Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen
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– Es war ein schöner, sonniger Tag, Fahnen wehten herab von Thürmen und Dächern in dem königlichen Stuttgart; die Thurmglocken läuteten zur Festlichkeit und Freude; nur eine Glocke schwieg, aber sie leuchtete dafür in hellem Sonnenscheine, strahlte vom Antlitze und von der Brust der Ruhmesgestalt; es waren an diesem Tage grade hundert Jahre verstrichen, seit jenem Tage, an welchem die Thurmglocke zu Marbach der leidenden Mutter Trost und Freude geläutet, als sie das Kind gebar, arm in dem armen Hause, – später aber der reiche Mann, dessen Schätze die Welt segnet, ihn, des edlen Frauenherzens Dichter, den Sänger des Erhabenen, des Herrlichen: Johann Christoph Friedrich Schiller.
Der silberne Schilling.
Es war einmal ein Schilling, blank ging er aus der Münze hervor, sprang und klang, »Hurrah! Jetzt geht's in die weite Welt hinaus!« – Und er kam freilich in die weite Welt hinaus.
Das Kind hielt ihn mit warmen, der Geizige mit kalten, krampfhaften Händen; der Aeltere wendete und drehte ihn Gott weiß wie viel Male, während die Jugend ihn gleich wieder rollen ließ. Der Schilling war von Silber, hatte sehr wenig Kupfer an sich, und befand sich bereits ein ganzes Jahr in der Welt, das heißt in dem Lande, in welchem er ausgemünzt worden war. Eines Tages aber ging er auf Reisen in's Ausland; er war die letzte Landesmünze in dem Geldbeutel, den sein reisender Herr bei sich führte, der Herr wußte selbst nicht, daß er den Schilling noch hatte, bis er ihm unter die Finger gerieth. »Hier hab' ich ja noch einen Schilling aus der Heimath!« sagte er, »nun der kann die Reise mitmachen!« und der Schilling klang und sprang vor Freude, als er ihn wieder in den Beutel steckte. Hier lag er nun bei fremden, kommenden und gehenden Kameraden, einer machte dem andern Platz, aber der Schilling aus der Heimath blieb immer im Beutel zurück: das war eine Auszeichnung.
Mehre Wochen waren schon verstrichen, und der Schilling war weit in die Welt hinaus gelangt, ohne daß er doch grade wußte, wo er sich befände; zwar erfuhr er von den andern Münzen, daß sie französische und italienische seien. Eine sagte, sie seien jetzt in der Stadt, eine Andere, sie seien in der, allein der Schilling konnte sich doch keine Vorstellung von alledem machen; man sieht Nichts von der Welt, wenn man immer im Sacke steht, und das war ja sein Loos. Doch eines Tages, als er so da lag, bemerkte er, daß der Geldbeutel nicht zugemacht war, und also schlich er sich bis an die Oeffnung hervor, um ein wenig heraus zu schauen: das hätte er nun freilich nicht thun sollen; er war aber neugierig, und das rächt sich; – er glitt hinaus in die Hosentasche, und als Abends der Geldbeutel herausgenommen wurde, lag der Schilling noch da wo er hingerutscht war und kam mit den Kleidern auf den Vorsaal hinaus; dort fiel er sogleich auf den Fußboden; Niemand hörte das, Niemand sah das.
Am andern Morgen wurden die Kleider wieder in das Zimmer getragen, der Herr zog sie an, reiste weiter, und der Schilling blieb zurück, er wurde gefunden, sollte wieder Dienste thun, und ging mit drei andern Münzen aus. »Es ist doch angenehm, sich in der Welt umzusehen,« dachte der Schilling, »andere Menschen, andere Sitten kennen zu lernen.«
»Was ist das für ein Schilling!« hieß es in demselben Augenblicke. »Das ist keine Landesmünze! Der ist falsch! Der taugt nichts!«
Ja, nun beginnt die Geschichte des Schillings, wie er sie später selbst erzählte.
»Falsch! Taugt nichts! – Dies fuhr mir durch und durch,« erzählte der Schilling. »Ich wußte, ich sei von gutem Klange, und habe ein echtes Gepräge. Die Leute mußten sich jedenfalls irren, mich konnten sie nicht meinen, aber sie meinten mich doch! ich war derjenige, den sie falsch nannten, ich taugte nichts! – »»Den muß ich im Dunkeln ausgeben!«« sagte der Mann, der mich erhalten hatte, und ich wurde im Dunkeln ausgegeben und am hellen Tage wieder ausgeschimpft, – »falsch, taugt nichts! wir müssen machen, daß wir ihn los werden!«
Der Schilling zitterte zwischen den Fingern der Leute jedesmal, wenn er heimlich fortgeschafft werden und für Landesmünze gelten sollte. – »Ich elender Schilling! was hilft mir mein Silber, mein Werth, mein Gepräge, wenn das Alles keine Geltung hat. In den Augen der Welt ist man eben das, was die Welt von Einem halt! Es muß entsetzlich sein, ein böses Gewissen haben, sich auf bösen Wegen umherschleichen, wenn mir, der ich doch ganz unschuldig bin, schon so zu Muthe sein kann, weil ich blos das Aussehen habe!« Jedes Mal, wenn man mich hervor suchte, schauderte ich vor den Augen, die mich ansehen würden, wußte ich doch, daß ich zurückgestoßen, auf den Tisch hingeworfen werden würde, als sei ich Lug und Trug. Einmal kam ich zu einer alten, armen Frau, sie erhielt mich als Tagelohn für harte Arbeit, allein sie konnte mich nun gar nicht wieder los werden. Niemand wollte mich annehmen, ich war der Frau ein wahres Unglück. »Ich bin wahrhaftig gezwungen, Jemand mit dem Schillinge anzuführen,« sagte sie, »ich kann mit dem besten Willen einen falschen Schilling nicht aufheben: der reiche Bäcker soll ihn haben, er kann es am besten verschmerzen, aber unrecht ist es bei alledem doch, daß ich's thue!«
»Auch das Gewissen der Frau muß ich noch obendrein belasten!« seufzte es in dem Schillinge. »Bin ich denn auf meine älteren Tage wirklich so verändert?«
Die Frau begab sich zu dem reichen Bäcker, aber der kannte gar zu gut die gangbaren Schillinge, als daß er mich hätte behalten sollen, er warf mich der Frau grade in's Gesicht, Brot bekam sie für mich nicht, und ich fühlte mich so recht von Herzen betrübt, daß ich solchergestalt zu Anderer Ungemach ausgemünzt sei, ich, der ich in meinen jungen Tagen freudig und sicher mir meines Werthes und echten Gepräges bewußt gewesen war! So recht traurig wurde ich, wie es ein armer Schilling werden kann, wenn Niemand ihn haben will. Die Frau nahm mich aber wieder mit nach Hause, sie betrachtete mich mit einem herzlichen, freundlichen Blicke und sagte: »Nein, ich will Niemand mit dir anführen! Ich will ein Loch durch dich schlagen, damit Jedermann sehen kann, daß du ein falsches Ding bist – und doch – das fällt mir jetzt so ein, – du bist vielleicht gar ein Glücksschilling, – kommt mir doch der Gedanke so ganz von selbst, daß ich daran glauben muß! Ich werde ein Loch durch den Schilling schlagen und eine Schnur durch das Loch ziehen, und dem Kleinen der Nachbarsfrau den Schilling um den Hals als Glücksschilling hängen.« Und sie schlug ein Loch durch mich; angenehm ist es freilich nicht, wenn ein Loch durch Einen geschlagen wird, allein wenn es in guter Absicht geschieht, laßt sich Vieles ertragen! Eine Schnur wurde auch durchgezogen, ich wurde eine Art Medaillon zum Tragen, man hing mich um den Hals des kleinen Kindes, und das Kind lächelte mich an, küßte mich, und ich ruhte eine ganze Nacht an der warmen, unschuldigen Brüst des Kindes.
Als es Morgen wurde, nahm die Mutter mich zwischen ihre Finger, sah mich an und hatte so ihre eigenen Gedanken dabei, das fühlte ich bald heraus. Sie suchte eine Scheere hervor und schnitt die Schnur durch.
»Glücksschilling!« sagte sie. »Ja, das werden wir jetzt erfahren!« Und sie legte mich in Essig, daß ich ganz grün wurde; darauf kittete sie das Loch zu, rieb mich ein wenig und ging nun in der Dämmerstunde zum Lotteriecollecteur, sich ein Loos zu kaufen, das Glück bringen sollte.
Wie war mir übel zu Muthe! Es zwickte in mir, als müßte ich zerknicken, ich wußte, daß ich falsch genannt und hingeworfen werden würde, und zwar grade vor die Menge von Schillingen und Münzen, die mit Inschrift und Gesicht da lagen, auf welche sie stolz sein konnten, aber ich entging der Schande, beim Collecteur waren viele Menschen, er hatte gar viel zu thun, und ich fuhr klingend in den Kasten unter die andern Münzen; ob später das Loos gewann, weiß ich nicht, das aber weiß ich, daß ich schon am andern Morgen als ein falscher Schilling erkannt, bei Seite gelegt und ausgesandt wurde, um zu betrügen und immer zu betrügen. Es ist nicht auszuhalten, wenn man einen reellen Charakter hat, und den kann ich mir selber nicht absprechen.
Jahr und Tag ging ich in solcher Weise von Hand zu Hand, von Haus zu Haus, immer ausgeschimpft, immer ungern gesehen; Niemand traute mir, und ich traute mir selbst, traute der Welt nicht, das war eine schwere Zeit! Da langte eines Tags ein Reisender, ein Fremder an, bei dem wurde ich angebracht, und er war treuherzig genug, mich für gangbare Münze anzunehmen; aber nun wollte er mich abermals