Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen

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Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen

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und er blickte hinauf in den großen Luftraum; und sie flog mit ihm hoch hinauf auf die schwarze Wolke, und der Sturm sauste und brauste; es war, als sänge er alte Lieder. Sie flogen über Wälder und Seen, über Meer und Länder; unter ihnen sauste der kalte Wind, die Wölfe heulten, der Schnee knisterte; über ihnen flogen die schwarzen, schreienden Krähen; aber hoch oben schien der Mond groß und klar, und dort betrachtete Kay die lange, lange Winternacht; am Tage schlief er zu den Füßen der Schneekönigin.

      Aber wie erging es der kleinen Gerda, als Kay nicht zurückkehrte? Wo war er geblieben? – Niemand wußte es, Niemand konnte Bescheid geben. Die Knaben erzählten nur, daß sie ihn seinen Schlitten an einen andern großen hätten binden sehen, der in die Straße hinein und aus dem Stadtthore gefahren wäre. Niemand wußte, wo er geblieben; viele Thränen flossen, und besonders die kleine Gerda weinte sehr viel und lange; – dann sagte sie, er sei todt; er wäre im Fluß ertrunken, der nahe bei der Schule vorbei floß; o, das waren recht lange, finstere Wintertage!

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

      Nun kam der Frühling mit wärmerem Sonnenschein.

      » Kay ist todt und fort!« sagte die kleine Gerda.

      »Das glaube ich nicht!« antwortete der Sonnenschein.

      »Er ist todt und fort!« sagte sie zu den Schwalben.

      »Das glauben wir nicht!« erwiderten diese, und am Ende glaubte die kleine Gerda auch nicht.

      »Ich will meine neuen, rothen Schuhe anziehen,« sagte sie eines Morgens, »die, welche Kay nie gesehen hat, und dann will ich zum Flusse hinunter gehen und den nach ihm fragen!«

      Und es war noch sehr früh; sie küßte die alte Großmutter, die noch schlief, zog die rothen Schuhe an und ging ganz allein aus dem Stadtthore nach dem Flusse.

      »Ist es wahr, daß Du mir meinen kleinen Spielkameraden genommen hast? Ich will Dir meine rothen Schuhe schenken, wenn Du ihn mir wiedergeben willst!«

      Und es war ihr, als nickten die Wellen ganz sonderbar; da nahm sie ihre rothen Schuhe, die sie am liebsten hatte, und warf sie beide in den Fluß hinein; aber sie fielen dicht an das Ufer, und die kleinen Wellen trugen sie ihr wieder an das Land; es war gerade als wollte der Fluß das Liebste, was sie hatte, nicht, weil er den kleinen Kay nicht hatte; aber sie glaubte nun, daß sie die Schuhe nicht weit genug hinausgeworfen habe; und so kroch sie in ein Boot, welches im Schilfe lag; sie ging bis an das äußerste Ende desselben und warf die Schuhe von da in das Wasser; aber das Boot war nicht festgebunden, und bei der Bewegung, welche sie verursachte, glitt es vom Lande ab; sie bemerkte es und beeilte sich, herauszukommen; doch ehe sie zurückkam, war das Boot über eine Elle vom Lande, und nun trieb es schneller von dannen.

      Da erschrak die kleine Gerda sehr und sing an zu weinen; allein Niemand außer den Sperlingen hörte sie, und die konnten sie nicht an das Land tragen; aber sie flogen längs des Ufers und sangen, gleichsam um sie zu trösten: »Hier sind wir, hier sind wir!« Das Boot trieb mit dem Strome; die kleine Gerda saß ganz still, nur mit Strümpfen an den Füßen; ihre kleinen rothen Schuhe trieben hinter ihr her; aber sie konnten das Boot nicht erreichen; das hatte schnellere Fahrt.

      Hübsch war es an beiden Ufern; schöne Blumen, alte Bäume und Abhänge mit Schafen und Kühen; aber nicht ein Mensch war zu erblicken.

      »Vielleicht trägt mich der Fluß zu dem kleinen Kay hin,« dachte Gerda, und da wurde sie heiterer, erhob sich und betrachtete viele Stunden die grünen, schönen Ufer; dann gelangte sie zu einem großen Kirschgarten, in welchem ein kleines Haus mit sonderbaren, rothen und blauen Fenstern war übrigens hatte es ein Strohdach, und draußen waren zwei hölzerne Soldaten, die vor der Vorbeisegelnden das Gewehr schulterten.

      Gerda rief nach ihnen; sie glaubte, daß sie lebendig wären; aber sie antworteten natürlich nicht; sie kam ihnen ganz nahe; der Fluß trieb das Boot gerade auf das Land zu.

      Gerda rief noch lauter, und da kam eine alte, alte Frau aus dem Hause, die sich auf einen Krückstock stützte; sie hatte einen großen Sonnenhut auf, und der war mit den schönsten Blumen bemalt.

      »Du armes, kleines Kind!« sagte die alte Frau; »wie bist Du doch auf den großen, reißenden Strom gekommen, und weit in die Welt hinausgetrieben!« Und dann ging die alte Frau in das Wasser hinein, erfaßte mit ihrem Krückstucke das Boot, zog es an das Land und hob die kleine Gerda heraus.

      Und Gerda war froh, wieder auf das Trockene zu gelangen, obgleich sie sich vor der fremden alten Frau ein wenig fürchtete.

      »Komm doch und erzähle mir, wer Du bist, und wie Du hierher kommst!« sagte sie.

      Und Gerda erzählte ihr Alles; und die Alte schüttelte mit dem Kopfe und sagte: »Hm! Hm!« Und als ihr Gerda Alles gesagt und sie gefragt hatte, ob sie nicht den kleinen Kay gesehen, habe, sagte die Frau, daß er nicht vorbeigekommen sei; aber er komme wohl noch; sie solle nur nicht betrübt sein, sondern ihre Kirschen kosten und ihre Blumen betrachten; die wären schöner, als irgend ein Bilderbuch; eine jede könne eine Geschichte erzählen. Dann nahm sie Gerda bei der Hand, führte sie in das kleine Haus hinein und schloß die Thüre zu.

      Die Fenster lagen sehr hoch, und die Scheiben waren roth, blau und gelb; das Tageslicht schien mit allen Farben gar sonderbar herein; auf dem Tische standen die schönsten Kirschen, und Gerda aß davon, so viel sie wollte, denn das war ihr erlaubt. Wahrend sie aß, kämmte die alte Frau ihr das Haar mit einem goldenen Kamme, und das Haar ringelte sich und glänzte herrlich gelb rings um das kleine, freundliche Antlitz, welches so rund war und wie eine Rose aussah.

      »Nach einem so lieben, kleinen Mädchen habe ich mich schon lange gesehnt,« sagte die Alte. »Nun wirst Du sehen, wie gut wir mit einander leben werden!« Und so wie sie der kleinen Gerda Haar kämmte, vergaß Gerda mehr und mehr ihren Pflegebruder Kay; denn die alte Frau konnte zaubern; aber eine böse Zauberin war sie nicht; sie zauberte nur ein Wenig zu ihrem Vergnügen und wollte gern die kleine Gerda behalten. Deshalb ging sie in den Garten, streckte ihren Krückstock gegen alle Rosensträuche aus, und wie schön sie auch blühten, so sanken sie doch alle in die schwarze Erde hinunter, und man konnte nicht sehen, wo sie gestanden hatten. Die Alte fürchtete, wenn Gerda die Rosen erblickte, möchte sie an ihre eigenen denken, sich dann des kleinen Kay erinnern und davonlaufen.

      Nun führte sie Gerda hinaus in den Blumengarten. Was war da für ein Duft und eine Herrlichkeit! Alle nur denkbaren Blumen, und zwar für jede Jahreszeit, standen hier im prächtigsten Flor; kein Bilderbuch, konnte bunter und schöner sein. Gerda sprang vor Freuden Hochauf und spielte, bis die Sonne hinter den hohen Kirschbäumen unterging; da bekam sie ein schönes Bett mit rothen Seidenkissen, die waren mit Veilchen gestopft; und sie schlief und träumte da so herrlich, wie nur eine Königin an ihrem Hochzeitstage.

      Am nächsten Tage konnte sie wieder mit den Blumen im warmen Sonnenscheine spielen, und so verflossen viele Tage. Gerda kannte jede Blume; aber wie viele deren auch waren, so war es ihr doch, als ob eine fehlte, allein welche, das wußte sie nicht. Da sitzt sie eines Tages und betrachtet den Sonnenhut der alten Frau mit den gemalten Blumen, und gerade die schönste war eine Rose. Die Alte hatte vergessen, diese vom Hute wegzuwischen, als sie die andern in die Erde zauberte. Aber so ist es, wenn man die Gedanken nicht beisammen hat! »Was! sind hier keine Rosen?« sagte Gerda und sprang zwischen die Beete, suchte und suchte; ach, da war keine zu finden. Da setzte sie sich hin und weinte, aber ihre Thränen fielen gerade auf eine

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