Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriss dargestellt. Rudolf Steiner
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Jacob Böhme (1575-1624), der als einsamer, verfolgter Handwerker ein Weltbild wie aus innerer Erleuchtung heraus sich bildete, trägt doch in dieses Weltbild den Grundcharakter der neueren Zeit hinein.
Ja, er entwickelt sogar in der Einsamkeit seines Seelenlebens diesen Grundcharakter besonders eindrucksvoll, weil ihm die innere Zweiheit des Seelenlebens, der Gegensatz des Ich und der anderen Seelenerlebnisse, vor das geistige Auge tritt. Das »Ich« erlebt er, wie es sich in dem eigenen Seelenleben den inneren Gegensatz schafft, wie es sich in der eigenen Seele spiegelt. Dieses innere Erlebnis findet er dann in den Weltvorgängen wieder. Er sieht in diesem Erlebnis einen durch alles hindurchgehenden Zwiespalt. »In solcher Betrachtung findet man zwei Qualitäten, eine gute und eine böse, die in dieser Welt in allen Kräften, in Sternen und Elementen, sowohl in allen Kreaturen ineinander sind.« Auch das Böse in der Welt steht dem Guten als sein Widerschein gegenüber; das Gute wird sich in dem Bösen erst selbst gewahr, wie sich das Ich in seinen Seelenerlebnissen gewahr wird.
Die Weltanschauung des jüngsten Zeitalters der Gedankenentwicklung
Dem Aufblühen der Naturwissenschaft in der neueren Zeit liegt dasselbe Suchen wie J. Böhmes Mystik zugrunde. Es zeigt sich dies an einem Denker, welcher unmittelbar aus der Geistesströmung herausgewachsen ist, die in Kopernikus (1473-1543), Kepler (1571-1630), Galilei (1564-1642) und anderen zu den ersten großen naturwissenschaftlichen Errungenschaften der neueren Zeit führte. Es ist Giordano Bruno (1548-1600). Wenn man betrachtet, wie er die Welt aus unendlich vielen kleinen belebten und sich seelisch erlebenden Urwesen bestehen lässt, den Monaden, die unentstanden und unvergänglich sind, und die in ihrem Zusammenwirken die Naturerscheinungen ergeben, so könnte man versucht sein, Giordano Bruno mit Anaxagoras zusammenzustellen, dem die Welt aus den Homoiomerien besteht. Und doch ist zwischen beiden ein bedeutsamer Unterschied. Dem Anaxagoras entfaltet sich der Gedanke der Homoiomerien, indem er sich der Welt betrachtend hingibt; die Welt gibt ihm diesen Gedanken ein. Giordano Bruno fühlt: Was hinter den Naturerscheinungen liegt, muss als Weltbild so gedacht werden, dass das Wesen des Ich in dem Weltbilde möglich ist. Das Ich muss eine Monade sein, sonst könnte es nicht wirklich sein. So wird die Annahme der Monaden notwendig. Und weil nur die Monade wirklich sein kann, sind die wahrhaft wirklichen Wesen Monaden mit verschiedenen inneren Eigenschaften. Es geht in den Tiefen der Seele einer Persönlichkeit wie Giordano Bruno etwas vor, was nicht voll zum Bewusstsein derselben kommt; die Wirkung dieses inneren Vorganges ist dann die Fassung des Weltbildes. Was in den Tiefen vorgeht, ist ein unbewusster Seelenprozess: Das Ich fühlt, es muss sich selbst so vorstellen, dass ihm die Wirklichkeit verbürgt ist; und es muss die Welt so vorstellen, dass es in dieser Welt wirklich sein kann. Giordano Bruno muss sich die Vorstellung der Monade bilden, damit beides möglich ist. In Giordano Bruno kämpft im Weltanschauungsleben der neueren Zeit das Ich um sein Dasein in der Welt. Und der Ausdruck dieses Kampfes ist die Anschauung: Ich bin eine Monade; eine solche ist unentstanden und unvergänglich.
Man vergleiche, wie verschieden Aristoteles und Giordano Bruno zur Gottesvorstellung kommen.
Aristoteles betrachtet die Welt; er sieht das Sinnvolle der Naturvorgänge; er gibt sich diesem Sinnvollen hin; auch an den Naturvorgängen offenbart sich ihm der Gedanke des »ersten Bewegers« dieser Vorgänge.
Giordano Bruno kämpft sich in seinem Seelenleben zur Vorstellung der Monaden durch; die Naturvorgänge sind gleichsam ausgelöscht in dem Bilde, in dem unzählige Monaden aufeinanderwirkend auftreten; und Gott wird die hinter allen Vorgängen der wahrnehmbaren Welt wirkende, in allen Monaden lebende Kraftwesenheit. In der leidenschaftlichen Gegnerschaft Giordano Brunos gegen Aristoteles drückt sich der Gegensatz aus zwischen dem Denker Griechenlands und dem der neueren Zeit.
Auf mannigfaltige Art kommt in der neueren Weltanschauungsentwicklung zum Vorschein, wie das Ich nach Wegen sucht, um seine Wirklichkeit in sich zu erleben. Was Francis Bacon von Verulam (1561-1626) zum Ausdruck bringt, trägt dasselbe Gepräge, wenn dies auch durch die Betrachtung seiner Bestrebungen auf dem Gebiete der Weltanschauung nicht für den ersten Blick hervortritt. Bacon von Verulam fordert, dass man die Erforschung der Welterscheinungen mit der vorurteilsfreien Beobachtung beginne; dass man dann versuche, das Wesentliche von dem Unwesentlichen einer Erscheinung zu trennen, um so eine Vorstellung davon zu bekommen, was hinter einem Ding oder Vorgang steckt. Er meint, dass man bis zu seiner Zeit die Gedanken, welche die Welterscheinungen erklären sollen, zuerst gefasst und dann die Vorstellungen über die einzelnen Dinge und Vorgänge nach diesen Gedanken gerichtet habe. Er stellte sich vor, dass man die Gedanken nicht aus den Dingen selbst genommen habe.
Diesem (deduktiven) Verfahren wollte Bacon von Verulam sein anderes (induktives) Verfahren entgegengestellt wissen. Die Begriffe sollen an den Dingen gebildet werden. Man sieht so denkt er –, wie ein Gegenstand von dem Feuer verzehrt wird; man beobachtet, wie ein anderer Gegenstand sich zum Feuer verhält, und dann beobachtet man dasselbe bei vielen Gegenständen. So erhält man zuletzt eine allgemeine Vorstellung davon, wie sich die Dinge im Verhältnisse zum Feuer verhalten. Weil man früher nicht in dieser Art geforscht habe, so meint Bacon, sei es gekommen, dass in dem menschlichen Vorstellen so viele Idole statt wahrer Ideen über die Dinge herrschen.
Goethe sagt Bedeutsames über diese Vorstellungsart des Bacon von Verulam: »Baco gleicht einem Manne, der die Unregelmäßigkeit, Unzulänglichkeit, Baufälligkeit eines alten Gebäudes recht wohl einsieht, und solche den Bewohnern deutlich zu machen weiß. Er rät ihnen, es zu verlassen, Grund und Boden, Materialien und alles Zubehör zu verschmähen, einen anderen Bauplatz zu suchen und ein neues Gebäude zu errichten. Er ist ein trefflicher Redner und Überredner; er rüttelt an einigen Mauern, sie fallen ein, und die Bewohner sind genötigt, teilweise auszuziehen. Er deutet auf neue Plätze; man fängt an zu ebnen, und doch ist es überall zu enge. Er legt neue Risse vor; sie sind nicht deutlich, nicht einladend.
Hauptsächlich aber spricht er von neuen, unbekannten Materialien, und nun ist der Welt gedient. Die Menge zerstreut sich nach allen Himmelsgegenden und bringt unendlich Einzelnes zurück, indessen zu Hause neue Pläne, neue Tätigkeiten, Ansiedelungen die Bürger beschäftigen und die Aufmerksamkeit verschlingen.« Goethe spricht das in seiner Geschichte der Farbenlehre aus, da, wo er über Bacon redet. In einem folgenden Abschnitt über Galilei sagt er: »Schien durch die Verulamische Zerstreuungsmethode die Naturwissenschaft auf ewig zersplittert, so ward sie durch Galilei sogleich wieder zur Sammlung gebracht: er führte die Naturlehre wieder in den Menschen zurück, und zeigte schon in früher Jugend, dass dem Genie ein Fall für tausend gelte, indem er sich aus schwingenden Kirchenlampen die Lehre des Pendels und des Falles der Körper entwickelte. Alles kommt in der Wissenschaft auf das an, was man ein Aperçu nennt, auf ein Gewahrwerden dessen, was eigentlich den Erscheinungen zum Grunde liegt. Und ein solches Gewahrwerden ist bis ins Unendliche fruchtbar.« Goethe deutet damit scharf auf das hin, was für Bacon charakteristisch ist. Für die Wissenschaft will dieser einen sicheren Weg finden. Denn dadurch,