Rudyard Kipling - Gesammelte Werke. Rudyard Kipling
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Ob das Christentum Lispeth besser machte oder ob die Götter ihres Volkes sie vielleicht ebensogut hätten gedeihen lassen, kann ich nicht sagen, doch sie wuchs in voller Lieblichkeit heran. Wenn aber eine indische Bergmaid lieblich erblüht, so lohnt sich's wohl, um ihres Anblicks willen fünfzehn Meilen weit über unwegsames Land zu wandern. Lispeth hatte ein griechisches Gesicht – eins von denen, die man so oft gemalt und so selten in Wirklichkeit zu sehen bekommt. Ihre Hautfarbe war matt, elfenbeinartig und ihre Gestalt für ihre Rasse sehr schlank. Auch besaß sie wunderbare Augen, und wäre sie nicht in den abscheulichen bedruckten Kattun, wie ihn die Missionen verwenden, gekleidet gewesen, man hätte sie bei plötzlicher Begegnung am Berghang für das Urbild der Diana halten können, wie sie dahin schreitet dem Weidwerk obzuliegen.
Lispeth gab sich der christlichen Lehre willig hin und ließ sie auch nicht, als sie Jungfrau geworden war, im Stich, wie wohl die Bergmädchen thun. Ihre Stammesgenossen haßten sie, weil sie, wie sie sagten, eine memsahib geworden wäre und sich täglich wüsche; und die Kaplansfrau wußte nicht recht, was sie mit ihr anfangen sollte. Es macht sich schlecht, eine stattliche fast sechs Fuß hohe Gottheit Teller und Schüsseln reinigen zu lassen. So spielte sie mit den Kindern des Kaplans, übernahm Klassen in der Sonntagsschule, las alle Bücher im Hause und wurde dabei immer schöner und schöner, wie eine Märchenprinzessin. Die Kaplansfrau sagte, sie sollte in Simla als Kindermädchen oder sonst etwas »Besseres« Stellung nehmen. Aber Lispeth wollte nicht in Dienst gehen, sie fühlte sich in ihrem jetzigen Zustande sehr glücklich.
Wenn Reisende nach Kotgarh kamen – wie es in jenen Jahren noch nicht oft geschah –, pflegte sich Lispeth in ihrem Zimmer einzuschließen, aus Furcht, man möchte sie mit nach Simla nehmen oder sonstwohin in die unbekannte Welt.
Als Lispeth ein paar Monate über siebzehn Jahre alt war, machte sie eines Tages einen Ausgang. Ihre Ausgänge waren freilich anders als bei den englischen Damen, die keine halbe Meile weit gehen und dann zurückfahren; sie legte vielmehr alles in allem bei ihren Wanderungen zwischen Kotgarh und Narkunda ihre vier bis sechs Meilen zurück. Diesmal kehrte sie erst wieder, als es schon ganz dunkel war, und kam den halsbrecherischen Abstieg nach Kotgarh mit etwas Schwerem in den Armen herunter. Die Kaplansfrau saß halb schlummernd im Empfangszimmer, als Lispeth, schwer atmend und ganz erschöpft, mit ihrer Bürde ankam. Lispeth legte diese auf das Sofa und sagte einfach:
Das ist mein Mann. Ich fand ihn auf der Straße nach Bagi. Er hat sich verletzt. Wir wollen ihn pflegen, und wenn er wieder auf ist, soll Ihr Mann mich mit ihm verheiraten.
Das war das erste Mal, daß Lispeth ihre Ansichten über die Ehe äußerte, und, die Missionarsfrau schauderte davor entsetzt zurück. Jedoch vor allem galt es dem Mann auf dem Sofa zu helfen. Es war ein junger Engländer, dessen Kopf offenbar von etwas Zackigem bis auf den Knochen verletzt war. Lispeth sagte, sie habe ihn unten am Abhang gefunden und so mitgebracht. Sein Atem ging unregelmäßig, und er war ohne Bewußtsein.
Er wurde zu Bett gebracht und von dem Missionar, der einige ärztliche Kenntnisse besaß, gepflegt, während Lispeth vor der Thür wartete, ob sie sich nicht nützlich machen könnte. Sie erklärte auch dem Kaplan, es sei ihr Mann, den sie heiraten wolle, worauf ihre Pflegeeltern ihr schwere Vorwürfe über ihre unziemliche Aufführung machten. Lispeth hörte sie ruhig an und wiederholte dann ihre erste Erklärung. Es gehört schon ein tiefes Erfassen der christlichen Lehre dazu, um solche fest eingepflanzten orientalischen Neigungen, wie das schrankenlose Eingeständnis der Liebe beim ersten Erblicken des Geliebten, auszutilgen. Lispeth konnte nicht einsehen, warum sie nun, da sie den Mann, den sie anbetete, gefunden hatte, ihre Wahl nicht offen bekennen sollte. Auch war sie nicht gewillt, sich fortschicken zu lassen. Sie wollte den Engländer pflegen, bis er gesund genug wäre, sie zu heiraten. Das war ihr unabänderlicher Vorsatz.
Nachdem Fieber und Wundentzündung zwei Wochen gedauert hatten, genas der Engländer und dankte dem Missionar und seiner Frau und Lispeth – insbesondere Lispeth – für ihre Freundlichkeit. Er war ein Orientreisender, wie er sagte – von Weltbummlern verlautete in jener Zeit noch nichts – und war von Dehra Dun gekommen, um Pflanzen und Schmetterlinge im Berglande von Simla zu suchen. In Simla wußte daher auch kein Mensch etwas von ihm. Nach seiner Erzählung war er bei dem Versuch, einen Farn von einem morschen Baumstumpf zu holen, den steilen Abhang hinuntergefallen, worauf die Kulis sein Gepäck gestohlen und sich davon gemacht hatten. Er beabsichtigte, wenn er sich etwas mehr erholt hätte, nach Simla zurückzukehren; das Bergsteigen war ihm verleidet.
Er hatte gar keine Eile, aufzubrechen, als er allmählich wieder zu Kräften kam. Da Lispeth weder vom Kaplan noch von seiner Frau Rat annehmen wollte, so sprach die letztere mit dem Engländer und klärte ihn offen über Lispeths Herzenszustand auf. Er lachte viel darüber und sagte, das wäre sehr reizend und romantisch, ein echtes Himalayaidyll; aber da er eine Braut in England hätte, so werde wohl nichts daraus werden. Jedenfalls werde er nicht unehrenhaft verfahren. Demgemäß handelte er auch.
Immerhin hatte es einen eigenen Reiz für ihn, wahrend seine Genesung weitere Fortschritte machte, mit Lispeth sich zu unterhalten und mit Lispeth zu lustwandeln und ihr Angenehmes zu sagen und ihr Schmeichelnamen beizulegen. Für ihn hatte das weiter nichts zu bedeuten, für sie aber alles in der Welt. Während zweier Wochen war sie überglücklich, denn sie hatte den Mann ihrer Liebe gefunden.
Ihrer Herkunft von einer wilden Völkerschaft entsprechend, gab sie sich keine Mühe, ihre Gefühle zu verbergen, und der Engländer hatte seine Freude daran. Als er Kotgarh verließ, begleitete sie ihn, höchst beunruhigt und im jämmerlichsten Gemütszustände hinauf bis nach Narkunda. Nun hatte die Kaplansflau, eine gute Christin und Feindin jedes aufsehenerregenden Skandals, die jetzt weniger als je imstande war, Lispeth zu beeinflussen, dem Engländer geraten, er solle ihr sagen, daß er wiederkommen und sie heiraten werde. Sie ist nur ein Kind, wissen Sie, und ich fürchte, im Herzen eine Heidin, sagte sie. So hörte der Engländer, seinen Arm um Lispeths Büste schlingend, während des zwei bis drei Meilen langen Weges nicht auf, immer und immer wieder dem Mädchen zu versichern, er werde wiederkommen und sie heiraten, und Lispeth war nicht müde, ihn sein Versprechen immer von neuem wiederholen zu lassen. Auf dem Höhenrücken von Narkunda blieb sie zurück und schaute ihm weinend nach, bis er auf dem Wege nach Muttiani ihren Augen entschwunden war.
Dann trocknete sie ihre Thränen, ging nach Kotgarh zurück und sagte zur Kaplansfrau: Er wird wiederkommen und mich heiraten. Er ist nur zu seinen Verwandten gegangen, es ihnen mitzuteilen. Und die Kaplansfrau streichelte Lispeth und sagte: Er wird wiederkommen.
Als zwei Monate verstrichen waren, wurde Lispeth ungeduldig, und man sagte ihr, der Engländer sei übers Meer nach England gegangen. Sie wußte aus ihrem Unterricht in der Erdkunde, wo England lag, aber vom Meere hatte sie als Tochter des Gebirges natürlich keine Vorstellung. Sie holte eine alte zusammensetzbare Weltkarte, mit der sie als Kind gespielt hatte und die irgendwo verstaubt im Winkel lag, wieder vor und suchte sich, mit Thränen in den Augen, vorzustellen, wo er sich eben befinde. Da sie von der Entfernung oder von Dampfboten und dergleichen keine Idee hatte, waren ihre Begriffe sehr verkehrt. Aber es hätte nichts ausgemacht, auch wenn sie ganz zutreffend gewesen wären, denn der Engländer hatte keineswegs die Absicht, zurückkehren und ein indisches Bergmädchen zu freien. Er vergaß sie völlig, während er in Assam Schmetterlingen nachjagte. Später schrieb er ein Buch über Indien, in dem nicht einmal Lispeths Name vorkam.
Als drei Monate vergangen waren, pilgerte Lispeth täglich nach Narkunda, um zu sehen, ob ihr Engländer nicht des Weges käme. Sie tröstete sich damit ein wenig, und die Kaplansfrau dachte, da sie ihr zufriedener vorkam, sie