Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriss dargestellt. Rudolf Steiner

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Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriss dargestellt - Rudolf Steiner

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Claude Adrien Helvetius (1715-1771), Julien de La Mettrie (1709-1751) und das 1770 erschienene »System der Natur« (Système de la nature) von Holbach. Es ist in demselben alles Geistige aus dem Weltbilde vertrieben. Es wirken in der Welt nur der Stoff und seine Kräfte, und für dieses entgeistigte Bild der Natur findet Holbach die Worte: »0 Natur, Beherrscherin aller Wesen, und ihr, deren Töchter, Tugend, Vernunft und Wahrheit, seid ihr für immer unsere einzigen Gottheiten.« In de La Mettries »Der Mensch eine Maschine« kommt ein Weltanschauungsbild zutage, das von dem Naturbilde so überwältigt ist, dass es nur noch dieses gelten lassen kann. Was im Selbstbewusstsein auftritt, muss daher vorgestellt werden wie etwa das Spiegelbild gegenüber dem Spiegel. Die Leibesorganisation wäre dem Spiegel zu vergleichen, das Selbstbewusstsein dem Bilde. Das letztere hat, abgesehen von der ersteren, keine selbständige Bedeutung. In »Der Mensch eine Maschine« ist zu lesen: »Wenn aber alle Eigenschaften der Seele von der eigentümlichen Organisation des Gehirns und des ganzen Körpers so sehr abhängen, dass sie sichtlich nur diese Organisation selbst sind, so liegt hier eine sehr aufgeklärte Maschine vor ... Die Seele ist also nur ein nichtssagender Ausdruck, von dem man gar keine Vorstellung hat und den ein scharfer Kopf nur gebrauchen darf, um damit den Teil, der in uns denkt, zu benennen. Nimmt man auch nur das einfachste Prinzip der Bewegung in ihnen an, so haben die beseelten Körper alles, was sie brauchen, um sich zu bewegen, zu empfinden, zu denken, zu bereuen, kurz, um im Physischen und im Moralischen, welches davon abhängt, ihren Weg zu finden« ... »Wenn das, was in meinem Gehirn denkt, nicht ein Teil dieses Eingeweides und folglich des ganzen Körpers ist, warum erhitzt sich dann mein Blut, wenn ich ruhig in meinem Bett den Plan zu meinem Werke mache, oder einen abstrakten Gedankengang verfolge.« (Vgl. de La Mettrie, Der Mensch eine Maschine. Philosophische Bibliothek Bd. 68.) In die Kreise, in welche diese Geister auch Diderot, Cabanis und andere gehören noch zu ihnen wirkten, hat Voltaire (1694 bis 1778) die Lehren Lockes gebracht. Voltaire selbst ist wohl niemals bis zu den letzten Konsequenzen der genannten Philosophen geschritten. Er ließ sich aber selbst von Lockes Gedanken anregen, und in seinen glänzenden und blendenden Schriften ist vieles von diesen Anregungen zu fühlen. Materialist im Sinne der Genannten konnte er selbst nicht werden. Er lebte in einem zu weiten Vorstellungshorizont, um den Geist abzuleugnen. Das Bedürfnis für Weltanschauungsfragen hat er in weitesten Kreisen geweckt, weil er so schrieb, dass diese Weltanschauungsfragen an die Interessen dieser Kreise anknüpften. Über ihn wäre viel zu sagen in einer Darstellung, welche die Weltanschauungsströmungen in die Region der Zeitfragen verfolgen wollte. Das ist mit diesen Ausführungen nicht beabsichtigt. Es sollen nur die höheren Weltanschauungsfragen im engeren Sinne betrachtet werden; daher kann über Voltaire und auch über den Gegner der Aufklärung, Rousseau, hier nichts weiter vorgebracht werden.

      Verliert sich Locke im Sinnesdunkel, so David Hume (1711-1776) im Innern der selbstbewussten Seele, deren Erlebnisse ihm nicht von Kräften einer Weltordnung, sondern von der Macht der menschlichen Gewöhnung beherrscht scheinen. Warum spricht man davon, dass ein Vorgang in der Natur Ursache, ein anderer Wirkung sei? so fragt Hume. Der Mensch sieht, wie die Sonne den Stein bescheint; er nimmt dann wahr, dass der Stein warm geworden ist. Er sieht diese beiden Vorgänge oft aufeinander folgen.

      Deswegen gewöhnt er sich, sie als zusammengehörig zu denken. Er macht den Sonnenschein zur Ursache, die Erwärmung des Steines zur Wirkung. Die Denkgewöhnung verknüpft die Wahrnehmungen, nicht aber gibt es außerhalb in einer wirklichen Welt etwas, was sich als ein solcher Zusammenhang selbst offenbart.

      Der Mensch sieht auf einen Gedanken seiner Seele eine Bewegung seines Leibes folgen; er gewöhnt sich, zu denken, der Gedanke sei die Ursache, die Bewegung die Wirkung. Denkgewohnheiten, nichts weiter meint Hume liegen den Aussagen des Menschen über die Weltvorgänge zugrunde. Durch Denkgewohnheiten kann die selbstbewusste Seele zu Richtlinien für das Leben kommen; sie kann aber in diesen ihren Gewohnheiten nichts finden zum Gestalten eines Weltbildes, das für die Wesenheit außer der Seele eine Bedeutung hätte. So bleibt für Humes Weltanschauung alles, was der Mensch sich an Vorstellungen bildet über die Sinnes- und Verstandesbeobachtung hinaus, ein bloßer Glaubensinhalt; es kann nie ein Wissen werden. Über das Schicksal der selbstbewussten Menschenseele, über ihr Verhältnis zu einer anderen als der Sinneswelt kann es nicht Wissenschaft, sondern nur Glauben geben.

      Leibniz‹ Weltanschauungsbild erfuhr eine in die Breite gehende, verstandesmäßige Ausbildung durch Christian Wolff (geb. 1679 in Breslau, Professor in Halle). Wolff ist der Meinung, es lasse sich eine Wissenschaft begründen, welche durch reines Denken dasjenige erkennt, was möglich ist, was zur Existenz berufen ist, weil es dem Denken widerspruchsfrei erscheint, und so bewiesen werden kann. Auf diesem Wege begründet Wolff eine Welt-, Seelen- Gotteswissenschaft. Es beruht diese Weltanschauung auf der Voraussetzung, dass die selbstbewusste Menschenseele in sich Gedanken bilden könne, die gültig sind für dasjenige, was ganz und gar außerhalb ihrer selbst liegt. Hier liegt das Rätsel, das sich dann Kant aufgegeben fühlte: Wie sind durch die Seele zustandegebrachte Erkenntnisse möglich, die doch Geltung haben sollen für Weltwesen, die außerhalb der Seele liegen? In der Weltanschauungsentwicklung seit dem fünfzehnten, dem sechzehnten Jahrhundert drückt sich das Bestreben aus, die selbstbewusste Seele auf sich so zu stellen, dass sie sich als berechtigt anerkennen könne, über die Rätsel der Welt gültige Vorstellungen zu bilden. Aus dem Bewusstsein der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts heraus empfindet Lessing (1729-1781) dieses Bestreben als den tiefsten Impuls der menschlichen Sehnsucht. Wenn man ihn hört, so hört man mit ihm viele Persönlichkeiten, welche in diesem Sehnen den Grundcharakter dieses Zeitalters offenbaren. Die Verwandlung der religiösen Offenbarungswahrheiten in Vernunftwahrheiten, das strebt Lessing an. Sein Ziel ist in den mannigfaltigen Wendungen und Ausblicken, welche sein Denken nehmen muss, doch deutlich erkennbar. Lessing fühlt sich mit seinem selbstbewussten Ich in einer Entwicklungsepoche der Menschheit, welche durch die Kraft des Selbstbewusstseins erlangen soll, was ihr vorher von außen durch Offenbarung zugeflossen ist. Was in der Geschichte vorangegangen ist, wird damit für Lessing zum Vorbereitungsprozess für den Zeitpunkt, in dem sich das Selbstbewusstsein des Menschen allein auf sich stellt. So wird ihm die Geschichte zu einer »Erziehung des Menschengeschlechtes«. Und dies ist auch der Titel seines auf seiner Höhe geschriebenen Aufsatzes, in dem er das Wesen der Menschenseele nicht auf ein Erdenleben beschränkt wissen will, sondern es wiederholte Erdenleben durchmachen lässt. Die Seele lebt durch Zwischenzeiten getrennte Leben in den Perioden der Menschheitsentwicklung, nimmt in jeder Periode auf, was diese ihr geben kann, und verkörpert sich wieder in einer folgenden Periode, um da sich weiterzuentwickeln. Sie trägt also selbst aus einem Menschheitszeitalter die Früchte desselben in die folgenden hinüber und wird so durch die Geschichte »erzogen«. In Lessings Anschauung wird das Ich also über das Einzelleben hinaus erweitert; es wird eingewurzelt in eine geistig wirksame Welt, die hinter der Sinneswelt liegt.

      Damit steht Lessing auf dem Boden einer Weltanschauung, welche dem selbstbewussten Ich es durch dessen eigene Natur fühlbar machen will, wie das, was in ihm wirkt, nicht in dem sinnlichen Einzelleben sich restlos zum Ausdruck bringt.

      In anderer Art, doch mit demselben Impuls suchte Herder (1744-1803) zu einem Weltbild zu kommen. Er wendet den Blick auf das gesamte physische und geistige Universum. Er sucht gewissermaßen den Plan dieses Universums. Den Zusammengang und Zusammenklang der Naturerscheinungen, das Aufdämmern und Aufleuchten der Sprache und der Poesie, den Fortgang des geschichtlichen Werdens: alles das lässt Herder auf seine Seele wirken, durchdringt es mit oft genialischen Gedanken, um zu einem Ziele zu kommen. In aller Außenwelt so kann man sagen, stellt sich für Herder dieses Ziel dar drängt sich etwas zum Dasein, was zuletzt in der selbstbewussten Seele offenbar erscheint.

      Diese selbstbewusste Seele enthüllt sich, indem sie sich im Universum gegründet fühlt, nur den Weg, den ihre eigenen Kräfte in ihr genommen haben, bevor sie Selbstbewusstsein erlangt hat. Die Seele darf sich nach Herders Anschauung in dem Weltall wurzelnd fühlen, denn sie erkennt in dem ganzen natürlichen und geistigen Zusammenhang des Universums einen Vorgang, der zu ihr führen musste, wie die Kindheit zum reifen Menschenleben im persönlichen Dasein führen muss. Es ist ein umfassendes Bild dieses seines Weltgedankens, das Herder in seinen »Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit« zur Darstellung bringt. Es ist der Versuch, das Naturbild

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