DER TEMPEL. Michael Mühlehner

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DER TEMPEL - Michael Mühlehner

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seiner polternden Art. Seine Augen saugten sich förmlich an ihrem hochgewachsenen Körper fest. Seinem Gesicht war abzulesen, was er dachte. Für Diego Sentera existierten Frauen nur zur Befriedigung seiner Gelüste.

      Maeve ließ langsam den Becher sinken. Ihre zwei Kollegen traten mit erwartungsvoller Haltung neben sie.

      „Haben Sie Ihren verschwundenen Mann gefunden?“ fragte Maeve Kilburn den kolumbianischen Führer.

      „Noch nicht, aber Ihr Tempel ist beschädigt. Sieht aus, als habe der Blitz eingeschlagen!“

      ***

      Sie brauchten zwanzig Minuten für die siebenhundert Meter zur Stufenpyramide. Fünfundzwanzig Meter hoch, aufgeteilt in fünf quadratische Podeste, erbaut aus Sandkalkstein und dunklem Basalt. Verziert mit gemeißeltem Reliefschmuck, beherrschte sie das umgebende Gelände. Noch vor wenigen Tagen hatte der Urwald seine grüne Decke über die Pyramide gebreitet gehabt. Der Boden um den Tempel war auf einer Breite von zehn Metern gerodet, mehrere Fußpfade führten über markierte Grabungsfelder vom Zugang des Felskessels zum Bauwerk. Nur mit Mühe hatte sie die eingeborenen Arbeiter dazu bewegen können, den Kessel zu betreten und mit den wichtigen Rodungsmaßnahmen zu beginnen. Für die Indios war die Pyramide mehr als nur das Überbleibsel einer alten, halbvergessenen Kultur. Viele von ihnen hingen noch immer dem Glauben an bluttriefende Götter an, und der Standort des Monuments in dem vulkanverseuchten Landstrich traf die Indios tief in ihrer abergläubischen Seele.

      Maeve rannte mit schnellen Schritten den Hauptweg zum Pyramidentempel. Über den schlotartigen Wänden des Kessels nistete ein grauer, tiefhängender Regenhimmel. Der Fels wirkte fast schwarz, die archaische Pyramide schien alle Helligkeit aufzusaugen, als läge ein finsterer Schleier darüber.

      Unter den verschiedenen Grüntönen von Moosen und Flechten zeichneten sich einst rotbemalte Steinstufen ab. Früher war das Monument bunt bemalt gewesen, bis auf die schwarzen Seitenwände aus Basalt. An den vier Ecken des Tempels kroch jeweils eine Steinschlange nach oben, zum Tempelhaus hinauf. Jadesplitter klebten noch auf den zerfallenen Stuckskulpturen. Das Synonym Quetzalcoatls, der Gefiederten Schlange. Eine Gottheit, die einst die Tolteken anbeteten, bevor die Azteken sie in ihre Religion integrierten.

      Erbaut für die Ewigkeit, strahlte das Monument eine rohe, archaische Kraft aus. Wie es schien, hatten nicht einmal die leichten Erdstöße dem Bauwerk Schaden zufügen können.

      Der Boden war matschig, teilweise mit Erdspalten übersät. Entwurzelte Bäume blockierten immer wieder den Weg. Am Fuß der Felswände des Kessels hatte sich Geröll gesammelt, herausgebrochen von der Kraft des Erdbebens und des sintflutartigen Regens der letzten Gewitternacht.

      „Dort oben“, sagte der kolumbianische Führer und deutete auf das schmale Tempelhaus auf der Spitze. „Auf der anderen Seite!“

      Maeves Herz schlug ihr hoch bis zum Hals. Der Tempel beschädigt, wie konnte das nur sein?

      Närrin, schalt sie sich in Gedanken. Heute Nacht hat die Erde gebebt!

      Vielleicht wurde durch diesen Umstand eines ihrer Probleme gelöst, nämlich einen Zugang ins Innere des Tempels zu finden. Und dann würde die eigentliche Arbeit erst beginnen. Das Alter musste bestimmt und abgeglichen werden, die Räume erkundet, katalogisiert und das Inventar aufgenommen werden. Und erst dann würde sie eine Meldung via Satellitentelefon an die Mahlan-Group schicken und bestätigen, den richtigen Ort für die anstehende Suche gefunden zu haben. Eric Mahlan, der Finanzier der Unternehmung, hatte deutlich gemacht, um was es ihm ging. Er suchte nach einem verschwundenen Kodizes, von dem selbst Maeve Kilburn nur sehr wenig gehört hatte. Wenig mehr als Andeutungen und Gerüchte, kaum Handfestes, noch weniger plausibles. Ein Buch, das Obscura Mundi genannt wurde, ein Werk, das von den Dunklen Welten berichtete. Eine Art Heilige Bibel für Esoteriker und Okkultisten, keine Lektüre für pragmatische Wissenschaftler und empirische Forscher.

      Der Tempel war nach Westen ausgerichtet, dem Sonnenuntergang entgegen. Was bestimmte Fragen aufwarf, denn die meisten religiösen Bauwerke der präkolumbianischen Ära wiesen nach Osten, als Anbetung für Inti, dem Sonnengott. Als Maeve die andere Seite erreichte, sah die Archäologin sofort die Beschädigung am oberen Tempelhaus. Die halbe hintere Wand war eingestürzt.

      Der Himmel öffnete nochmals seine Schleusen, und aus dem Nieselregen wurde ein Sturzbach. Die Expeditionsleiterin ignorierte es und machte sich an den Aufstieg. Oben angekommen, wischte sie sich das Wasser aus den Augen und blickte ihre beiden Kollegen Thomas Reardon und Borgo Rastillas auffordernd an.

      „Wenigstens haben wir jetzt einen Zugang“, sagte Rastillas.

      „Dann sehen wir ihn uns etwas genauer an“, erwiderte Maeve entschlossen.

      ***

      Schon nach einem ersten Überblick wurde der Archäologin das ganze Ausmaß der Zerstörung bewusst. Der Wind fegte den Regen beinahe waagerecht in ihr Gesicht, die Blätter des Regenwaldes duckten sich unter den Böen, raschelnd und rauschend.

      Und aus der Pyramide selbst schien ein Ton zu dringen, wie ihn noch kein Mensch vernommen hatte. Vielleicht war es aber nur das gurgelnde Regenwasser.

      Langsam trat die Expeditionsleiterin näher und betrachtete die halb eingebrochene Wand. Ein Teil desquadratischen Daches darüber war zertrümmert und nach innen gestürzt. Maeve sah uralte, geschwärzte Dachbalken und den halb geschmolzenen Sandstein der Decke.

      Neben ihr begutachtete der achtunddreißigjährige Reardon die Beschädigungen mit zusammengekniffenen Augen.

      „Ein Blitzschlag“, sagte der amerikanische Anthropologe überzeugt. Er beugte sich vor, versuchte in das dunkelerfüllte Innere zu blicken. Irgendetwas blitzte dort auf. Einen Moment nur.

      „Was ist das da auf dem Balken dort?“, fragte Doktor Rastillas, der Südamerikaforscher von der Universität Bogota, der zusammen mit Sentera das Tempelhaus einmal umrundet hatte. „Sieht aus wie geschmolzenes Metall?“

      Maeve folgte seinem Blick. Irgendeine Legierung war auf dem Holz zerronnen. Kurz entschlossen hackte Maeve die Stablampe von ihrem Gürtel und schaltete sie ein. Der gebündelte Lichtstrahl drang in das Innere der Kammer vor.

      Staub wirbelte über den Mosaikboden, der um eine gute Mannslänge tiefer lag als das Niveau der Kammer. Trümmer des Daches wurden der Dunkelheit entrissen. Schatten an den Wänden huschten über gemalte Bilder, halb verblichen vom Zahn der Zeit. Säulen, die die Deckenkonstruktion stützten, bedeckt mit weißem Gesteinsmehl.

      Etwas blitzte gelblich im Licht der Stablampe auf. Dann nochmals. Und dort auch, als Maeve den Arm und somit die Lampe weiterbewegte. Über einen Teil der Wände, dem Boden, die Säulen.

      Jetzt konnte sie es besser sehen. Der Schmutz war nur eine dünne Schicht, konnte nicht verhüllen, was sie mit erstauntem Blick erkannte.

      Gold! Die ganze Kammer war mit Gold ausgekleidet. Und zwischen den Trümmern, vor einem gewaltigen Motiv-Stein, lag eine nackte, leblose Gestalt!

      ***

      „El Dorado“, sagte Doktor Thomas Reardon und lehnte sich in dem Plastikstuhl zurück. „Seit über fünfhundert Jahren suchen die Menschen nach der Stadt aus Gold, dem sagenhaften Hort unermesslichen Reichtums. Ich denke, wir haben ihn gefunden!“

      Reardon hob das Schnapsglas und prostete den anderen zu. Auf seinem Gesicht lag ein fröhliches Lächeln. Maeve konnte seine Freude nicht ganz teilen.

      Sie

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