Kafka 2.0. Karl-Heinz Thielmann
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Karl-Heinz Thielmann
Kafka 2.0
– Die absurde Wirklichkeit der Finanzmärkte –
Fertiggestellt im November 2013 in Karlsruhe
Covergestaltung: Karl-Heinz Thielmann
© Karl-Heinz Thielmann / LONG-TERM INVESTING Research AG - Institut für die langfristige Kapitalanlage
ISBN 978-3-8442-7571-1
Vorwort: Wenn Franz Kafka das noch erlebt hätte …
Teil 1: Die mit der Herde laufen
Die begründete Angst der Deutschen vor Aktien und ihre absurden Folgen
Wollen Anleger belogen werden?
Teil 2: Die kuriose Logik der Finanzindustrie
Billigheimer und Verpackungskünstler
Der große Hedgefonds-Schwindel
Teil 3: Von Geldvernichtung und Wertschaffung
Die Nicht-Diskussion zur Spekulation mit Agrarrohstoffen
Endet der Superzyklus im Supercrash?
Kurzporträt des Autors
Vorwort: Wenn Franz Kafka das noch erlebt hätte …
„Genau wie in der Malerei muss man auch an der Börse Verständnis für Surrealismus haben. Manchmal stehen die Beine oben und der Kopf unten.“ André Kostolany
Dass die Finanzmärkte nicht nur dem Außenstehenden als verrückt erscheinen, ist kein neues Phänomen. Ein bizarrer Zyklus aus Gier und Angst scheint die Kurse zu treiben, und dies ist seit Anbeginn der modernen Geldgeschäfte so.
Bereits das erste richtige Börsenbuch von 1688 war mit „Die Verwirrung der Verwirrungen“ (Confusión de confusiones) betitelt. In ihm verarbeitete der Spanier Joseph de la Vega seine Erfahrungen an der Amsterdamer Börse, die man mit Fug und Recht als ersten bedeutsamen Kapitalmarkt im heutigen Sinne verstehen kann. Dieses Werk beschreibt auf eine bemerkenswert aktuell gebliebene Art und Weise die Psychofallen, denen selbst heutige Investoren immer noch unterliegen. Es ist erstaunlich, wie wenig sich das Grundmuster des Wechselspiels von übertriebenem Gewinnstreben und Panikverkäufen seit Hunderten von Jahren verändert hat.
1841 veröffentlichte der schottische Journalist Charles Mackay sein Buch “Extraordinary Popular Delusions and the Madness of Crowds”. In ihm stellte er die erste systematische Analyse von Spekulationsblasen vor, schilderte den ihnen zugrunde liegenden Herdentrieb sowie die menschliche Fähigkeit zur Selbsttäuschung als Antriebskraft der Finanzmärkte. Vieles von dem, was die moderne Verhaltensökonomie inzwischen wissenschaftlich festgestellt hat, ist schon bei ihm beschrieben.
Doch genauso wenig wie früher aus Mackays Buch scheint die Masse der heutigen Anleger aus den Erkenntnissen der heutigen „Behavioural Finance“-Forscher wie Daniel Kahneman oder James Montier zu lernen. Im Gegenteil, wenn man sich speziell die Entwicklungen während oder nach der Finanzkrise 2008 ansieht, scheint alles noch verrückter geworden zu sein. Noch wildere Kursausschläge, noch gierigere Investment-Banker, noch größere Verluste für die Kunden, noch spektakulärere Zusammenbrüche von Finanzinstituten.
Kurzfristiger Aktionismus prägt nach wie vor viele Investoren, andere agieren wie von blinder Gier getrieben, einige erscheinen in Apathie erstarrt. Immer mehr Finanzprodukte stellen sich als Schwindel heraus, weil sie voll mit versteckten Kosten und Risiken sind. Neu ist, dass sich viele im Finanzwesen Tätige durchaus bewusst sind, das dies so nicht richtig sein kann. Sie machen aber unbeirrt weiter, wobei Kundenwünsche, Zielvorgaben von Vorgesetzten, regulatorische Anforderungen und vieles anderes mehr als Rechtfertigungen dienen.
Damit erinnern die realen Zustände an den Kapitalmärkten und die Verhaltensweisen der agierenden Personen stark den absurden Welten, die der Schriftsteller Franz Kafka vor 100 Jahren konstruiert hatte. In für die moderne Literatur bahnbrechenden Werken wie „Das Urteil“, „Das Schloss“ oder „Der Prozess“ schilderte er Menschen, die gefangen waren in den Zwängen komplexer Systeme, die so typisch für die Neuzeit sind. Sie waren mit Personen und Mechanismen konfrontiert, die einer ihren eigenen Logiken folgten. Diese können isoliert betrachtet durchaus rational sein, in ihrem Zusammenwirken erscheinen sie aber mit dem unvereinbar, was gemeinhin als „gesunden Menschenverstand“ bezeichnet wird.
Wenn sich individuelle und kollektive Logik widersprechen, ist das Resultat Absurdität.
Dass sich Investoren heutzutage wie Bestandteile einer planlos herumstürmenden Herde benehmen, ist nicht mehr wie früher nur auf psychologisch bedingte Fehleinschätzungen, sondern auch durch die Mechanismen des Finanzgeschäfts bedingt. Absicherungsgeschäfte, die Kursstürze provozieren und damit horrende Verluste generieren; Bonusregeln, die kurzfristige Abzocke begünstigen; Investmentprozesse, die Fondsmanager zu trendverstärkenden Transaktionen zwingen; all dies sind Beispiele für institutionell bedingte Regeln, die einer individuellen Logik folgen, aber in ihrem Zusammenwirken absurdes Chaos auslösen.
Viele der in der Finanzbranche Beschäftigten sind sich der Widersinnigkeit ihres Handelns durchaus bewusst, machen dennoch weiter mit, weil sie die Konsequenzen verdrängen oder sich zu sehr an die finanziellen Annehmlichkeiten dieses Lebens gewöhnt haben. Wenn Menschen aber wissentlich und regelmäßig etwas machen, was sie eigentlich für falsch halten, ist die absurde Welt von Kafkas Romanen nicht nur erreicht, sondern noch übertroffen. Insofern