Vom Menschenrätsel. Rudolf Steiner

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keiner Welt des Traumes; es steht in der Welt des Seins. Könnte ich glauben, dass alles andere, auch mein eigener Leib, mir ein Sein nur vortäusche; mein Denken täuscht mich nicht. So wahr ich denke, so wahr bin ich, indem ich denke.

      Aus solchen Empfindungen heraus erklang Descartes‹: »Ich denke, also bin ich« (Cogito ergo sum). Und wer ein Ohr für solche Dinge hat, wird die Kraft dieses Wortes auch bei den auf Descartes folgenden Denkern bis zu Kant fortklingen hören.

      Erst bei Fichte hört dieser Klang auf. Vertieft man sich in seine Gedankenwelt, sucht man sein Ringen nach einer Weltanschauung mitzuerleben, so fühlt man, wie auch er in der Selbsterkenntnis Welterkenntnis sucht: aber man hat die Empfindung, das »Ich denke, also bin ich« könnte seinem Ringen nicht der Fels sein, auf dem er sich sicher glaubte in den Wogen des Zweifels, die ihm die menschlichen Vorstellungen zu einem Meere von Träumen zu machen vermöchten. Man empfindet, wie bei Fichte die Fähigkeit zu zweifeln gewissermaßen in einer ganz andern Kammer der Seele sitzt als bei Descartes, wenn man sich die Sätze vorhält, die er in seiner (1800 erschienenen) »Bestimmung des Menschen« geschrieben hat: »Es gibt überall kein Dauerndes, weder außer mir, noch in mir, sondern nur einen unaufhörlichen Wechsel. Ich weiß überall von keinem Sein, und auch nicht von meinem eigenen.

      Es ist kein Sein. – Ich selbst weiß überhaupt nicht, und bin nicht. Bilder sind: sie sind das einzige, was da ist, und sie wissen von sich, nach Weise der Bilder: – Bilder, die vorüberschweben, ohne dass etwas sei, dem sie vorüberschweben; die durch Bilder von den Bildern zusammenhängen, Bilder, ohne etwas in ihnen Abgebildetes, ohne Bedeutung und Zweck. Ich selbst bin eins dieser Bilder; ja, ich bin selbst dies nicht, sondern nur ein verworrenes Bild von den Bildern.

      Alle Realität verwandelt sich in einen wunderbaren Traum, ohne ein Leben, von welchem geträumt wird, und ohne einen Geist, der da träumt; in einen Traum, der in einem Traum von sich selbst zusammenhängt. Das Anschauen ist der Traum; das Denken – die Quelle alles Seins und aller Realität, die ich mir einbilde, meines Seins, meiner Kraft, meiner Zwecke – ist der Traum von jenem Traum.« Diese Gedanken drängen sich Fichte nicht in die Seele wie eine letzte Wahrheit vom Dasein. Er will nicht etwa wirklich die Welt als Traumgebilde ansehen. Er will nur zeigen, dass all die Gründe, welche der Mensch gewöhnlich für die Gewissheit einer Erkenntnis aufbringt, vor einem durchdringenden Blick nicht bestehen können, dass man mit diesen Gründen nicht das Recht habe, die Ideen, die man sich über die Welt macht, als etwas anderes denn als Traumgebilde anzusehen.

      Und nicht gelten lassen kann Fichte, dass im Denken selbst irgendeine Gewissheit über das Sein stecke.

      Warum sollte ich sagen: »Ich denke, also bin ich«, da doch, wenn ich in einem Meere von Träumen lebe, mein Denken nichts weiter sein kann als »der Traum vom Traume«? Der Einschlag, der in die Gedanken über die Welt die Wirklichkeit trägt, muss für Fichte von ganz anderer Seite kommen als vom bloßen Denken über die Welt.

      Wenn Fichte davon spricht, dass die Art des deutschen Volkstums in seiner Weltanschauung lebt, so wird dieser Gedanke verständlich, wenn man gerade das Bild des Weges zur Selbsterkenntnis, den er im Gegensatz zu Descartes sucht, sich vor die Seele rückt. Dieser Weg kann als das angesehen werden, was Fichte als »deutsch« empfindet; und man kann ihn als Wanderer auf diesem Weg dem auf romanischen Geistesbahnen schreitenden Descartes gegenüberstellen. Descartes sucht einen festen Punkt für die Selbsterkenntnis; er erwartet, dass ihm irgendwo dieser feste Punkt gegenübertreten werde.

      Im Denken glaubt er ihn gefunden zu haben. Fichte erwartet von solcher Art des Suchens gar nichts. Denn, was er auch finden könnte: warum sollte es denn eine höhere Gewissheit geben als vorher Gefundenes?

      Nein, auf diesem Wege des Suchens ist überhaupt nichts zu finden. Denn er kann nur von Bild zu Bild führen; und kein Bild, auf das man stößt, kann von sich aus sein Sein verbürgen. Also muss man zunächst den Weg durch die Bilder ganz verlassen und ihn erst wieder betreten, wenn man von anderer Seite her Gewissheit geholt hat.

      Man muss gegenüber dem »Ich denke, also bin ich« etwas scheinbar recht Einfältiges sagen, wenn man es entkräften will. Doch geht es so mit vielen Gedanken, die der Mensch in seine Weltanschauung aufnimmt: sie lösen sich nicht durch weitausholende Einwände auf, sondern durch das Bemerken einfach liegender Tatbestände. Man unterschätzt nicht die Denkerkraft einer Persönlichkeit von der Art des Descartes, wenn man ihm einen solch einfachen Tatbestand entgegenhält. Das Gleichnis vom Ei des Kolumbus bleibt ja doch ewig wahr. Und so ist es auch wahr, dass das »Ich denke, also bin ich« einfach zerschellt an dem Tatbestand des Schlafes. Jeder Schlaf des Menschen, der das Denken unterbricht, zeigt zwar nicht, dass im Denken nicht ein Sein liege, aber doch jedenfalls, dass »Ich bin, auch wenn ich nicht denke«. Müsste man also das Sein aus dem Denken herausholen, so wäre es keinesfalls verbürgt für die Zustände der Seele, in denen das Denken aufhört. Wenn Fichte diese Wendung des Gedankens in dieser Form auch nicht ausgesprochen hat, so darf wohl doch gesagt werden: die Kraft, die in diesem einfachen Tatbestand liegt, wirkte – unbewusst – in seiner Seele und hinderte ihn, einen Weg zu nehmen, wie ihn Descartes genommen hat.

      Durch den Grundcharakter seines Empfindens wurde Fichte auf einen ganz anderen Weg geführt.

      Sein Leben von Kindheit an offenbart diesen Grundcharakter. Man braucht nur einzelne Bilder aus diesem Leben vor der Seele auftreten zu lassen, um das zu durchschauen. Aus der Kindheit wird ein bedeutsames Bild lebendig. Siebenjährig ist Johann Gottlieb. Er war bisher ein gut lernender Knabe. Der Vater schenkt ihm, um seinen Fleiß anzuerkennen, das Volksbuch vom »Gehörnten Siegfried«. Der Knabe wird von dem Buche ganz eingenommen. Er vernachlässigt in etwas seine Pflichten. Er wird an sich selbst dieses gewahr. Der Vater trifft ihn, wie er eines Tages den »Gehörnten Siegfried« in den Bach wirft. Das ganze Herz des Knaben hängt an dem Buch; aber wie dürfte das Herz behalten etwas, das von der Pflicht abbringt! So lebt in dem Knaben Fichte schon unbewusst das Gefühl: der Mensch ist in der Welt als Ausdruck einer höheren Ordnung, die sich in die Seele senkt nicht durch das Interesse an diesem oder jenem, sondern durch die Wege, durch die er die Pflicht erkennt. Man sieht hier den Trieb zu Fichtes Stellungnahme gegenüber der Gewissheit von der Wirklichkeit. Gewiss für den Menschen ist nicht, was wahrnehmend erlebt wird, sondern was in der Seele so auflebt, wie die Pflicht sich offenbart.

      Ein anderes Bild: Der Knabe ist neunjährig. Der Gutsnachbar seines Vaterdorfes kommt eines Sonntags in dieses, um sich die Predigt des Pfarrers anzuhören. Er trifft zu spät ein. Die Predigt ist vorbei. Die Leute erinnern sich, der neunjährige Johann Gottlieb bewahre die Predigten in seiner Seele so, dass er sie voll wiedergeben kann. Man holt ihn. Der Knabe im Bauernkittelchen tritt auf. Linkisch zunächst; dann aber die Predigt so von sich gebend, dass man merkt, was in dieser Predigt lebte, hat seine Seele ganz erfüllt; er gibt nicht bloß die gemerkten Worte wieder; er gibt sie aus dem Geiste der Predigt heraus, der in ihm lebt als vollkommenes Selbsterlebnis. Solche Fähigkeit, im eigenen Selbst aufleuchten zu lassen, was von der Welt an dieses Selbst herantrat, lebte in dem Knaben. Das ist doch die Anlage zu einem Erleben des Geistes der Außenwelt im eigenen Selbst. Das ist die Anlage dazu, in dem erkrafteten Selbst die tragende Macht einer Weltanschauung zu finden. Eine hell beleuchtete Entwicklungsströmung der Persönlichkeit führt von solchen Knabenerlebnissen zu einem Vortrag, den der geistvolle Naturforscher Steffens von Fichte, der damals Professor in Jena war, gehört hat, und den er beschreibt. Fichte fordert im Verlauf dieses Vortrages seine Zuhörer auf: »Denken Sie an die Wand!« Die Zuhörer bemühten sich, an die Wand zu denken. Nachdem sie das eine Zeitlang getan, folgt Fichtes nächste Aufforderung: »Und nun denken Sie an den, der an die Wand gedacht hat!« Welches Streben nach unmittelbarem Zusammenleben des eigenen Seelenlebens mit dem Seelenleben der Zuhörer! Der Hinweis auf eine unmittelbar vorzunehmende innere Seelenbetätigung, der nicht bloß anstrebt, dass ein mitzuteilendes Wort nachgedacht werde, sondern der ein in den Seelen der Zuhörer schlummerndes Lebendiges wecken will, auf dass diese Seelen in einen Zustand kommen, der ihr bisheriges Verhältnis zu dem Weltenlauf ändere.

      In solchem Vorgehen

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