Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen
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Читать онлайн книгу Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen страница 133
»O, wie bin ich aufgehalten worden!« sagte das kleine Mädchen. »Ich wollte ja den kleinen Kay suchen! – Wißt Ihr nicht, wo er ist?« fragte sie die Rosen. »Glaubt Ihr, er sei todt?«
»Todt ist er nicht,« antworteten die Rosen. »Wir sind ja in der Erde gewesen; dort sind alle Todten, aber Kay war nicht da.«
»Ich danke Euch!« sagte die kleine Gerda und ging zu den andern Blumen hin, sah in deren Kelch hinein und fragte: »Wißt Ihr nicht, wo der kleine Kay ist?«
Aber jede Blume stand in der Sonne und träumte ihr eigenes Märchen oder Geschichtchen; davon hörte Gerda so viele, viele; aber keine wußte etwas von Kay.
Und was sagte denn die Feuerlilie?
»Hörst Du die Trommel: bum! dum! Es sind nur zwei Töne; immer: bum! bum! Höre der Frauen Trauergesang, höre den Ruf der Priester. – In ihrem langen rothen Mantel steht das Hinduweib auf dem Scheiterhaufen; die Flammen lodern um sie und ihren todten Mann empor; aber das Hinduweib denkt an den Lebenden hier im Kreise, an ihn, dessen Augen heißer als die Flammen brennen, an ihn, dessen Augenfeuer ihr Herz stärker berührt, als die Flammen, welche bald ihren Körper zu Asche verbrennen. Kann die Flamme des Herzens in der Flamme des Scheiterhaufens ersterben?«
»Das verstehe ich durchaus nicht,« sagte die kleine Gerda.
»Das ist mein Märchen!« sagte die Feuerlilie.
Was sagt die Winde?
»Ueber den schmalen Fußweg herüber hängt eine alte Ritterburg; das dichte Immergrün wächst um die morschen, rothen Mauern empor, Blatt an Blatt, um den Altan herum, und da steht ein schönes Mädchen; sie beugt sich über das Geländer hinaus und sieht den Weg entlang. Keine Rose hängt frischer an den Zweigen, als sie; keine Apfelblüthe, wenn der Wind sie dem Baume entführt, schwebt leichter dahin, als sie; wie rauschte das prächtige Seidengewand! »»Kommt er noch nicht?««
»Ist es Kay, den Du meinst?« fragte die kleine Gerda.
»Ich spreche nur von meinem Märchen, meinem Traume,« erwiderte die Winde.
Was sagt die kleine Schneeblume?
»Zwischen den Bäumen hängt an Seilen das lange Brett; das ist eine Schaukel; zwei niedliche, kleine Mädchen – die Kleider sind weiß wie der Schnee; lange grüne Seidenbänder flatterten von den Hüten – sitzen darauf und schaukeln sich; der Bruder, welcher größer ist, als sie, steht in der Schaukel; er hat den Arm um das Seil geschlungen, um sich zu halten, denn in der einen Hand hat er eine kleine Schale, in der andern eine Thonpfeife; er bläst Seifenblasen; die Schaukel stiegt, und die Blasen steigen mit schönen, wechselnden Farben; die letzte hängt noch am Pfeifenstiele und wiegt sich im Winde. Die Schaukel schwebt; der kleine schwarze Hund, leicht wie die Blasen, erhebt sich auf den Hinterfüßen und will mit in die Schaukel; sie stiegt; der Hund fällt, bellt, und ist böse; er wird geneckt, die Blasen platzen. – Ein schaukelndes Brett, ein zerspringendes Schaumbild ist mein Gesang!«
»Es ist möglich, daß es hübsch ist, was Du erzählst; aber Du sagst es so traurig und erwähnst den kleinen Kay nicht.«
Was sagen die Hyacinthen?
»Es waren drei schöne Schwestern, durchsichtig und fein; der Einen Kleid war roth, der Andern Kleid blau, der Dritten Kleid weiß; Hand in Hand tanzten sie beim stillen See im hellen Mondscheine. Es waren keine Elfen, es waren Menschenkinder. Dort duftete es so süß, und die Mädchen verschwanden im Walde; der Duft wurde stärker; drei Särge, dann lagen die schönen Mädchen, glitten von des Waldes Dickicht über den See dahin; die Johanniswürmchen flogen leuchtend rings umher, wie kleine schwebende Lichter. Schlafen die tanzenden Mädchen oder sind sie todt? – Der Blumenduft sagt, sie sind Leichen; die Abendglocke läutet den Grabgesang!«
»Du machst mich ganz betrübt,« sagte die kleine Gerda. »Du duftest so stark; ich muß an die todten Mädchen denken! Ach, ist denn der kleine Kay wirklich todt? Die Rosen sind unten in der Erde gewesen und sagen: »Nein!«
»Kling, Klang!« läuteten die Hyacinthenglocken. »Wir läuten nicht für den kleinen Kay, wir kennen ihn nicht; wir singen nur unser Lied, das einzige, welches wir wissen.«
Und Gerda ging zur Butterblume, die aus den glänzenden, grünen Blättern hervorschien.
»Du bist eine kleine, helle Sonne!« sagte Gerda. Sage mir, weißt Du, wo ich meinen Gespielen finden kann?«
Und die Butterblume glänzte so schön und sah wieder auf Gerda. Welches Lied konnte wohl die Butterblume singen!« Es handelte auch nicht von Kay.
»In einem kleinen Hofe schien die liebe Gottessonne am ersten Frühlingstage so warm; die Strahlen glitten an des Nachbarhauses weißen Wänden herab; dicht dabei wuchs die erste gelbe Blume und glänzte golden in den warmen Sonnenstrahlen; die alte Großmutter saß draußen in ihrem Stuhle; die Enkelin, ein armes, schönes Dienstmädchen, kehrte von einem kurzen Besuche heim: sie küßte die Großmutter; es war Gold, Herzensgold in dem gesegneten Kusse. Gold im Munde, Gold im Grunde, Gold in der Morgenstunde! Sieh, das ist meine kleine Geschichte!« sagte die Butterblume.
»Meine arme, alte Großmutter!« seufzte Gerda. »Ja, sie sehnt sich gewiß nach mir und grämt sich um mich, ebenso wie sie es um den kleinen Kay that. Aber ich komme bald wieder nach Hause, und dann bringe ich Kay mit. – Es nützt nichts, daß ich die Blumen frage, die wissen nur ihr eigenes Lied; sie geben mir keinen Bescheid!« Und dann band sie ihr kleines Kleid auf, damit sie rascher laufen könne; aber die Pfingstlilie schlug an ihr Bein, indem sie darüber hinsprang; da blieb sie stehen, betrachtete die lange gelbe Blume und fragte: »Weißt Du vielleicht etwas?« Und sie bog sich ganz zur Pfingstlilie hinab; und was sagte die?
»Ich kann mich selbst erblicken! Ich kann mich selbst sehen!« sagte die Pfingstlilie, »O, o, wie ich rieche! – Oben in dem kleinen Erkerzimmer steht, halb angekleidet, eine kleine Tänzerin; sie steht bald auf einem Beine, bald auf beiden; sie tritt die ganze Welt mit Füßen; sie ist nichts als Augentäuschung. Sie gießt Wasser aus dem Theetopfe auf ein Stück Zeug aus, welches sie halt; es ist der Schnürleib; – Reinlichkeit ist eine schöne Sache; das weiße Kleid hängt am Haken; das ist auch im Theetopf gewaschen und auf dem Dache getrocknet; sie zieht es an und schlägt das safrangelbe Tuch um den Hals; nun scheint das Kleid noch weißer. Das Bein ausgestreckt! Sieh, wie sie auf einem Stiele prangt! Ich kann mich selbst erblicken! Ich kann mich selbst sehen!«
»Darum kümmere ich mich gar nicht!« sagte Gerda. »Das brauchst Du mir nicht zu erzählen;« und dann lief sie bis an das Ende des Gartens.
Die Thüre war verschlossen, aber sie drückte auf die verrostete Klinke, sodaß diese losbrach; die Thüre ging auf und die kleine Gerda sprang mit nackten Füßen in die weite Welt hinaus. Sie blickte dreimal zurück, aber Niemand war da, der sie verfolgte; zuletzt konnte sie nicht mehr laufen und setzte sich auf einen großen Stein; und als sie sich umsah, war es mit dem Sommer vorbei; es war Spätherbst; das konnte man in dem schönen Garten gar nicht bemerken, wo immer Sonnenschein und Blumen aller Jahreszeiten waren.
»Gott, wie habe ich mich verspätet!« sagte die kleine Gerda. »Es ist ja Herbst geworden! Da darf ich nicht ruhen!« Und sie erhob sich, um zu gehen.
O, wie waren ihre kleinen Füße so wund und müde! Rings umher sah es kalt und rauh aus; die langen Weidenblätter waren ganz gelb, und der Thau tröpfelte