Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriss dargestellt. Rudolf Steiner
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriss dargestellt - Rudolf Steiner страница 17
Schon in dem Streite zwischen Nominalisten und Realisten im Mittelalter lebt dieses »Welträtsel«.
Einen Träger des Realismus kann man Anselm von Canterbury nennen. Für ihn sind die allgemeinen Gedanken, welche sich der Mensch macht, wenn er die Welt betrachtet, nicht bloße Bezeichnungen, die sich die Seele bildet, sondern sie wurzeln in einem realen Leben. Wenn man sich den allgemeinen Begriff des »Löwen« bildet, um alle Löwen damit zu bezeichnen, so haben im Sinne des Sinnenseins gewiss nur die einzelnen Löwen Wirklichkeit; aber der allgemeine Begriff »Löwe« ist doch nicht eine bloße zusammenfassende Bezeichnung, die nur für den Gebrauch der menschlichen Seele eine Bedeutung hat.
Er wurzelt in einer geistigen Welt, und die einzelnen Löwen der Sinneswelt sind mannigfaltige Verkörperungen der einen »Löwennatur«, die in der »Idee des Löwen« sich ausdrückt. Gegen solche »Realität der Ideen« wandten sich Nominalisten wie Roscellin (auch im elften Jahrhundert). Für ihn sind die »allgemeinen Ideen« nur zusammenfassende Bezeichnungen Namen, welche die Seele zu ihrem Gebrauche, zu ihrer Orientierung sich bildet, die aber keiner Wirklichkeit entsprechen. Wirklich seien nur die einzelnen Dinge. Der Streit ist charakteristisch für die Seelenstimmung seiner Träger. Sie fühlen beide die Notwendigkeit, darüber nachzuforschen, welche Geltung, welche Bedeutung die Gedanken haben, die sich die Seele bilden muss. Sie verhalten sich anders zu den Gedanken, als sich Plato und Aristoteles zu ihnen verhalten haben. Dies aus dem Grunde, weil sich etwas vollzogen hat zwischen dem Ausgang der griechischen Weltanschauungsentwicklung und dem Beginn der neuzeitlichen, das wie unter der Oberfläche des geschichtlichen Werdens liegt, aber an der Art wohl bemerkbar ist, wie sich die Persönlichkeiten zu ihrem Gedankenleben stellen. An den griechischen Denker trat der Gedanke heran wie eine Wahrnehmung. Er trat in der Seele auf, wie die rote Farbe auftritt, wenn der Mensch der Rose gegenübersteht. Und der Denker nahm ihn auf wie eine Wahrnehmung. Als solche hatte der Gedanke eine ganz unmittelbare Überzeugungskraft. Der griechische Denker hatte die Empfindung, wenn er sich der geistigen Welt mit der Seele empfänglich gegenüberstellt, es könne in diese Seele aus der geistigen Welt so wenig ein unrichtiger Gedanke hereindringen, wie aus der Sinnenwelt bei richtigem Gebrauch der Sinne die Wahrnehmung eines geflügelten Pferdes kommen könne. Für den Griechen handelt es sich darum, die Gedanken aus der Welt schöpfen zu können. Diese bezeugen selbst ihre Wahrheit. Gegen diese Tatsache spricht ebensowenig die Sophistik wie der Skeptizismus. Beide haben im Altertum noch eine ganz andere Schattierung, als sie in der Neuzeit haben. Sie sprechen nicht gegen die Tatsache, die besonders in den eigentlichen Denkercharakteren deutlich sich offenbart, dass der Grieche den Gedanken viel elementarer, inhaltvoller, lebendiger, wirklicher empfand, als der Mensch der neueren Zeit ihn empfinden kann. Diese Lebendigkeit, welche in Griechenland dem Gedanken den Charakter einer Wahrnehmung gab, ist im Mittelalter schon nicht mehr vorhanden. Was sich vollzogen hat, ist dieses: So wie in den griechischen Zeiten der Gedanke in die menschliche Seele hereinzog und das alte Bildvorstellen austilgte, so zog in den Zeiten des Mittelalters in die Seelen das Bewusstsein vom »Ich« ein; und dies hat die Lebendigkeit des Gedankens abgedämpft; es hat ihm seine Wahrnehmungskraft genommen. Man kann nur erkennen, wie das Weltanschauungsleben fortschreitet, wenn man durchschaut, wie der Gedanke, die Idee für Plato und Aristoteles in der Tat etwas ganz anderes waren als für die Persönlichkeiten des Mittelalters und der neuen Zeit. Der Denker des Altertums hatte das Gefühl, der Gedanke werde ihm gegeben; der Denker der späteren Zeit hat das Gefühl, er bilde den Gedanken; und so entsteht für ihn die Frage: Welche Bedeutung für die Wirklichkeit kann dasjenige haben, was in der Seele gebildet wird? Der Grieche empfand sich als Seele abgesondert von der Welt; im Gedanken suchte er sich mit der geistigen Welt zu verbinden; der spätere Denker fühlt sich mit seinem Gedankenleben allein. So entsteht das Nachforschen über die »allgemeinen Ideen«. Man fragt: Was habe ich in ihnen denn eigentlich gebildet? Wurzeln sie nur in mir, oder deuten sie auf eine Wirklichkeit? In den Zeiten, welche zwischen der alten Weltanschauungsströmung und der neueren liegen, versiegt das griechische Gedankenleben; unter der Oberfläche aber kommt an die Menschenseele als Tatsache das Ich-Bewusstsein heran; von der Mitte des Mittelalters an sieht sich der Mensch dieser vollzogenen Tatsache gegenüber, und durch ihre Kraft entwickelt sich die neue Art der Lebensrätsel.
Realismus und Nominalismus sind das Symptom dafür, dass der Mensch die vollzogene Tatsache empfindet. Wie beide über den Gedanken sprechen, das zeigt, dass dieser gegenüber seinem Dasein in der griechischen Seele so abgeblasst, abgedämpft war, wie in der Seele des griechischen Denkers es die alte Bildvorstellung war. Hiermit ist auf das treibende Element hingewiesen, das in den neueren Weltanschauungen lebt.
In diesen wirkt eine Kraft, welche über den Gedanken hinaus nach einem neuen Wirklichkeitsfaktor strebt.
Man kann dieses Streben der neueren Zeit nicht als dasselbe empfinden, was das Hinausstreben über den Gedanken in alter Zeit bei Pythagoras, später bei Plotin war. Diese streben wohl auch über den Gedanken hinaus, aber sie stellen sich vor, dass die Entwicklung der Seele, deren Vervollkommnung, sich die Region erringen müsse, welche über den Gedanken hinausliegt. Die neuere Zeit setzt voraus, dass der über den Gedanken hinausliegende Wirklichkeitsfaktor der Seele von außen gegeben werden müsse, dass er an sie herankommen müsse.
Die Weltanschauungsentwicklung wird in den Jahrhunderten, welche auf die Zeit des Nominalismus und Realismus folgen, zu einem Suchen nach dem neuen Wirklichkeitsfaktor. Ein Weg unter denen, die sich dem Beobachter dieses Suchens zeigen, ist derjenige, welchen die mittelalterlichen Mystiker eingeschlagen haben: Meister Eckhard (gest. 1327), Johannes Tauler (gest. 1361), Heinrich Suso (gest. 1366). Am anschaulichsten wird dieser Weg durch die Betrachtung der sogenannten »Theologia deutsch«, die von einem geschichtlich nicht bekannten Verfasser herrührt. Diese Mystiker wollen in das Ich-Bewusstsein etwas hineinempfangen, es mit etwas erfüllen. Sie streben deshalb ein inneres Leben an, das »ganz gelassen« ist, das sich in Ruhe hingibt, und das so erwartet, wie sich das Innere der Seele erfülle mit dem »göttlichen Ich«. In späterer Zeit taucht eine ähnliche Seelenstimmung mit mehr Schwungkraft des Geistes auf bei Angelus Silesius (1624-1677).
Einen anderen Weg schlägt Nicolaus Cusanus (Nikolaus Chrypffs, geboren zu Kues an der Mosel 1401, gestorben 1464) ein. Er strebt über das gedanklich erreichbare Wissen hinaus zu einem Seelenzustand, in dem dies Wissen aufhört und die Seele ihrem Gotte in der »wissenden Unwissenheit«, der docta ignorantia, begegnet. Äußerlich betrachtet hat das viel Ähnlichkeit mit dem Streben des Plotin.
Doch ist die Seelenverfassung bei den beiden Persönlichkeiten verschieden. Plotin ist überzeugt, dass in der Menschenseele mehr liege als die Gedankenwelt. Wenn die Seele die ihr außerhalb des Gedankens eignende Kraft entwickelt, so gelangt sie wahrnehmend dahin, wo sie immer ist, ohne im gewöhnlichen Leben davon zu wissen; Cusanus fühlt sich mit seinem »Ich« allein; dieses hat in sich keinen Zusammenhang mit seinem Gotte. Der ist außer dem »Ich«. Das »Ich« begegnet ihm, wenn es die »wissende Unwissenheit« erreicht.
Paracelsus (1493-1541) hat bereits die Empfindung gegenüber der Natur, welche sich in der neueren Weltanschauung immer mehr herausbildete,