Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen
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Читать онлайн книгу Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke - Hans Christian Andersen страница 21
»Welches Thier war bei mir?« fragte die wandernde Seele; der Engel des Todes deutete auf eine stolze Gestalt vor sich hin. Um das Haupt derselben zeigte sich eine bunte Glorie mit glänzenden Farben, aber am Herzen des Mannes verbargen sich die Füße des Thieres, Füße des Pfaues; die Glorie war nur des Vogels bunter Schweif.
Als sie fortwanderten, schrieen große Vögel in widerlicher Weise von den Zweigen der Bäume; mit vernehmlichen Menschenstimmen schrieen sie: »Du Wanderer des Todes, erinnerst Du Dich meiner?« – Das waren die bösen Gedanken und Begierden aus seinen Lebenstagen, welche ihm zuriefen: »Erinnerst Du Dich meiner?« –
Und einen Augenblick schauderte die Seele, denn sie erkannte die Stimmen, die bösen Gedanken und Begierden, welche gleich Gerichtszeugen auftraten.
»In unserm Fleische, in unserer bösen Natur, wohnt nichts Gutes!« sagte die Seele, »aber die Gedanken bei mir wurden nicht zu Thaten, die Welt hat nicht die böse Frucht gesehen!« Und er beeilte sich noch mehr, um bald dem häßlichen Geschrei zu entfliehen: aber die großen, schwarzen Vögel umkreisten ihn und schrieen, als sollte es aller Welt kundgethan sein; er sprang wie die gejagte Hindin, und bei jedem Schritte stieß er den Fuß gegen scharfe Kieselsteine, welche in seine Füße schnitten, daß es schmerzte. »Wo kommen diese scharfen Steine her? Wie welkes Laub liegen sie über der Erde!«
»Das ist jedes unvorsichtige Wort, welches Du fallen ließest, und das Deines Nächsten Herz viel tiefer verwundete als die Steine jetzt Deinen Fuß ritzen!«
»Daran dachte ich nicht!« sagte die Seele.
»Richtet nicht, damit man Euch nicht wieder richte!« klang es durch die Luft.
»Wir Alle haben gesündigt!« sagte die Seele und erhob sich wieder. »Ich habe das Gesetz und das Evangelium gehalten, ich habe gethan, was ich thun konnte, ich bin nicht wie die Andern!«
Sie standen an der Pforte des Himmels, und der Engel, der Wächter des Einganges, fragte: »Wer bist Du? Nenne mir Deinen Glauben, und zeige mir ihn aus Deinen Thaten!«
»Ich habe alle Gebote streng erfüllt! Ich habe mich gedemüthigt vor den Augen der Welt, ich habe das Böse und die Bösen gehaßt und verfolgt.«
»Du bist also Einer von den Bekennern Mahomed's?« fragte der Engel.
»Ich? – Niemals!«
»Derjenige, welcher zum Schwerte greift, soll durchs Schwert umkommen,« sagt der Sohn. »Seinen Glauben hast Du nicht. Bist Du vielleicht ein Sohn Israels, der mit Moses sagt: Auge um Auge, Zahn um Zahn, ein Sohn Israels, dessen eifriger Gott nur Deines Volkes Gott ist?«
»Ich bin ein Christ!«
»Das erkenne ich nicht in Deinem Glauben und aus Deinen Thaten. Christi Lehre ist Versöhnung, Liebe und Gnade!«
»Gnade!« klang es durch den unendlichen Raum, und die Pforte des Himmels öffnete sich, und die Seele schwebte der offenen Herrlichkeit entgegen.
Aber das ausströmende Licht war so blendend, so durchdringend, daß die Seele wie vor einem gezogenen Schwerte zurückwich; und die Töne erklangen so weich und ergreifend, wie keine irdische Zunge es auszusprechen vermag. Die Seele bebte und neigte sich tiefer und tiefer; aber die himmlische Klarheit drang in sie hinein, und da fühlte und vernahm sie, was sie früher nie so gefühlt hatte: die Last ihres Hochmuths, ihrer Härte und Sünde. – Es wurde klar in ihrem Innern.
»Was ich Gutes auf der Welt that, das that ich, weil ich nicht anders konnte; aber das Böse – das war aus mir selbst!«
Und die Seele fühlte sich geblendet von dem reinen himmlischen Lichte, sie sank ohnmächtig, so schien es, zusammen, tief, in sich selbst gehüllt, niedergedrückt, unreif für das Himmelreich: in dem Gedanken an den strengen, den gerechten Gott, wagte sie nicht »Gnade« zu stammeln.
Alsdann aber war die Gnade da, die nicht erwartete Gnade!
Gottes Himmel war in dem unendlichen Räume, Gottes Liebe durchströmte ihn in unerschöpflicher Fülle!
»Heilig, herrlich, liebreich und ewig werde Du, Menschenseele!« so klang und sang es. Und Alle, Alle werden wir am letzten Tage unseres Erdenlebens, wie die Seele hier, zurückbeben vor dem Glanze und der Herrlichkeit des Himmelreichs, wir werden uns tief beugen, werden demüthig niedersinken, und doch von seiner Liebe getragen, von seiner Gnade aufrecht erhalten sein; schwebend in neuen Bahnen, geläutert, edler und besser, uns mehr und mehr nähernd der Herrlichkeit des Lichtes, und durch ihn gestärkt, vermögen wir aufzusteigen in die ewige Klarheit.
Eine gute Laune.
Von meinem Vater habe ich das beste Erbtheil erhalten, nämlich eine gute Laune. Und wer war mein Vater? Ja, das geht den Humor nichts an! Er war lebhaft und wohlbeleibt, fett und rund, sein Aeußeres und Inneres, stand mit seinem Amte gänzlich im Widerspruche. Und was war er seines Amtes und seiner Stellung nach in der bürgerlichen Gesellschaft? Ja, wenn es im Anfange eines Buches gleich niedergeschrieben und gedruckt würde, so würden Mehrere, wenn sie es lesen, das Buch zur Seite legen und sagen, es sieht mir so unheimlich aus, ich mag nichts von der Art. Und doch war mein Vater weder Schinder noch Scharfrichter; im Gegentheile, sein Amt stellte ihn an die Spitze der rühmlichsten Männer der Stadt, und er war dort ganz in seinem Rechte, ganz an seinem Platze; er mußte der Vorderste sein, vor dem Bischof, vor den Prinzen von Geblüt – und er war der Vorderste – er war Leichenwagenkutscher.
Nun ist's heraus! und das kann ich bekennen, daß, wenn man meinen Vater dort hoch oben auf dem Omnibus des Todes sitzen sah, bekleidet mit seinem langen, weiten, schwarzen Mantel, mit dem schwarzgarnirten, dreieckigen Hute auf dem Kopfe, und dazu mit seinem Gesichte, welches leibhaftig aussah wie man die Sonne zeichnet, rund und lachend, dann konnte man nicht an Trauer und Grab denken; das Gesicht sagte: »es macht nichts, macht nichts, – es wird viel besser, als man glaubt!«
Seht, von ihm habe ich meine gute Laune und die Gewohnheit angenommen, gar oft nach dem Kirchhofe zu gehen: und das ist sehr amüsant, wenn man nur mit gutem Humor dorthin kommt, – und dann halte ich das Intelligenzblatt, so wie auch er es that.
Ich bin nicht jung, – ich habe weder Weib, Kinder noch eine Bibliothek, aber, wie gesagt, ich halte das Intelligenzblatt, das ist mir genug, es ist mir das liebste Blatt, und war es meinem Vater auch; es hat seinen großen Nutzen, und bringt Alles, was ein Mensch zu wissen nöthig hat: wer in den Kirchen, und wer in den neuen Büchern predigt; und dann die viele Wohlthätigkeit, und die vielen unschuldigen, harmlosen Verse, die es enthält! Ehen, welche gesucht werden und Stelldichein, auf welche man sich einlaßt! Alles einfach und natürlich! Man kann wahrlich sehr gut und glücklich leben und sich begraben lassen, wenn man das Intelligenzblatt hält – schließlich hat man am Ende seines Lebens so viel Papier, daß man weich darauf liegen kann, wenn man es nicht liebt auf Hobelspänen zu ruhen.
Das Intelligenzblatt und der Kirchhof waren immer meine, den Geist am meisten weckenden, Spaziergänge, meine beliebtesten Badeanstalten für den guten Humor.
Jeder kann nun für sich das Intelligenzblatt durchwandern: aber geht mit mir nach dem Kirchhofe; laßt uns dorthin gehen, wenn die Sonne scheint, und die Bäume grün sind; laßt uns zwischen den Gräbern wandeln. Jedes derselben ist ein geschlossenes Buch mit dem Rücken nach oben, man kann den Titel lesen, welcher besagt, was das Buch enthält, und doch nichts sagt; aber ich weiß Bescheid,