Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriss dargestellt. Rudolf Steiner
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Wie Herder im Gegensatz zu anderen seiner Zeitgenossen sich zu Spinoza stellt, wirft Licht auf seine Stellung in der Weltanschauungsentwicklung Diese Stellung tritt in ihrer Bedeutung hervor, wenn man sie vergleicht mit derjenigen Friedrich Heinrich Jacobis (1743-1819). Jacobi findet in Spinozas Weltbild dasjenige, wozu der menschliche Verstand kommen muss, wenn er die Wege verfolgt, welche ihm durch seine Kräfte vorgezeichnet sind. Es erschöpft dieses Weltbild den Umfang dessen, was der Mensch über die Welt wissen kann. Über die Natur der Seele, über den göttlichen Weltgrund, über den Zusammenhang der Seele mit diesem kann aber dieses Wissen nichts entscheiden. Diese Gebiete erschließen sich dem Menschen nur, wenn er sich einer Glaubenserkenntnis hingibt, die auf einer besonderen Seelenfähigkeit beruht. Das Wissen muss daher, im Sinne Jacobis, notwendig atheistisch sein.
Es kann in seinem Gedankenbau streng notwendige Gesetzmäßigkeit, nicht aber göttliche Weltordnung haben. So wird für Jacobi der Spinozismus die einzig mögliche wissenschaftliche Vorstellungsart; aber er sieht in diesem zugleich einen Beweis für die Tatsache, dass diese Vorstellungsart den Zusammenhang mit der geistigen Welt nicht finden kann. Herder verteidigt 1787 Spinoza gegen den Vorwurf des Atheismus. Er kann das. Denn er schreckt nicht davor zurück, das Erleben des Menschen in dem göttlichen Urwesen auf seine Art ähnlich zu empfinden wie Spinoza. Nur spricht Herder dieses Erleben auf andere Art aus als Spinoza. Dieser baut ein reines Gedankengebäude auf; Herder sucht seine Weltanschauung nicht bloß durch Denken, sondern durch die ganze Fülle des menschlichen Seelenlebens zu gewinnen. Für ihn ist ein schroffer Gegensatz von Glauben und Wissen dann nicht vorhanden wenn die Seele sich klar wird über die Art, wie sie sich selbst erlebt. Man spricht in seinem Sinne, wenn man das seelische Erleben so ausdrückt: Wenn der Glaube sich auf seine Gründe in der Seele besinnt, so kommt er zu Vorstellungen, welche nicht ungewisser sind als diejenigen, welche durch das bloße Denken gewonnen werden. Herder nimmt alles, was die Seele in sich finden kann, in geläuterter Gestalt als Kräfte hin, die ein Weltbild liefern können. So ist seine Vorstellung des göttlichen Weltengrundes reicher, gesättigter als diejenige Spinozas; aber sie setzt das menschliche Ich zu diesem Weltgrunde in ein Verhältnis, das bei Spinoza nur als Ergebnis des Denkens auftritt.
Wie in einem Knotenpunkte der mannigfaltigsten Fäden der neueren Weltanschauungsentwicklung steht man, wenn man den Blick darauf richtet, wie in diese Entwicklung der Gedankengang Spinozas in den Achtzigerjahren des achtzehnten Jahrhunderts eingreift. 1785 veröffentlicht Fr. H. Jacobi sein »Spinoza-Büchlein«. Er teilt darin ein Gespräch mit, das er mit Lessing vor dessen Lebensende geführt hatte. Lessing hat sich nach diesem Gespräch selbst zum Spinozismus bekannt. Für Jacobi ist damit zugleich Lessings Atheismus festgestellt. Man muss, wenn man das »Gespräch mit Jacobi« als maßgebend für die intimen Gedanken Lessings anerkennt, diesen als eine Persönlichkeit ansehen, welche anerkennt, dass der Mensch eine seinem Wesen entsprechende Weltanschauung nur gewinnen könne, wenn er die feste Gewissheit, welche die Seele dem durch eigene Kraft lebenden Gedanken gibt, zum Stützpunkt seiner Anschauung nimmt. Mit einer solchen Idee erscheint Lessing als ein prophetischer Vor-Fühler der Weltanschauungsimpulse des neunzehnten Jahrhunderts. Dass er diese Idee erst in einem Gespräche kurz vor seinem Tode äußert, und dass sie in seinen eigenen Schriften noch wenig zu bemerken ist, bezeugt, wie schwer das Ringen, auch der freiesten Köpfe, geworden ist mit den Rätselfragen, welche das neuere Zeitalter der Weltanschauungsentwicklung aufgegeben hat. Die Weltanschauung muss sich doch in Gedanken aussprechen. Doch die überzeugende Kraft des Gedankens, die im Platonismus ihren Höhepunkt, im Aristotelismus ihre selbstverständliche Entfaltung gefunden hatte, war aus den Seelenimpulsen der Menschen gewichen. Aus der mathematischen Vorstellungsart sich die Kraft zu holen, den Gedanken zu einem Weltenbild auszubauen, das bis zum Weltengrund weisen sollte, vermochte nur die seelenkühne Natur Spinozas. Den Lebenstrieb des Gedankens im Selbstbewusstsein zu erfühlen, und ihn so zu erleben, dass sich durch ihn der Mensch in eine geistig-reale Welt sicher hineingestellt fühlt, vermochten die Denker des achtzehnten Jahrhunderts noch nicht. Lessing steht unter ihnen wie ein Prophet, indem er die Kraft des selbstbewussten Ich so empfindet, dass er der Seele den Durchgang durch wiederholte Erdenleben zuschreibt. Was man, unbewusst, wie einen Alpdruck in Weltanschauungsfragen fühlte, war, dass der Gedanke für den Menschen nicht mehr so auftrat wie für Plato, für den er sich selbst in seiner stützenden Kraft und mit seinem gesättigten Inhalte als wirksame Weltwesenheit offenbarte. Man fühlte jetzt den Gedanken aus den Untergründen des Selbstbewusstseins heraufziehen; man fühlte die Notwendigkeit, ihm aus irgendwelchen Mächten heraus eine Tragkraft zu geben. Man suchte diese Tragkraft immer wieder bei den Glaubenswahrheiten oder in den Tiefen des Gemütes, welche man stärker glaubte als den abgeblassten, abstrakt empfundenen Gedanken. Das ist für viele Seelen immer wieder ihr Erlebnis mit dem Gedanken, dass sie diesen nur als bloßen Seeleninhalt empfinden und aus ihm nicht die Kraft zu saugen vermögen, die ihnen Gewähr leistet dafür, dass der Mensch mit seinem Wesen sich im geistigen Weltengrund eingewurzelt wissen dürfe. Solchen Seelen imponiert die logische Natur des Gedankens; sie erkennen ihn deshalb an als Kraft, welche eine wissenschaftliche Weltansicht erbauen müsse; aber sie wollen eine für sie stärker wirkende Kraft für den Ausblick auf eine die höchsten Erkenntnisse umschließende Weltanschauung. Es fehlt solchen Seelen die spinozistische Seelenkühnheit, den Gedanken im Quell des Weltschaffens zu empfinden und so sich mit dem Gedanken im Weltengrund zu wissen. Es rührt von solcher Seelenverfassung her, wenn oft der Mensch den Gedanken beim Aufbau einer Weltanschauung gering erachtet und sein Selbstbewusstsein sicherer gestützt fühlt im Dunkel der Gemütskräfte. Es gibt Persönlichkeiten, für welche eine Anschauung um so weniger Wert für ihr Verhältnis zu den Weltenrätseln hat, je mehr diese Anschauung aus dem Dunkel des Gemüts in das Licht des Gedankens treten will. Eine solche Seelenstimmung trifft man bei J. G. Hamann (gest. 1788). Er war, wie manche Persönlichkeiten dieser Art, ein großer Anreger. Ist nämlich ein solcher Geist genial wie er, so wirken die aus den dunkeln Gemütstiefen geholten Ideen energischer auf andere als die in Verstandesform gebrachten Gedanken. Wie in Orakelsprüchen drückte sich Hamann aus über die Fragen, welche das Weltanschauungsleben seiner Zeit erfüllten. Wie auf andere wirkte er auch auf Herder anregend. Ein mystisches Empfinden, oft mit pietistischer Färbung, lebt in seinen Orakelsprüchen. Chaotisch kommt in ihnen zum Vorschein das Drängen der Zeit nach dem Erleben einer Kraft der selbstbewussten Seele, welche Stützpunkt all dem sein kann, was der Mensch sich über Welt und Leben zur Vorstellung bringen will.
Es liegt in diesem Zeitalter, dass die Geister fühlen: Man muss hinunter in die Seelentiefen, um den Punkt zu finden, in dem die Seele mit dem ewigen Weltengrund zusammenhängt, und man muss aus der Erkenntnis dieses Zusammenhangs heraus aus dem Quell des Selbstbewusstseins ein Weltbild gewinnen. Doch ist ein weiter Abstand von dem, was der Mensch vermochte mit seinen Geisteskräften zu umfassen, und dieser inneren Wurzel des Selbstbewusstseins. Die Geister dringen mit ihrer Geistesarbeit nicht zu dem vor, was ihnen in dunkler Ahnung ihre Aufgabe stellt. Sie gehen gleichsam um das herum, was als Weltenrätsel wirkt, und nähern sich ihm nicht. So empfindet mancher, der den Weltanschauungsfragen gegenübersteht, als gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts Spinoza zu wirken beginnt. Lockesche, Leibnizsche Ideen, diese auch in Wolffscher Abschwächung, durchdringen die Köpfe; daneben wirkt neben dem Drang nach Gedankenklarheit die Scheu vor dieser, so dass in das Weltbild immer wieder die aus den Tiefen des Gemütes heraufgeholten Anschauungen zur Ganzheit dieses Bildes zu Hilfe gerufen werden. Ein solches spiegelt sich in Mendelssohn, dem Freunde Lessings, der durch die Veröffentlichung des Jacobischen Gespräches mit Lessing bitter berührt worden ist. Er wollte nicht zugeben, dass dieses Gespräch von Seiten Lessings wirklich den von Jacobi mitgeteilten Inhalt gehabt habe. Es hätte sich dann so meinte er sein Freund wirklich zu einer Weltanschauung bekannt, welche mit dem bloßen Gedanken zur Wurzel der geistigen Welt reichen will. Auf diese Art komme man aber nicht zu einer Anschauung von dem Leben dieser Wurzel. Man müsse sich dem Weltgeiste anders nahen, wenn man ihn in der Seele als lebensvolle