Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen

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Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen

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in den Garten hinein, in die große Allee, wo ein Blatt nach dem andern abfiel: und als auf dem Schlosse die Lichter ausgelöscht wurden, das eine nach dem andern, führte die Krähe die kleine Gerda zu einer Hinterthür, die nur angelehnt war.

      O, wie Gerda's Herz vor Angst und Sehnsucht pochte! Es war als ob sie etwas Böses thun wollte; und sie wollte ja doch nur wissen, ob es der kleine Kay sei. Ja, er mußte es sein; sie gedachte so lebendig seiner klugen Augen, seines langen Haares; sie konnte sehen, wie er lächelte, wie damals, als sie daheim unter den Rosen saßen. Er würde sicher froh sein, sie zu erblicken; zu hören, welchen langen Weg sie um seinetwillen zurückgelegt; zu wissen, wie betrübt sie Alle daheim gewesen, als er nicht wiedergekommen. O, das war eine Furcht und eine Freude!

      Nun waren sie auf der Treppe; da brannte eine kleine Lampe auf dem Schranke; mitten auf dem Fußboden stand die zahme Krähe und wendete den Kopf nach allen Seiten und betrachtete Gerda, die sich verneigte, wie die Großmutter sie gelehrt hatte.

      »Mein Verlobter hat mir so viel Gutes von Ihnen gesagt, mein kleines Fräulein,« sagte die zahme Krähe; »Ihr Lebenslauf, wie man es nennt, ist auch sehr rührend. – Wollen Sie die Lampe nehmen, dann werde ich vorangehen. Wir gehen hier den geraden Weg, denn da begegnen wir Niemand.«

      »Es ist mir, als käme Jemand hinter uns her,« sagte Gerda; und es sauste an ihr vorbei; es war, wie Schatten an der Wand: Pferde mit fliegenden Mähnen und dünnen Beinen, Jägerburschen, Herren und Damen zu Pferde.

      »Das sind nur Träume« sagte die Krähe; »die kommen und holen der hohen Herrschaften Gedanken zur Jagd ab. Das ist recht gut, dann können Sie sie besser im Bette betrachten. Aber ich hoffe, wenn Sie zu Ehren und Würden gelangen, werden Sie ein dankbares Herz zeigen.«

      »Das versteht sich von selbst!« sagte die Krähe vom Walde.

      Nun kamen sie in den ersten Saal; der war von rosenrothem Atlas mit künstlichen Blumen an den Wänden hinauf, hier sausten an ihnen schon die Träume vorbei; aber sie fuhren so schnell, daß Gerda die hohen Herrschaften nicht zu sehen bekam. Ein Saal war immer prächtiger als der andere; ja, man konnte wohl verdutzt werden. Nun waren sie im Schlafgemache. Hier glich die Decke einer großen Palme mit Blättern von kostbarem Glas, und mitten auf dem Fußboden hingen an einem dicken Stengel von Gold zwei Betten, von denen jedes wie eine Lilie aussah; die eine war weiß, in der lag die Prinzessin; die andere war roth, und in dieser sollte Gerda den kleinen Kay suchen. Sie bog eins der rothen Blätter zur Seite, da sah sie einen braunen Nacken. – O, das war Kay! – Sie rief laut seinen Namen, hielt die Lampe nach ihm hin – die Träume sausten zu Pferde wieder in die Stube herein – er erwachte, drehte den Kopf um und – es war nicht der kleine Kay.

      Der Prinz glich ihm nur im Nacken; aber jung und hübsch war er. Und aus dem weißen Lilienblatte blinzelte die Prinzessin hervor und fragte, wer da wäre. Da weinte die kleine Gerda und erzählte ihre ganze Geschichte und Alles, was die Krähen für sie gethan hatten.

      »Du armes Kind!« sagte der Prinz und die Prinzessin; und sie lobten die Krähen und sagten, daß sie nicht böse auf sie seien; aber sie sollten es ja nicht öfter thun. Uebrigens sollten sie eine Belohnung erhalten.

      »Wollt Ihr frei fliegen?« sagte die Prinzessin. »Oder wollt Ihr feste Anstellung als Hofkrähen haben, mit Allem, was in der Küche abfällt?«

      Und beide Krähen verneigten sich und baten um feste Anstellung, denn sie gedachten des Alters und sagten: »Es wäre schön, etwas für die alten Tage zu haben,« wie sie es nannten.

      Und der Prinz stand aus seinem Bette aus und ließ Gerda darin schlafen, mehr konnte er nicht thun. Sie faltete ihre kleinen Hände und dachte: »Wie gut sind nicht die Menschen und die Thiere!« – Dann schloß sie ihre Augen und schlief sanft. Alle Träume kamen wieder herein geflogen, sie sahen wie Engel Gottes aus und zogen einen kleinen Schlitten, auf welchem Kay saß und nickte; aber das Ganze war nur ein Traum, und deshalb war es auch wieder fort, sobald sie erwachte.

      Am folgenden Tage wurde sie vom Kopfe bis zum Fuße in Seide und Sammt gekleidet; es wurde ihr angeboten, auf dem Schlosse zu bleiben und gute Tage zu genießen; aber sie bat nur um einen kleinen Wagen mit einem Pferde und um ein Paar Stiefelchen; dann wollte sie wieder in die weite Welt hinausfahren und Kay suchen.

      Und sie erhielt sowohl Stiefelchen als Muff; sie wurde niedlich gekleidet; als sie fort wollte, hielt vor der Thür eine neue Kutsche aus reinem Golde; des Prinzen und der Prinzessin Wappen glänzte an derselben wie ein Stern; Kutscher, Diener und Vorreiter, – denn es waren auch Vorreiter da, – saßen mit Goldkronen auf dem Kopfe zu Pferde. Der Prinz und die Prinzessin halfen ihr selbst in den Wagen und wünschten ihr alles Glück. Die Waldkrähe, welche nun verheirathet war, begleitete sie die ersten drei Meilen; sie saß ihr zur Seite, denn sie konnte nicht vertragen, rückwärts zu fahren; die andere Krähe stand in der Thüre und schlug mit den Flügeln; sie kam nicht mit, denn sie litt an Kopfschmerzen, seitdem sie eine feste Anstellung und zu viel zu essen erhalten hatte. Inwendig war die Kutsche mit Zuckerbrezeln gefüttert, und im Sitze waren Früchte und Pfeffernüsse.

      »Lebewohl! Lebewohl!« rief der Prinz und die Prinzessin; und die kleine Gerda weinte, und die Krähe weinte. – So ging es die ersten drei Meilen; da sagte auch die Krähe Lebewohl, und das war der schwerste Abschied; sie flog auf einen Baum und schlug mit ihren schwarzen Flügeln, so lange sie den Wagen, welcher wie der helle Sonnenschein glänzte, erblicken konnte.

      Sie fuhren durch den dunkeln Wald, aber die Kutsche leuchtete gleich einer Fackel; das stach den Räubern in die Augen, das konnten sie nicht ertragen.

      »Das ist Gold, das ist Gold!« riefen sie, stürzten hervor, ergriffen die Pferde, schlugen die kleinen Jockeys, den Kutscher und die Diener todt und zogen dann die kleine Gerda aus dem Wagen.

      »Sie ist fett, sie ist niedlich, sie ist mit Nußkernen gefüttert!« sagte das alte Räuberweib, das einen langen struppigen Bart und Augenbrauen hatte, die ihr über die Augen herabhingen.

      »Sie ist so gut wie ein kleines fettes Lamm; wie soll die schmecken!« Und dann zog sie ihr blankes Messer heraus, das glänzte, daß es gräßlich war.

      »Nu!« sagte das Weib zu gleicher Zeit; sie wurde von der eigenen Tochter, die auf ihrem Rücken hing, gar wild und unartig, daß es eine Lust war, in das Ohr gebissen. »Du häßlicher Balg!« sagte die Mutter und hatte nicht Zeit, Gerda zu schlachten.

      »Sie soll mit mir spielen!« sagte das kleine Räubermädchen. »Sie soll mir ihren Muff, ihr hübsches Kleid geben, bei mir in meinem Bette schlafen!« Und dann biß sie wieder, daß das Räuberweib in die Höhe sprang und sich rings herum drehte. Und alle Räuber lachten und sagten: »Sieh, wie es mit seinem Kalbe tanzt!«

      »Ich will in den Wagen hinein,« sagte das kleine Räubermädchen. Sie mußte und wollte ihren Willen haben, denn sie war ganz verzogen und sehr hartnäckig! sie und Gerda saßen drinnen, und fuhren über Stock und Stein tiefer in den Wald hinein. Das kleine Räubermädchen war so groß wie Gerda, aber stärker, breitschultriger und von dunkler Haut; die Augen waren schwarz; sie sahen fast traurig aus. Sie faßte die kleine Gerda um den Leib und sagte: »Sie sollen Dich nicht schlachten, so lange ich Dir nicht böse werde. Du bist wohl eine Prinzessin?«

      »Nein.« sagte Gerda und erzählte Alles, was sie erlebt hatte, und wie sehr sie den kleinen Kay lieb hätte.

      Das Räubermädchen betrachtete sie ganz ernsthaft, nickte ein wenig mit dem Kopfe und sagte: »Sie sollen Dich nicht schlachten, selbst wenn ich Dir

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