Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen

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Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen

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strahlten wie zwei helle Sterne. Sie trug einen Blumentopf auf dem Arme, in welchen ein kleiner Tannenbaum eingepflanzt war. »Den Baum will ich hegen und Pflegen, damit er gedeihe und groß werde bis zum Weihnachtsabende, vom Fußboden bis hoch an die Decke reiche und emporschieße mit flammenden Lichtern, goldenen Aepfeln und ausgeschnittenen Figürchen. Die Feuerkiepe wärmt wie ein Ofen; ich hole das Märchenbuch aus der Tasche und lese laut aus demselben vor, daß alle Kinder im Zimmer still, die Figürchen an dem Baume aber lebendig werden, und der kleine Engel von Wachs auf der äußersten Spitze die Flittergoldflügel ausbreitet, herabfliegt vom grünen Sitze und Klein und Groß im Zimmer küßt, ja auch die armen Kinder küßt, die draußen auf dem Flure und auf der Straße stehen und das Weihnachtslied von dem Bethlehemgestirne singen.

      »So! Jetzt kann die Kutsche abfahren,« sagte die Schildwache, »wir haben sie alle Zwölf. Der Beiwagen mag vorfahren!«

      »Laß doch erst die Zwölf zu mir herein!« sprach der wachhabende Capitain, »Einen nach dem Andern! Die Pässe behalte ich hier; sie gelten jeder einen Monat; wenn der verstrichen ist, werde ich das Verhalten auf dem Passe bescheinigen. Herr Januar, belieben Sie näher zu treten.«

      Und Herr Januar trat näher.

      – – Wenn ein Jahr verstrichen ist, werde ich Dir sagen, was die Zwölf Dir, mir und uns Allen gebracht haben. Jetzt weiß ich es nicht, und sie wissen es wohl selbst nicht, – denn es ist eine curiose Zeit, in der wir leben.

      Es lebt noch eine alte Mähr vom › Dornenpfad der Ehre‹, – ›von einem Schützen, welcher zwar zu Ehren und Würden gelangte, aber erst nach langen und vielen Widerwärtigkeiten und lebensgefährlichen Kämpfen.‹ – Wer hat nicht bei dieser Mähr seines eigenen stillen Dornenpfades und seiner vielen ›Widerwärtigkeiten‹ gedacht. Das Märchen und die Wirklichkeit grenzen gar nahe an einander, allein das Märchen hat seine harmonische Auflösung hier auf Erden, die Wirklichkeit weist dieselbe oft über das Erdenleben hinaus, auf Zeit und Ewigkeit deutend.

      Die Weltgeschichte ist eine Laterna magica, die uns in Lichtbildern auf dem dunklen Grunde der Gegenwart zeigt, wie die Wohlthäter der Menschheit, die Märtyrer des Genies, den Dornenpfad der Ehre und des Ruhmes wandern.

      Aus allen Zeiten, aus allen Ländern strahlen diese Glanzbilder uns entgegen, jeder zwar nur auf Augenblicke, doch aber als ein ganzes Leben, ein Lebensalter mit seinen Kämpfen und seinen Siegen. Betrachten wir hier und dort Einzelne dieser Märtyrerschaar, – dieser Schaar, die erst dann zu Ende geht, wenn der Erdball zerstäubt.

      Wir erblicken ein gefülltes Amphitheater. Aus den »Wolken« eines Aristophanes ergießt sich in Strömen der Spott und Humor über die Menge; auf der Schaubühne wird geistig und körperlich der merkwürdigste Mann Athens, er, welcher Schild und Hort des Volkes gegen die dreißig Tyrannen war, Sokrates, lächerlich gemacht, Sokrates, welcher im Getümmel der Schlacht Alcibades und Xenophon rettete, und dessen Geist sich über die Götter des Alterthums emporschwang. Er selbst ist hier zugegen; er hat sich erhoben von der Bank des Zuschauers und ist hervorgetreten, damit die lachenden Athenienser es recht inne werden, wie es sich mit der Aehnlichkeit zwischen ihm und dem Zerrbilde auf der Schaubühne verhält; da steht er vor ihnen, hoch über sie alle erhaben.

      Du saftiger, grüner, giftiger Schierling und nicht du Oelbaum, wirf du hier deinen Schatten über Athen.

      Sieben Städte stritten um die Ehre, Homer's Geburtsort zu sein, das heißt, nachdem er todt war! Betrachten wir ihn bei Lebzeiten! – Er schreitet zu Fuß durch die Städte und spricht seine Verse her, um zu leben; der Gedanke au den morgenden Tag macht sein Haar ergrauen! – Er, der große Seher ist erblindet und schreitet mühsam seinen Weg: der scharfe Dorn zerfetzt den Mantel des Dichterkönigs! – Seine Gesänge leben noch, und durch sie allein leben die Götter und Heroen des Alterthums.

      Ein Bild nach dem andern taucht empor aus Morgenland, aus Abendland, gar weit aus einander in Zeit und Raum und doch immer eine Strecke des Dornenpfades der Ehre, auf welchem die Distel erst dann eine Blume treibt, wenn das Grab geschmückt werden soll.

      Unter Palmen ziehen die Kameele hin, reich beladen mit Indigo und anderen köstlichen Schätzen, von dem Herrscher des Landes demjenigen gesandt, dessen Gesänge die Freude des Volkes, der Ruhm des Landes sind; er, welchen Lüge und Neid in Verbannung schickten, er ist gefunden – die Karawane nähert sich dem Städtchen, in welchem er ein Asyl fand: eine arme Leiche wird durch das Stadtthor hinausgetragen und der Leichenzug gebietet der Karawane Halt. Der Todte ist eben derjenige, den sie sucht: Firdusi – der Dornenpfad der Ehre ist zu Ende gewandert!

      Der Afrikaner mit den plumpen Gesichtszügen, den dicken Lippen, dem schwarzen wolligen Haare, sitzt auf den marmornen Stufen des Palastes in der Hauptstadt Portugals und bettelt – er ist der treuergebene Sclave des Camoez, ohne ihn und ohne die Kupfermünzen, welche diesem die Vorübergehenden zuwerfen, würde sein Herr, der Sänger der Lusiade des Hungers sterben.

      Jetzt erhebt sich ein kostbares Monument auf dem Grabe des Camoez.

      Ein neues Bild!

      Hinter dem eisernen Gitter zeigt sich ein Mann, blaß wie der Tod, mit langem, ungekämmtem Barte. »Ich habe eine Erfindung gemacht, die größte seit Jahrhunderten!« ruft er, »und man hat mich länger denn zwanzig Jahre hier eingesperrt gehalten!« – »Wer ist der Mann?« – »Ein Wahnsinniger!« antwortete der Wärter der Wahnsinnigen. »Auf was ein Mensch doch Alles in der Irre kommen kann! Er bildet sich ein, man könne sich durch Dampf vorwärts bewegen!« – Es ist Salomon de Caus, der Entdecker der Dampfkraft, dessen Ahnung, in unklaren Worten ausgesprochen, von einem Richelieu nicht verstanden wurde; er stirbt in der Irrenanstalt.

      Hier steht Columbus, den einst die Gassenbuben verfolgten und verspotteten, weil er eine neue Welt entdecken wollte – er hat sie entdeckt! Der Jubel hallt ihm aus Menschenbrust und Glockengeläute bei seiner sieggekrönten Rückkehr entgegen, aber die Glocken des Neides übertönten bald jene. Der Weltentdecker, er, welcher das amerikanische Goldland aus dem Meere hob und es seinem Könige schenkte, er wird mit eisernen Ketten belohnt! Er wünscht diese Ketten in seinen Sarg mitzunehmen, sie geben Zeugniß von der Welt und von der Art und Weise, wie die Zeitgenossen Verdienste schätzen.

      Ein Bild nach dem andern drängt sich heran, der Dornenpfad der Ehre und des Ruhmes ist überfüllt:

      Hier in finstrer Nacht sitzt Der, welcher die Mondberge ausmaß, Der, welcher in den unendlichen Raum zu Sternen und Planeten hinausdrang, er, der Mächtige, welcher den Geist der Natur vernahm und es empfand, daß die Erde sich unter seinen Füßen bewege: Galilei. Blind und taub sitzt er, ein Greis, gespießt an den Dorn der Leiden in den Qualen der Verleugnung, kaum noch im Stande den Fuß zu erheben, denselben, mit welchem er einst im Schmerze seiner Seele, als man die Wahrheit verwischte, die Erde stampfend, ausrief: »und sie bewegt sich doch!«

      Hier steht ein Weib mit kindlichem Gemüthe in Begeisterung und Glauben – dem kämpfenden Heere trägt sie das Panier voran, und bringt ihren: Vaterlande Sieg und Rettung. Der Jubel schallt und der Scheiterhaufen flammt: Jeanne d'Arc! die Hexe wird verbrannt. – Ja, ein künftiges Jahrhundert spuckt aus vor der weißen Lilie. Voltaire, der Satyr des gefunden Menschenverstandes, singt von »La pucelle«.

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

      Auf dem Thing zu Wiborg verbrennt der dänische Adel die Gesetze des Königs – sie flammen hoch empor, beleuchten das Zeitalter und den Gesetzgeber, werfen einen Glorienschein in den finstern Gefangenenthurm hinein, wo ergraut, gebeugt, mit seinem Finger eine Ritze in die steinerne Tischplatte hineinarbeitend, er, der ehemalige

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