Ein Anfang am Ende des Hungers. Sylvia Baumgarten
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Sylvia Baumgarten
Ein Anfang am Ende des Hungers
Und plötzlich war es Magersucht
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
www.ich-bin-hungrig.de und oben rechts das Logo einer Krankenkasse – mehr steht nicht auf dem Zettel. Ich schieb ihn über meinen Schreibtisch ganz nach hinten, weil ich ihn am liebsten dort vergessen will.
Was soll ich auch damit?, denk ich und starte meinen Rechner. Während er hochfährt, rumpelt und brummt es im Gehäuse wie immer - schwarzer Bildschirm, weiße Schrift, hellblauer Hintergrund - Willkommen!
Mensch, werd fertig, denk ich genervt und frag mich, warum ich so ungeduldig bin.
… ich-bin-hungrig.de, was für ein bescheuerter Name für ne Website. Auf dem Desktop erscheint ein Wasserfall, und der kleine blaue Kreis verschwindet, dann bin ich online bei Facebook. Die üblichen Namen tauchen auf und Sekunden später kommt die erste Nachricht:
„Na endlich, hab schon gewartet …“, schreibt Nina und normalerweise antworte ich sofort, aber heute geht mir die doofe Adresse nicht aus dem Kopf. Ich starre auf den Bildschirm und dann auf den Zettel ganz hinten in seiner Ecke.
Was bildet sich die Kramer eigentlich ein? Die soll mir Bio beibringen und sich nicht in meine Angelegenheiten einmischen.
Nina hat inzwischen die nächste Nachricht geschickt:
„Alles ok bei dir?“
Nix ist ok, denk ich und schreib:
„Klar, alles in Ordnung. Muss noch kurz weg, meld mich später.“
„Schade“, les ich noch, geh im Chat auf „offline“ und greif nach dem Zettel, den mir die Kramer gegeben hat.
„Jule, kannst du bitte gleich noch einen Moment hier bleiben?“, hat sie gefragt, als ich gerade das Mikroskop in den Schrank geräumt hab.
„Ähm – ich weiß nicht“, hab ich geantwortet, „mein Bus …“
„Dauert nicht lange.“ Dann ist sie wieder nach vorne. Ich hab weiter eingeräumt, und als nach dem Klingeln alle raus sind, bin ich auch mit aufgestanden, hab aber an der Tür gewartet und Nina gesagt, dass ich gleich komme.
Frau Kramer hat ihren Terminplaner aus ihrer Tasche genommen und irgendetwas auf nen Zettel geschrieben. Mit dem Zettel in der Hand kam sie auf mich zu, und als sie Nina im Flur stehen sah, hat sie die Tür zugemacht.
Irgendwie war ich auf einmal neugierig, was sie von mir wollte.
„Jule, ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden. Mir ist aufgefallen, dass du stark abgenommen hast in letzter Zeit, und ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich damit umgehen soll.“
Ich hab sie nur angestarrt und hätte fast das Atmen vergessen. Klar ist meine Lehrerin immer ziemlich direkt, aber das fand ich schon echt heftig.
Einen Moment lang hat sie nichts gesagt und scheinbar gewartet, wie ich reagiere, und dann hat sie gefragt:
„Kann es sein, dass du ursprünglich nur ein bisschen abnehmen wolltest und nun nicht mehr aufhören kannst?“
Ich glaub, ich hab die ganze Zeit nicht aufgehört, sie anzustarren. Was soll das denn jetzt?, hab ich gedacht, nur weil ich grad ein bisschen Diät mache, muss man sich doch nicht so aufregen. Gesagt hab ich dann: „Wie meinen sie das?“
„Ich mache mir Sorgen, ob du vielleicht gerade eine Essstörung entwickelst und ich möchte nicht tatenlos dabei zusehen.“
Essstörung?, hab ich gedacht, ich entwickle doch keine Essstörung! Wenn ich genug abgenommen hab, hör ich sofort auf.
Wir haben dann beide nichts gesagt und ich glaub, Frau Kramer wollte, dass ich ihr endlich antworte, wollte ich aber nicht.
„Ok, Jule, vielleicht irre ich mich ja, aber falls ich mit meiner Vermutung richtig liege, habe ich dir die Adresse von einem Internet-Forum rausgesucht, wo man dir weiterhelfen könnte.“
„Ähm – ich glaub nicht, dass ich die brauche“, hab ich gesagt und schon mal nach der Türklinke gegriffen.
„Nimm sie doch bitte trotzdem mit. Wegschmeißen kannst du sie immer noch“, hat Frau Kramer gesagt und mir den Zettel in die Hand gedrückt. Ich hab ihn schnell in die Tasche gesteckt, weil Nina ja draußen gewartet hat, und bin raus aus der Klasse. Nina kam auch gleich auf mich zu.
„Na endlich, ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr. Was war denn?“
„Nichts, ich soll mich mündlich mehr reinhängen.“
„Wie soll das denn noch gehen?“, hat Nina gefragt und ich glaub, sie hat mir nicht geglaubt, aber ich hatte echt keine Lust, mehr dazu zu sagen und das hat sie wohl kapiert. Jedenfalls haben wir kaum geredet auf dem Weg zum Bus.
Ich hab immer noch keine Lust, mit jemandem zu reden, starre auf den Zettel, auf den Desktop und wieder auf den Zettel.
Essstörung – ich-bin-hungrig.de – ok, denk ich, was soll schon passieren, wenn ich auf die Seite gehe? Nur mal kurz gucken.
Ich tipp die Adresse ein und die Seite öffnet sich sofort. Viel Text, Quadrate in pink, Kreise in grau, Dreiecke in grün – eigentlich ganz ansprechend. Die Überschriften sind verlinkt – Bulimie – binge eating…
Ich klick auf Magersucht:
„Magersucht zeichnet sich durch eine extreme Gewichtsabnahme bzw. Halten eines extrem niedrigen Gewichtes aus, begleitet von der Befürchtung, dick zu werden. Das niedrige Gewicht wird durch ungewöhnliche Ess- und Gewichtsregulationsverhalten und Verweigerung der Nahrungsaufnahme erreicht.“ steht da.
Ok,