Am anderen Ende der Sehnsucht. Stefan G Rohr

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Am anderen Ende der Sehnsucht - Stefan G Rohr

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ging in den nächsten Raum. Es war ein kleines Wohnzimmer und sein Blick fiel sofort auf die doppelte Türe zu dem kleinen Balkon, der natürlich so lag, dass der Blick aus dem Schlafzimmer zuvor nun direkt von hier im Freien zu genießen war. So zögerte er nicht lange, öffnete die Balkontüre und trat hinaus. Er stellte sich an das Geländer, legte die Arme stützend auf dieses und ließ erneut seine Blicke über das vor ihm liegende Panorama gleiten. Nach einigen Minuten des stillen Genießens ging er zurück in seine Wohnung, betrat die winzige Küche, die eigentlich eher als Kochnische hätte bezeichnet werden müssen, füllte den Tank seiner Kaffeemaschine und hörte dem Mahlwerk zu, wie es die Bohnen zu Pulver rieb. Mit der Tasse in der Hand ging er zurück auf den Balkon, setzte sich auf einen der beiden bereits etwas klapprig und rostig gewordenen Eisenstühle und zündete sich eine Zigarette an. Dann ließ er erneut seine Blicke schweifen. Und was er sah und gerade empfand, hatte für ihn für einen kleinen Moment eine ganz erstaunliche Leichtigkeit.

      Nachdem er sich noch eine zweite Zigarette angesteckt und geraucht hatte, stand er auf und ging ins Bad. Auch dieses war eher winzig, doch es reichte ihm vollkommen. Nach seiner Morgentoilette hatte er sich angezogen und machte sich auf, das kleine Städtchen, das fußläufig nur einige Minuten von hier entfernt lag, ein erstes Mal zu erkunden. So verließ er seine Wohnung auch schon bald, und ging die Treppe hinunter in die kleine Lobby des Hauses, in der die Vermieterin ein paar Tischchen und plüschige Sessel gestellt hatte, damit sich ihre Hausgäste hier ein wenig zusammenfinden können. Doch es war noch niemand von den anderen zugegen.

      Als er unten angekommen war, öffnete sich die Tür zur Wohnung der Eigentümerin. Sie wird ihn sicher gehört haben, denn die hölzernen Treppenstufen knarrten vernehmbar, was auch der schwere Teppichläufer, der sich von oben nach unten über die Treppe zog, nicht verhindern konnte. Mit einem Küchenhandtuch in der Hand und mit einer Schürze bekleidet stand die ältere Frau in ihrer Türe und lächelte ihn mit einer liebevollen Freundlichkeit an.

      „Guten Morgen, Herr Renatus!“ trällerte sie ihm entgegen. „Haben Sie heute gut geschlafen?“

      Leon Renatus nickte mit ebensolcher Freundlichkeit zurück: „Tief und süß, liebe Frau Theissen. Und geweckt vom Zwitschern der Vögel.“

      „Oh!“ ein Hauch von Sorge war nun von der Dame zu vernehmen. „Ich hoffe dann innständig, dass Sie sich nicht allzu sehr daran stören mögen. Denn ich vermag keinen Einfluss darauf zu nehmen, geschweige denn den Vögelchen ihren Gesang zu verbieten.“

      Leon Renatus musste lachen. „Liebe Frau Theissen. Wie könnte ich mich an so etwas Schönem bloß stören? Im Gegenteil. Wie grässlich vernimmt sich ein profaner Wecker dagegen? Ich bestehe vielmehr darauf, dass es die Vögle nicht unterlassen mögen, mich allmorgendlich auf diese Weise aus meinen Träumen zu holen.“

      Diese Antwort schien der älteren Frau zu gefallen. „Dann bin ich beruhigt, lieber Herr Renatus.“ Und sie trat einen kurzen Schritt näher an ihren Gesprächspartner heran. „Wir haben mitunter auch einmal ein Nachtigallen-Pärchen zu Gast. Wenn sie also Glück haben …“

      Leon machte ein nachdenkliches Gesicht: „Nun, da werde ich mich freuen. Jedoch habe ich Zweifel, eine Nachtigall von einem gewöhnlichen Spatzen unterscheiden zu können.“

      Frau Theissen lachte mütterlich: „Lieber Herr Renatus!“ rief sie nun freudig. „Sie werden bestimmt von ganz allein merken, wann es kein Spatz ist, der für Sie singt. Die Nachtigall ist ganz wunderbar und auch Sie werden sie sofort erkennen, selbst wenn der Gesang Ihnen bis dahin noch nie zu Ohren gekommen ist.“ Dann machte diese freundliche Dame ein nachdenkliches Gesicht. „Und wenn es dazu kommen sollte, dass Ihnen ein Buchfink ein Ständchen trällert, dann öffnen Sie Ihr Fenster umso mehr. Denn es heißt: Ein singender Fink bringt Ihnen eine Lebensbotschaft, Veränderungen stehen an, und man ist gut beraten, aufmerksam zu lauschen.“

      Leon lächelte seine Gesprächspartnerin höflich an. „Wo sind die anderen Bewohner? Schlafen die noch alle?“

      „Oh, ganz gewiss nicht!“ Frau Theissen errötete dabei ganz leicht. „Sie sind alle bereits ausgeflogen. Schließlich ist es ja auch schon nach elf Uhr …“

      Leon Renatus zuckte fast ein wenig zusammen. Er hatte noch gar nicht auf die Uhr gesehen, und nach seinem Gefühl war es eher noch früh, als denn schon fast Mittag.

      Frau Theissen machte Anzeichen, sich wieder in ihre Wohnung zu begeben. „Nur der Professor ist da. Er arbeitet in seinem Appartement, so wie immer. Alle anderen sind schon vor mehr als einer Stunde spazieren gegangen.“

      „Na, dann will ich es Ihnen nun gleich tun.“ Leon ging langsam zur Haustüre. „Und ich bin auch schon ein ganz klein wenig gespannt, wie mir das Städtchen an einem Tag wie diesem gefällt.“

      Frau Theissen war fast schon wieder in ihrer Wohnung verschwunden, als sie ihrem Gast noch etwas zurief: „Genießen Sie das Leben, lieber Herr Renatus. Am besten in einem der vielen kleinen Cafés am Fluss. Oder später auch in einer der Winzerstuben, im Schatten, bei einem guten Riesling. Und um halb sieben dann werde ich hier wie immer zu Tisch bitten.“ Sie schaute noch einmal prüfend in das Gesicht ihres neuen Gastes. „Sie mögen doch sicher gute Hausmannskost …?“

      „Und wie, liebe Frau Theissen.“ Leon lachte und trat schon aus der Haustür. „Ich werde gewiss da sein. Pünktlich und hungrig. Versprochen!“

      Dann war er schon aus dem Haus herausgetreten, ging über den schmalen mit Schieferplatten angelegten Weg durch den hübsch gestaltete Vorgarten, in dem es schon prachtvoll blühte, zur weißen Zaunpforte, um sodann nach links die Straße herunter in die Stadt zu nehmen. Leon sah nicht, dass Frau Theissen an ihrem Küchenfenster stehend ihm nachdenklich nachblickte, während sie mit dem Küchenhandtuch langsam einen Teller abtrocknete.

      Leon war ein sportlicher, schlanker Mann von Anfang Vierzig. Federnd war sein Gang, durchaus auch kraftvoll seine Schritte. Dieses jedenfalls für gewöhnlich. In letzter Zeit war ihm das Elastische irgendwie abhandengekommen, seine sonstige Leichtigkeit verflogen. Selbst merkte er das kaum, nahm es mehr auf eine Art wahr, als würde tief in ihm etwas an Erinnerung versteckt sein, das ihm zuflüsterte, es ist anders geworden, beschwerlicher, fast ein wenig schleppend. Er ging leicht nach Vorn übergebeugt, und seine gewohnte Geschwindigkeit, sein sportliches Stampfen, war einer Vorsicht gewichen, einer Behäbigkeit, als würde er mit Blei in seinen Schuhen unterwegs sein. All das passte so gar nicht zu seinem eigentlichen Gesamtbild, welches doch viel eher geeignet war, Vitalität, eine gewisse Dynamik, durchaus auch Eleganz und eine Augenfälligkeit auszustrahlen, die ihm einen nicht zu übersehenden Zuspruch einbrachten, vor allem des anderen Geschlechtes. Markant waren seine Gesichtszüge, gefällig sein Haar, das er in einer Länge trug, die ihm etwas Abenteuerliches verliehen, ohne ihn dabei ins Feminine geraten zu lassen. Seine Hornbrille ließ ihn recht intellektuell wirken, seine Größe von 1,85 Metern machten ihn zwar nicht erhaben, dennoch ein klein wenig über den Dingen stehend.

      Jetzt also war er hier. In diesem kleinen Ort inmitten von Weinbergen, schiefergedeckten Villen, einer schier unübersichtlichen Anzahl von kleinen Hotels, Herbergen, Restaurants und aneinander gereihten Innenhöfen von Winzern, die den Touristen aus aller Herrenländer ihre Weine unter Sonnenschirmen und Markisen anboten, regionale Speisen offerierten und allerlei Souvenirs feilboten. Einen Bezug zu diesem Städtchen, einen wirklichen Grund hierher zu kommen, hatte Leon nicht. Es war ein Zufall, der ihn hierhin verschlagen hat, ein Bericht im Fernsehen über Land und Leute, über Winzer und Weine, über das Örtchen als touristischer Dreh- und Angelpunkt. Spontan war er begeistert, fühlte einen unerklärlichen Bezug zu diesen Bildern, empfand Wärme und sogar ein wenig Geborgenheit, die er ganz intuitiv bei der Betrachtung verbunden hatte. Und da er die Veränderung suchte, das Andere, etwas Neues, entschloss er sich ganz spontan, hierher

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