Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen

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Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen

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Welle da, welche fast wie Blei vorwärts schoß; Blitz leuchtete auf Blitz.

      Jetzt war die Sonne gerade am Rande des Meeres, Elisa's Herz bebte; da schossen die Schwäne hinab, so schnell, daß sie zu fallen glaubte. Aber nun schwebten sie wieder. Die Sonne war halb unter dem Wasser: da erblickte sie erst die kleine Klippe unter sich. Sie sah nicht größer aus, als ob es ein Seehund wäre, der den Kopf aus dem Wasser steckte. Die Sonne sank sehr schnell; jetzt erschien sie nur noch wie ein Stern: da berührte ihr Fuß den festen Grund. Die Sonne erlosch gleich dem letzten Funken im brennenden Papier: Arm in Arm sah sie die Brüder um sich stehen; aber mehr Platz, als gerade für diese und sie, war auch nicht da. Die See schlug gegen die Klippe und ging wie Staubregen über sie hin; der Himmel leuchtete m einem fortwährenden Feuer, und Schlag auf Schlag rollte der Donner; aber Schwester und Brüder faßten sich an den Händen und sangen Psalmen, aus denen sie Trost und Muth schöpften. In der Morgendämmerung war die Luft rein und still; sobald die Sonne emporstieg, flogen die Schwäne mit Elisa von der Insel fort. Das Meer ging noch hoch; es sah aus, wie sie hoch in der Luft waren, als ob der weiße Schaum auf der schwarzgrünen See Millionen Schwäne wären, die auf dem Wasser schwämmen.

      Als die Sonne höher stieg, sah Elisa vor sich, halb in der Luft schwimmend, ein Bergland mit glänzenden Eismassen auf den Felsen; und mitten darauf erhob sich ein wohl meilenlanges Schloß, mit einem kühnen Säulengange über dem andern; unten wogten Palmenwälder und Prachtblumen. Sie fragte, ob dies das Land sei, wo sie hin wollten; aber die Schwäne schüttelten mit dem Kopfe, denn das, was sie sah, war der Fata Morgana herrliches, allzeit wechselndes Wolkenschloß; in dieses durften sie keinen Menschen hineinbringen. Elisa starrte es an, da stürzten Berge, Wälder und Schloß zusammen, und zwanzig stolze Kirchen, alle einander gleich, mit hohen Thürmen und spitzen Fenstern standen vor ihnen. Sie glaubte die Orgel ertönen zu hören, aber es war das Meer, welches sie hörte. Nun war sie den Kirchen ganz nahe, da wurden diese zu einer ganzen Flotte, die unter ihr dahin segelte; doch als sie hinunter blickte, waren es nur Meernebel, die über dem Wasser hinglitten. So hatte sie eine ewige Abwechselung vor Augen, bis sie endlich das wirkliche Land sah, nach dem sie hin wollten; dort erhoben sich die herrlichsten blauen Berge mit Cedernwäldern, Städten und Schlössern. Lange bevor die Sonne unterging, saß sie auf dem Felsen vor einer großen Höhle, die mit feinen grünen Schlingpflanzen bewachsen war; es sah aus als wären es gestickte Teppiche.

      »Nun wollen wir sehen, was Du diese Nacht hier träumst,« sagte der jüngste Bruder und zeigte ihr ihre Schlafkammer.

      »Gebe der Himmel, daß ich träumen möge, wie ich Euch erlösen kann!« sagte sie. Und dieser Gedanke beschäftigte sie lebhaft; sie betete inbrünstig zu Gott um seine Hilfe; ja, selbst im Schlafe fuhr sie fort zu beten. Da kam es ihr vor, als ob sie hoch in die Luft fliege, zu der Fata Morgana Wolkenschloß; und die Fee kam ihr entgegen, schön und glänzend; und doch glich sie ganz der alten Frau, die ihr Beeren im Walde gegeben und ihr von den Schwänen mit Goldkronen auf dem Kopfe erzählt hatte.

      »Deine Brüder können erlöst werden,« sagte sie; »aber hast Du Muth und Ausdauer? Wohl ist das Wasser weicher, als Deine feinen Hände, und doch formt es die Steine um; aber es fühlt nicht die Schmerzen, die Deine Finger fühlen werden; es hat kein Herz, leidet nicht die Angst und Qual, die Du aushalten mußt. Siehst Du die Brennnessel, die ich in meiner Hand halte? Von derselben Art wachsen viele rings um die Höhle, wo Du schläfst; nur die dort und die, welche auf des Kirchhofs Gräbern wachsen, sind tauglich: merke Dir das. Die mußt Du pflücken, obgleich sie Deine Hand voll Blasen brennen werden. Brich diese Nesseln mit Deinen Füßen, so erhältst Du Flachs; aus diesem mußt Du eilf Panzerhemden mit langen Aermeln flechten und binden; wirf diese über die eilf Schwäne, so ist der Zauber gelöst. Aber bedenke wohl, daß Du von dem Augenblicke, wo Du diese Arbeit beginnst, bis dahin wo sie vollendet ist, wenn auch Jahre darüber vergehen, nicht sprechen darfst; das erste Wort, welches Du sprichst, geht als tödtender Dolch in Deiner Brüder Herzen! An Deiner Zunge hängt ihr Leben. Merke Dir das Alles!«

      Und sie berührte gleichzeitig ihre Hand mit der Nessel; es war einem brennenden Feuer gleich; Elisa erwachte dadurch. Es war heller Tag, und dicht daneben, wo sie geschlafen, lag eine Nessel, wie die, welche sie im Traume gesehen. Da fiel sie auf ihre Kniee, dankte dem lieben Gotte und ging aus der Höhle hinaus, um ihre Arbeit zu beginnen.

      Mit den feinen Händen griff sie hinunter in die häßlichen Nesseln; diese waren wie Feuer; sie brannten große Blasen in ihre Hände und Arme; aber gern wollte sie es leiden, konnte sie nur die lieben Brüder erlösen. Sie brach jede Nessel mit ihren bloßen Füßen und flocht den grünen Flachs.

      Als die Sonne untergegangen war, kamen die Brüder und erschraken, sie so stumm zu finden; sie glaubten, es wäre ein neuer Zauber der bösen Stiefmutter. Aber als sie ihre Hände erblickten, begriffen sie, was sie ihrethalben thue. Der jüngste Bruder weinte; und wohin seine Thränen fielen, da fühlte sie keine Schmerzen, da verschwanden die brennenden Blasen.

      Die Nacht brachte sie bei ihrer Arbeit zu, denn sie hatte keine Ruhe, bevor sie die lieben Brüder erlöst hätte. Den folgenden Tag, während die Schwäne fort waren, saß sie in ihrer Einsamkeit; aber noch nie war die Zeit ihr so schnell entflohen als jetzt. Ein Panzerhemd war schon fertig, nun fing sie das zweite an.

      Da ertönte ein Jagdhorn zwischen den Bergen: sie wurde von Furcht ergriffen. Der Ton kam immer näher; sie hörte Hunde bellen; erschrocken floh sie in die Höhle, band die Nesseln, die sie gesammelt und gehechelt hatte, in ein Bund zusammen und setzte sich darauf.

      Sogleich kam ein großer Hund aus der Schlucht hervorgesprungen, und gleich darauf wieder einer, und noch einer; sie bellten laut, liefen zurück und kamen abermals wieder. Es wahrte nur wenige Minuten, so standen alle Jäger vor der Höhle, und der schönste unter ihnen war der König des Landes, Er trat auf Elisa zu: nie hatte er ein schöneres Mädchen gesehen.

      »Wie bist Du hierher gekommen, Du herrliches Kind?« fragte er. Elisa schüttelte den Kopf: sie durfte ja nicht sprechen; es galt ihrer Brüder Erlösung und Leben. Und sie verbarg ihre Hände unter der Schürze, damit der König nicht sehen möge, was sie leiden müsse.

      »Komm mit mir!« sagte er; »hier darfst Du nicht bleiben. Bist Du so gut, wie Du schön bist, so will ich Dich in Seide und Sammet kleiden, die Goldkrone auf das Haupt setzen, und Du sollst in meinem reichsten Schlosse wohnen und herrschen!« – Dann hob er sie auf sein Pferd. Sie weinte und rang die Hände, aber der König sagte: »Ich will nur Dein Glück! Einst wirst Du mir dafür danken.« Mit diesen Worten jagte er fort durch die Berge, und setzte sie vor sich auf das Pferd, und die Jäger jagten hinterher.

      Als die Sonne unterging, lag die schöne Königsstadt mit Kirchen und Kuppeln vor ihnen. Und der König führte sie in das Schloß, wo große Springbrunnen in den Marmorsälen plätscherten, wo Wände und Decken mit Gemälden prangten. Aber sie hatte keine Augen dafür, sie weinte und trauerte. Willig ließ sie sich von den Frauen königliche Kleider anlegen, Perlen in ihre Haare flechten und feine Handschuhe über die verbrannten Finger ziehen.

      Als sie in ihrer Pracht dastand, war sie blendend schön, so daß der Hof sich tief verneigte. Und der König erkor sie zu seiner Braut, obgleich der Erzbischof mit dem Kopfe schüttelte und flüsterte, daß das schöne Waldmädchen sicher eine Hexe sei: sie blende die Augen und bethöre das Herz des Königs.

      Aber der König hörte nicht darauf, ließ die Musik ertönen, die köstlichsten Gerichte auftragen und die lieblichsten Mädchen um sie herum tanzen. Und sie wurde durch duftende Garten in prächtige Säle geführt, aber nicht ein Lächeln kam auf ihre Lippen oder aus ihren Augen: ein Bild der Trauer stand sie da. Dann öffnete der König eine kleine Kammer dicht daneben, wo sie schlafen sollte; die war mit köstlichen grünen Teppichen geschmückt und glich der Höhle, in der sie gewesen war; auf dem Fußboden lag das Bund Flachs, welches sie aus den Nesseln gesponnen hatte, und unter der Decke hing das Panzerhemd, welches fertig gestrickt war. Alles dieses hatte einer der Jäger

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