Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriss dargestellt. Rudolf Steiner
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Die Erzählungen des Alten Testamentes werden ihm zu Sinnbildern für Seelenvorgänge, denen er gedanklich nahezukommen sucht. Plotin sieht in dem Gedankenerleben der Seele nicht etwas, was die Seele in ihrem vollen Leben umfasst. Hinter dem Gedankenleben muss ein anderes Seelenleben liegen. Über dieses Seelenleben breitet die Erfassung der Gedanken eher eine Decke, als dass sie dasselbe enthüllte. Die Seele muss das Gedankenwesen überwinden, es in sich austilgen, und kann nach dieser Austilgung in ein Erleben kommen, welches sie mit dem Urwesen der Welt verbindet. Der Gedanke bringt die Seele zu sich; sie muss nun in sich etwas erfassen, was sie aus dem Gebiete wieder herausführt, in das sie der Gedanke gebracht hat. Eine Erleuchtung, die in der Seele auftritt, nachdem diese das Gebiet verlassen hat, auf das sie der Gedanke gebracht hat, strebt Plotin an. So glaubt er sich zu einem Weltenwesen zu erheben, das nicht in das Gedankenleben eingeht; daher ist ihm die Weltvernunft, zu der sich Plato und Aristoteles erheben, nicht das letzte, zu dem die Seele kommt, sondern ein Geschöpf des Höheren, das jenseits alles Denkens liegt. Von diesem Übergedanklichen, das mit nichts verglichen werden kann, worüber Gedanken möglich sind, strömt alles Weltgeschehen aus. Der Gedanke, wie er sich dem griechischen Geistesleben offenbaren konnte, hat gewissermaßen bis zu Plotin hin seinen Umkreis gemacht und damit die Verhältnisse erschöpft, in welche sich der Mensch zu ihm bringen kann.
Und Plotin sucht nach anderen Quellen als denjenigen, welche in der Gedankenoffenbarung liegen. Er schreitet aus dem sich fortentwickelnden Gedankenleben heraus und in das Gebiet der Mystik hinein.
Ausführungen über die Entwicklung der eigentlichen Mystik sind hier nicht beabsichtigt, sondern nur solche, welche die Gedankenentwicklung darstellen, und dasjenige, was aus dieser selbst hervorgeht. Doch finden an verschiedenen Stellen der Geistesentwicklung der Menschheit Verbindungen der gedanklichen Weltanschauung mit der Mystik statt. Eine solche Verbindung ist bei Plotin vorhanden. In seinem Seelenleben ist nicht das bloße Denken maßgebend. Er hat eine seelische Erfahrung, welche inneres Erleben darstellt, ohne dass Gedanken in der Seele anwesend sind, mystisches Erleben. In diesem Erleben fühlt er seine Seele vereinigt mit dem Weltengrund. Wie er aber dann den Zusammenhang der Welt mit diesem Weltengrund darstellt, das ist in Gedanken auszudrücken. Aus dem Übergedanklichen strömten die Weltenwesen aus. Das Übergedankliche ist das Vollkommenste. Was daraus hervorgeht, ist weniger vollkommen. So geht es bis herab zu der sichtbaren Welt, dem Unvollkommensten. Innerhalb desselben findet sich der Mensch. Er soll durch die Vervollkommnung seiner Seele dasjenige abstreifen, was ihm die Welt geben kann, in der er sich zunächst befindet, und so einen Weg finden, der aus ihm ein Wesen macht, das dem vollkommenen Ursprung angemessen ist.
Plotin stellt sich dar als eine Persönlichkeit, welche sich in die Unmöglichkeit versetzt fühlt, das griechische Gedankenleben fortzusetzen. Er kann auf nichts kommen, was wie ein weiterer Spross des Weltanschauungslebens aus dem Gedanken selbst folgt.
Richtet man den Blick auf den Sinn der Weltanschauungsentwicklung, so ist man berechtigt zu sagen: Das Bildvorstellen ist zum Gedankenvorstellen geworden; in ähnlicher Art muss das Gedankenvorstellen sich weiter in etwas anderes verwandeln. Aber dazu ist zu Plotins Zeit die Weltanschauungsentwicklung noch nicht reif.
Deshalb verlässt Plotin den Gedanken und sucht außerhalb des Gedankenerlebens. Doch gestalten sich die griechischen Gedanken, befruchtet durch seine mystischen Erlebnisse, zu den Entwicklungsideen aus, welche das Weltgeschehen vorstellen als Hervorgehen einer Stufenfolge von in absteigender Ordnung unvollkommenen Wesen aus einem höchsten vollkommenen. In Plotins Denken wirken die griechischen Gedanken fort; doch sie wachsen nicht wie ein Organismus weiter, sondern werden von dem mystischen Erleben aufgenommen und gestalten sich nicht zu dem um, was sie selbst aus sich. In einer ähnlichen Art, wie durch Plotin und seine Nachfolger das griechische Denken in seiner mehr platonischen Färbung unter dem Einfluss eines außergedanklichen Elementes fortgesetzt wird, geschieht es mit diesem Denken in seiner pythagoreischen Nuance durch Nigidius Figulus, Apollonius von Tyana, Moderatus von Gades und anderen.
Das Gedankenleben vom Beginn der christlichen Zeitrechnung bis zu Johannes Scotus oder Erigena
In dem Zeitalter, das auf die Blüte der griechischen Weltanschauungen folgt, tauchen diese in das religiöse Leben dieses Zeitalters unter. Die Weltanschauungsströmung verschwindet gewissermaßen in den religiösen Bewegungen und taucht erst in einem späteren Zeitpunkte wieder auf.
Damit soll nicht behauptet werden, dass diese religiösen Bewegungen nicht im Zusammenhang mit dem Fortgang des Weltanschauungslebens stehen. Es ist dies vielmehr in dem allerumfassendsten Sinne der Fall. Doch wird hier nicht beabsichtigt, etwas über die Entwicklung des religiösen Lebens zu sagen. Es soll nur der Fortgang der Weltanschauungen charakterisiert werden, insofern dieser aus dem Gedankenerleben als solchem sich ergibt.
Nach der Erschöpfung des griechischen Gedankenlebens tritt im Geistesleben der Menschheit ein Zeitalter ein, in welchem die religiösen Impulse die treibenden Kräfte auch der gedanklichen Weltanschauung werden. Was bei Plotin sein eigenes mystisches Erleben war, das Inspirierende für seine Ideen, das werden in ausgebreiteterem Leben für die geistige Menschheitsentwicklung die religiösen Impulse in einem Zeitalter, das mit der Erschöpfung der griechischen Weltanschauung beginnt und etwa bis zu Scotus Erigena (gest. 877 n. Chr.) dauert. Es hat die Gedankenentwicklung in diesem Zeitalter nicht etwa völlig auf; es entfalten sich sogar großartige, umfassende Gedankengebäude. Doch ziehen die Gedankenkräfte derselben ihre Quellen nicht aus sich selbst, sondern aus den religiösen Impulsen. Es strömt in diesem Zeitalter die religiöse Vorstellungsart durch die sich entwickelnden Menschenseelen, und aus den Anregungen dieser Vorstellungsart fließen die Weltbilder. Die Gedanken, die dabei zutage treten, sind die fortwirkenden griechischen Gedanken. Man nimmt diese auf, gestaltet sie um; aber man bringt sie zu keinem Wachstum aus sich selbst heraus. Aus dem Hintergrunde des religiösen Lebens heraus treten die Weltanschauungen. Was in ihnen lebt, ist nicht der sich entfaltende Gedanke; es sind die religiösen Impulse, welche danach drängen, in den errungenen Gedanken sich einen Ausdruck zu verschaffen.
Man kann an einzelnen bedeutsamen Erscheinungen diese Entwicklung betrachten. Man sieht dann auf europäischem Boden platonische und ältere Vorstellungsarten damit ringen, zu begreifen, was die Religionen verkünden, oder auch es bekämpfen. Bedeutende Denker suchen, was die Religion offenbart, auch gerechtfertigt vor den alten Weltanschauungen darzustellen. So kommt zustande, was die Geschichte als Gnosis bezeichnet, in einer mehr christlichen oder mehr heidnischen Färbung.
Persönlichkeiten, welche für die Gnosis in Betracht kommen, sind Valentinus, Basilides, Marcion. Ihre Gedankenschöpfung ist eine umfassende Weltentwicklungsvorstellung. Das Erkennen, die Gnosis, mündet, wenn es sich aus dem Gedanklichen ins Übergedankliche erhebt, in die Vorstellung einer höchsten weltschöpferischen Wesenheit. Weit erhaben über alles, was als Welt von dem Menschen wahrgenommen wird, ist diese Wesenheit. Und weit erhaben sind auch noch die Wesenheiten, welche sie aus sich hervorgehen lässt, die Äonen. Doch bilden diese eine absteigende Entwicklungsreihe, so dass ein Äon als ein unvollkommenerer immer aus einem vollkommeneren hervorgeht. Als ein solcher Äon auf einer späteren Entwicklungsstufe ist der Schöpfer der dem Menschen wahrnehmbaren Welt anzusehen, der auch der Mensch selbst zugehört. Mit dieser Welt kann sich nun ein Äon des höchsten Vollkommenheitsgrades verbinden. Ein Äon, der in einer rein geistigen, vollkommenen Welt verblieben und da sich im besten Sinne weiterentwickelt hat, während andere Äonen Unvollkommenes und zuletzt die sinnliche Welt mit dem Menschen hervorgebracht haben. So ist für die Gnosis die Verbindung zweier Welten denkbar, welche verschiedene Entwicklungswege durchgemacht haben, und von denen dann in einem Zeitpunkte die unvollkommene von der vollkommenen zu neuer Entwicklung nach dem Vollkommenen zu angeregt wird. Die dem Christentum zugeneigten Gnostiker