend kalten Wind hinter sich lassen und schnell ins Warme. Innen folgen sie der vorangehenden Innocent Green durch verwinkelte Gänge und über eine Treppe in einen Raum, den sie vom letzten Wettkampf her kennen. Er wird als kleiner Speisesaal genutzt. Dort ist für sie ein Abendessen als Büffet vorbereitet worden. Alle bis auf die beiden Teamleiterinnen setzen sich. Innocent Green begrüßt das Schachteam und heißt die Schüler, aber insbesondere ihre liebe Freundin und ehemalige Studienkollegin, willkommen. Anders als beim ersten Mal wirkt es heute ehrlich gemeint. Sofort bedankt sich Morwenna für die Einladung.
»Ich wünsche uns allen ein spannendes Wochenende und faire Kämpfe.« Dann fügt sie mit einem Grinsen hinzu, das über das ganze Gesicht zieht: »Vermutlich hast du diesmal deine Spieler intensiver vorbereitet. Hoffentlich schaffen wir trotzdem den einen oder anderen Sieg. Falls es nicht dazu reicht, haben wir wenigstens einen schönen Winterausflug gemacht.« Im ersten Moment schaut Innocent irritiert zu Morwenna, dann ist zu sehen, wie ihr die Erinnerung an fast die gleichen Worte kommt, die sie im Herbst herablassend an das gegnerische