DER TEMPEL. Michael Mühlehner

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DER TEMPEL - Michael Mühlehner

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wurden Träume und Pläne in so manchem Kopf gewälzt.

      Sentera hatte schnell reagiert und fünf seiner Leute vor dem Zugang des Felskessels postiert. Bis auf weiteres war der Zugang zum Tempel abgeriegelt. Nur Maeve und die Wissenschaftler durften passieren. Und selbst sie sah Sentera mit schiefem Blick an. Dabei war der Mann gegen die Verlockungen des Goldes keineswegs gefeit. Der kolumbianische Führer, der von seinen Leuten respektvoll Comandante genannt wurde, hatte eigene Pläne. Über kurz oder lang würde es zu ernsthaften Spannungen kommen.

      Und dann war da noch der mysteriöse Fremde, den sie aus der Kammer geborgen hatten.

      Er lag im Quartier der Wissenschaftler, einer von Zino Tamperons Arbeitern war bei ihm.

      So überraschend es auch war, aber der Mann lebte! Sein so plötzliches und rätselhaftes Auftauchen blieb ein Geheimnis. Genauso ungeklärt waren die Fragen um seine Person.

      Was hatte er in der Pyramide zu suchen? War er ein Goldräuber, ein Schatzsucher? Wie war er hineingelangt, warum trug er keine Kleidung?

      Der Mann hatte etwas Rätselhaftes an sich. Der dürre Körper war mit Narben und Verletzungen übersät, alten und neuen. Die jüngeren Datums schienen medizinisch behandelt worden zu sein. Das Haar war etwa schulterlang, das schmale Gesicht unrasiert. Die Haut sonnenverbrannt, der Körper abgemagert und sehnig. Auf der Brust trug er ein eigenartiges Tattoo, vier verschlungene Dreiecke, von denen zwei auf der Spitze standen. Reardon hatte die Symbole als die Zeichen der vier Elemente erkannt. Von der linken Schulter bis zum Ellbogen des Armes schlängelte sich eine spiralartige Tätowierung, einem Maori- oder Keltensymbol nicht unähnlich.

      Der Fremde mochte zwischen dreißig und vierzig Jahre sein, das kantige Gesicht mit den halbverblassten Narben erschien selbst in der Bewusstlosigkeit noch angespannt und zornig.

      Der Fremde jagte Maeve Angst ein, und auch die anderen wussten nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollten.

      Für Diego Sentera war der Fall klar, ein illegaler Schatzräuber, der ihnen vielleicht von Cartagena aus gefolgt war. Warum er keine Kleidung trug, und sie auch keine Ausrüstungsgegenstände gefunden hatten, war für den Comandante nur nebensächlich. Es galt, den sagenhaften Fund von El Dorado zu schützen. Darum wollte er auch keine Polizei über das Satellitentelefon rufen.

      Vorläufig würde der Fremde im Camp bleiben, vor dem Zelt stand eine bewaffnete Wache.

      Das war auch einer der Gründe, warum sie den Fremden nicht im Lazarett-Zelt untergebracht hatten. Sie wollten ihn vorläufig isoliert halten, es wurde ohnehin schon zu viel gemunkelt.

      Das ist also der Stand der Dinge, dachte Maeve Kilburn, wir haben El Dorado gefunden und stehen vor einem Berg von Problemen.

      Wenn sie in die Gesichter der anderen blickte, den hungrigen Glanz richtig deutete, dann würde es auch Schwierigkeiten beim Einhalten der Prioritäten geben.

      „Komm schon, Maeve, du kannst dich ruhig ein wenig freuen! Das ist der bedeutendste Fund einer Grabungsexpedition seit Schliemanns Entdeckung von Troja!“

      Unwillkürlich musste Maeve den Computerspezialisten anlächeln. Ty Jackson gehörte eindeutig zu den Idealisten. Ein verwegenes Grinsen kerbte das mit Bartstoppeln bedeckte Gesicht. Die dunklen Haare standen wellenförmig nach allen Seiten ab. Blaue Augen funkelten in einem sonnengebräunten Gesicht. Ty hätte jederzeit als Surf Boy in einem Film mitspielen können. Doch er hatte sich der Erforschung des Altertums gewidmet, versuchte mittels modernster Technik der Vergangenheit die Rätsel vergangener Kulturen zu entreißen.

      Und er war erfolgreich damit.

      „Was ist schon Troja“, sagte Reardon pathetisch. „Dieser Fund macht uns berühmt und reich! El Dorado – ich kann es immer noch nicht glauben!“

      „Behalten Sie einen kühlen Kopf, Amigo“, sagte Doktor Rastillas bedächtig. Er blickte auf sein halbvolles Glas Whisky. „Bisher haben wir nur die Tempelkammer gesehen. Nichts deutet darauf hin, dass auch die anderen Räume mit Gold überzogen sein müssen, oder dass darin unermessliche Schätze gelagert sind. Von der Tempelkammer führt kein Weg weiter. Wir sollten auch diesen Fremden nicht vergessen, und Sentera vermisst einen Mann aus seiner Gruppe.“

      Reardon winkte lässig ab. Sein Glas war schon wieder leer, seine Augen glänzten matt.

      „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wir sind den alten Aufzeichnungen gefolgt, haben uns also an die Fakten gehalten – und voila! – hier ist El Dorado!“

      „Eine abseits gelegene Pyramide, erbaut von einem unbekannten Stamm“, fuhr Rastillas fort. „Bisher konnten wir das Bauwerk keiner Kultur zuordnen. Die Fresken enthalten Arbeiten verschiedener andinischer Völker, Maya, Inkas und selbst aztekische Symbole und Stile wurden verwendet. Welche Bedeutung wird ihr zugeschrieben? Gleichfalls gibt mir der Standort zu denken.“

      „Was ist daran denn komisch?“ fragte Doktor Reardon und seine Stimme hatte einen herausfordernden Klang. Maeve wurde bewusst, dass sie in den sich anbahnenden Disput eingreifen musste.

      „Kolumbien spielte niemals eine zentrale Rolle in den führenden präkolumbianischen Kulturen. Obwohl sich das Reich der Inkas von Peru bis Mexiko ausdehnte, drangen sie niemals tief in die Regenwälder Kolumbiens ein. Sie nannten diesen unermesslich weiten Urwald das ´Wilde Land´. Hier hausten Geister und Dämonen. Und auch die Azteken und Maya in Mittelamerika schienen Kolumbien zu meiden. Im Gegensatz zu den anderen Ländern Lateinamerikas hat sich hier niemals eine Hochkultur entwickelt. Kolumbien wurde von wilden Stämmen bewohnt, kriegerisch und barbarisch, mit archaischen Riten. Die spanischen Konquistadoren berichteten von Kannibalen und Eingeborenen, die mehr Tieren als Menschen ähnelten. Warum sollte man in dieser Wildnis El Dorado erbauen, das Paradies aus Gold und Juwelen? Wer hätte Freude daran, hier zu leben, wo der Tod tausendmal drohte? Und dieser Felskessel, abgelegen und beinahe unzugänglich. Warum baut man hier einen Schatztempel?“

      Reardon schnaubte, als er die Argumente seines Kollegen hörte. Er wusste so gut wie Rastillas, dass El Dorado in der Nähe des Guatavita-Sees unweit von Bogota vermutet wurde. Aber was zählten schon Vermutungen gegenüber den harten Fakten.

      „Sie sollten sich selbst hören, lieber Doktor! Das klingt ja fast, als hätten Sie Angst davor, die Wahrheit zu akzeptieren. Fürchten Sie sich vor El Dorado?“

      „Nicht vor dem Mythos, aber vor dem, was er aus den Menschen macht!“

      Der amerikanische Anthropologe murmelte etwas Abfälliges und erhob sich wankend.

      „Wenn mich die Kollegen entschuldigen wollen, ich habe noch zu arbeiten.“

      Rastillas blickte ihm nach, wie er das Zelt verließ.

      „Ich glaube, wir stecken schon knietief in den Problemen.“

      „Dann widmen wir uns wieder der Arbeit“, sagte Maeve Kilburn beschwichtigend. „Als erstes gilt es, wieder Ordnung in das Lager zu bringen. Danach kümmern wir uns um die Pyramide.“

      Sie hatten das Tempelhaus mit Planen und Zeltbahnen notdürftig gegen Wind und Wetter abgedeckt.

      „Ty, wie steht es mit deiner Ausrüstung?“

      Es wurde noch ein langer arbeitsreicher Nachmittag.

      ***

      Schmerzen! Als hätte man seine

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